Nahverkehr um München:Über den Rand hinaus

Nahverkehr um München: Waben statt der gewohnten Ringe: Immer mehr Pendler aus Städten und Regionen außerhalb des MVV-Gebiets drängen nach München. Planer denken deshalb über eine Ausweitung des Verkehrsverbunds nach. Illustration: Dennis Schmidt

Waben statt der gewohnten Ringe: Immer mehr Pendler aus Städten und Regionen außerhalb des MVV-Gebiets drängen nach München. Planer denken deshalb über eine Ausweitung des Verkehrsverbunds nach. Illustration: Dennis Schmidt

  • Der Münchner Verkehrs- und Tarifverbund (MVV) soll zum Fahrplanwechsel im Dezember 2015 nach Osten erweitert werden.
  • Der "Filzenexpress" von Grafing über Ebersberg und Steinhöring bis nach Wasserburg soll in den Tarif integriert werden.
  • Anders sieht es mit der geplanten großen Erweiterung aus: Bis aber der gesamte Raum der "Europäischen Metropolregion München" eingebunden werden kann, wird es noch dauern.

Von Marco Völklein

Der Münchner Verkehrs- und Tarifverbund (MVV) soll zum Fahrplanwechsel im Dezember 2015 nach Osten erweitert werden. Ende dieser Woche will sich der MVV-Verbundrat mit dem Plan befassen, den "Filzenexpress" in den Tarif zu integrieren. Die eingleisige Strecke führt von Grafing über Ebersberg und Steinhöring bis nach Wasserburg und wurde erst in den vergangenen Jahren modernisiert. Unter der Woche fahren die Züge im Stundentakt.

Bislang allerdings können Fahrgäste von München kommend nur bis zum Halt Tulling (gehört zur Gemeinde Steinhöring) mit einem MVVTicket fahren. Wer weiterreisen möchte, muss bislang einen Fahrschein der Südostbayernbahn (SOB) kaufen, einer Tochter der Deutschen Bahn (DB). Genau das soll sich im Dezember ändern.

Seit Dezember klären die Planer Detailfragen

Der Landkreis Rosenheim hat bereits im Dezember die Aufnahme der Strecke in den MVV beantragt. Seither sind die Planer des Verbunds damit beschäftigt, die Detailfragen zu klären. So mussten unter anderem Fahrgasterhebungen durchgeführt werden. Zudem muss die DB-Vertriebstochter sicherstellen, dass die Fahrkartenautomaten an der Strecke künftig neben den normalen Bahntickets auch die Fahrscheine des MVV ausspucken. Zudem müssen Entwerter aufgestellt werden. Vor allem aber müssen sich alle Beteiligten über die Fragen der Finanzen einig sein.

Das ist im Fall des Filzenexpress nach Darstellung von MVV-Geschäftsführer Alexander Freitag noch relativ einfach. Weil der SOB/DB-Tarif vom Niveau her etwas über dem MVV-Tarif liegt, entstünden beim Betreiber der Strecke, der SOB, künftig Mindereinnahmen in Höhe von geschätzt 120 000 Euro pro Jahr. Diese muss der Landkreis Rosenheim ausgleichen. Ob es letztlich bei dieser Summe bleibt, klären derzeit die MVV-Planer und die Vertreter der SOB. Aus diesem Grund lassen die Fachleute auch die Zahl der Fahrgäste eruieren. Da der Kreistag in Rosenheim bereits erklärt hat, das Defizit der SOB schultern zu wollen, dürfte die Mini-Erweiterung des MVV an diesem Punkt nicht scheitern.

Die große Erweiterung lässt auf sich warten

Anders sieht es mit der geplanten großen Erweiterung aus: Weil immer mehr Pendler aus Städten und Regionen außerhalb des eigentlichen MVV-Gebiets nach München hineindrängen, denken die Verkehrs-Planer schon seit geraumer Zeit über eine Ausweitung nach. Mögliches Ziel ist es, über kurz oder lang den gesamten Raum der "Europäischen Metropolregion München", kurz EMM, in den MVV zu integrieren - oder sogar gleich eine Art EMM-Verbund zu schaffen. Dieser würde sich dann von Garmisch-Partenkirchen im Süden bis Eichstätt im Norden, von Dillingen und Kaufbeuren im Westen bis nach Traunstein und Altötting im Osten erstrecken. Ein Großraum, der in ein paar Jahren die Grenze von fünf Millionen Einwohnern überschritten haben wird.

Für diesen Großraum einen Nahverkehrstarif aus einem Guss zu schaffen, ist jedoch äußerst kompliziert. Zum einen müsste der jetzt kreisförmig auf das Münchner Zentrum ausgerichtete MVV-Tarif dann wohl einer Wabenstruktur weichen, in der innerstädtische Verkehre wie die in Augsburg, Ingolstadt oder Rosenheim ebenfalls abgebildet werden. Zum anderen - und das ist noch viel kniffliger - dürfte die Frage zu klären sein, wer welchen Anteil aus den Fahrgeldeinnahmen dieses neuen Großverbunds erhalten wird.

Tarif-Verbünde sollen bestehen bleiben

Derzeit teilen DB und Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) fast 90 Prozent der jährlichen Einnahmen im MVV von zuletzt 766 Millionen Euro unter sich auf. Der Rest geht an die Landkreise und kleineren Anbieter wie Meridian, Alex - oder eben die SOB. In einem neuen Verbund würden auch die Stadtwerke in Augsburg sowie diverse Busunternehmen mitmischen, ebenso wie 20 Landkreise und fünf kreisfreie Städte. Deshalb lässt der EMM-Verein derzeit eine Studie erarbeiten, die Wege aufzeigen soll, wie all diese kniffligen Fragen gelöst werden können.

Nach SZ-Informationen kommen die Gutachter in einer ersten Einschätzung zu der Empfehlung, die vielen Tarifprobleme und die möglichen Scherereien um die Einnahmen am besten zu umgehen, die bestehenden Tarif-Verbünde wie den Münchner MVV, den Augsburger AVV oder den Ingolstädter INVG weiterhin bestehen zu lassen - und über alle eine zusätzliche, gemeinsame Tarifebene zu setzen. Dieser Tarif könnte greifen, wenn jemand zum Beispiel von Ingolstadt nach Landsberg reisen möchte. Das würde die Konflikte innerhalb der bestehenden Verbünde wie auch der Beteiligten in den Verbünden untereinander dämpfen.

Autofahrer sollen lieber die Bahn nutzen

Kritiker finden ohnehin, dass der geplante Großverbund mehr Risiken als Chancen bietet - und es gewisse Ansätze ja bereits gebe. So bieten seit 2010 verschiedene Verbünde wie der MVV, der Augsburger AVV und der Ingolstädter Verbund zusammen mit der DB und weiteren Betrieben die "AboPlusCard" an, um Fahrgästen das Reisen über Verbundgrenzen hinweg zu erleichtern. Die Karte gibt es aber nur im Jahresabonnement, ist also nur für Dauerpendler interessant.

Für Tagesausflügler bietet die DB das "Bayern-Ticket" an, das in fast allen bayerischen Verbünden gilt. Dennoch: Ein einheitlicher EMM-Tarif unter einer gemeinsamen Dachmarke könnte, hoffen Politiker wie Planer, viele Autofahrer auf Busse und Bahnen umsteigen lassen. Daher setzen sich nicht zuletzt die oberbayerische CSU, die SPD in einigen Landkreisen wie auch die Münchner Grünen für eine Verbunderweiterung ein.

Züge sollen öfter halten

Auch Andreas Barth vom Fahrgastverband Pro Bahn findet die Idee eines Großverbunds richtig. Allerdings sei die EMM dazu nicht das richtige Gremium. Die Städte und Landkreise der Region haben sich (bis auf Erding) in einem Verein zusammengetan; und dieser sei "absolut intransparent", findet Barth. Die Beratungen fänden "hinter verschlossenen Türen statt", Fahrgastverbände oder Bürger seien kaum eingebunden. Und statt immer nur in die Zukunft zu schauen, könnten die MVV-Planer jetzt bereits einiges verbessern - "wenn sie es denn wollten", so Barth.

So halten etwa einige Meridian-Züge vom Hauptbahnhof kommend nur am Ostbahnhof - und dann erst wieder in Rosenheim. Vielen MVV-Nutzern, etwa aus dem Landkreis Ebersberg, wäre schon geholfen, wenn die Züge auch in Grafing-Bahnhof stoppen würden, argumentiert Barth. Denn bis dort gilt auch der etwas günstigere MVV-Tarif.

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