Nahverkehr:Das hilft wirklich bei S-Bahn-Chaos

Nahverkehr: Einer dieser Tage: S-Bahn-Chaos in Pasing.

Einer dieser Tage: S-Bahn-Chaos in Pasing.

(Foto: Michael König)

Genervt von Zugausfällen und Verspätungen? Wir auch. Die SZ-Redaktion verrät ein paar persönliche Stressbewältigungsstrategien.

Am Bahnsteig wartet die Überraschung. Feierabend, der Weg nach Hause, und dann die Erkenntnis: Die S-Bahn-Stammstrecke ist mal wieder gesperrt, bei der U-Bahn gibt's eine Stellwerkstörung, der Zug kommt später, fährt kürzer oder fällt ganz aus.

Nun gibt es Pendler, die in Panik geraten. Sie fluchen vor sich hin, suchen krampfhaft nach alternativen Verbindungen oder schicken im Minutentakt genervte Whatsapp-Nachrichten an den dann ebenso genervten Partner. Andere scheinen gelassen, kapseln sich mit Hilfe ihrer Kopfhörer von der Außenwelt ab, machen Atemübungen oder mentales Yoga, ganz genau weiß man es nicht, weil man selten sieht, was in den Köpfen vorgeht. Wie nutzt man die Zeit am besten? Anlass für die SZ-Redaktion, die ganz persönlichen Stressbewältigungsstrategien zu verraten.

Sightseeing zum MVV-Tarif

Irgendwas fährt immer, man muss sich nur das dichte öffentliche Münchner Nahverkehrsnetz ansehen. Ähnlich wie fürs Auto finden sich auch da immer irgendwelche Schleichwege, um letztlich doch von A nach B zu gelangen. Also: Wenn mit der S-Bahn nichts geht und die U-Bahnen so voll sind, dass man lieber erst gar nicht mehr einsteigen will - oberirdisch warten die Busse und Trambahnen der MVG. So kann's passieren, dass man vom Ostbahnhof bis zum Rotkreuzplatz mit einem Umweg über den Scheidplatz und das Olympia-Gelände zwar eineinhalb Stunden unterwegs ist, aber Gefahrenwerden und dabei aus dem Fenster auf die Stadt schauen ist auf alle Fälle weniger stressig als auf irgendeine S-Bahn zu warten oder sich in einen U-Bahnwaggon pferchen zu lassen, in dem sich die Anwesenden schon nicht mehr richtig zu atmen trauen. Also nicht ärgern, sondern die Gelegenheit nutzen: Sightseeing zum MVV-Tarif. (Günther Knoll, Thema des Tages)

Die richtige Playlist

Es hilft nur Musik. Hier ein Vorschlag für die Playlist:

Waiting in Vain - Bob Marley

As Time goes by - Frank Sinatra

Should I stay or should I go - The Clash

Dann der komplette Soundtrack von Trainspotting und alles von Tom Waits. (Gunnar Herrmann, Politik-Redaktion)

Postsowjetischer Gleichmut

Ich höre mir über meinen uralten Ipod Thomas Thieme an, wie er Viktor Jerofejews "Das russische Wodkameer " und andere Geschichten liest, dann erfasst mich postsowjetischer Gleichmut. Alles könnte viel schlimmer sein. Alles nicht zu ernst nehmen. (Jutta Czeguhn, Redakteurin Stadtviertel)

Die Stadt kennenlernen

Wenn es nicht ganz eilig ist, steige ich als Neu-Münchnerin manchmal einfach in den nächsten Bus, der an irgendeiner anderen Tram- oder U-Bahnstation hält. Dort steige ich wieder aus und hoffe, dass ich die verkehrenden Linien schon kenne. Das spart zwar meistens überhaupt keine Zeit, aber ich fühle mich (zumindest zunächst) nicht so machtlos. Und ich lerne nebenbei die Stadt und das Verkehrsnetz kennen. Liebenlernen tut man es dabei aber nur bedingt. Oft muss man nämlich relativ weit laufen, um die nächsten Möglichkeiten abzuchecken. (Larissa Holzki, Redakteurin Karriere & Bildung)

Gemeinsam ist man weniger gestresst

Der Stress ist manchmal eine Lawine, die einen überrollt, man kann dann nicht viel mehr machen als nach Luft schnappen. Wenn man S-Bahn-Pendler in München ist und die Heimathaltestelle im Außenbereich liegt, dann fährt man in täglicher Lawinengefahr, und wenn die Lawine dann auf einem drauf ist, dann bedeckt sie einen mit Wut und Frust und Verzweiflung, gnadenlos. Es sei denn, man hat das Glück, dass ein Bekannter, Freund oder freundlicher Arbeitskollege zufällig den gleichen Weg zurücklegen muss (oder wenigstens einen Teil davon). Geteiltes Leid ist halbes Leid, das ist ein abgedroschenes Sprichwort, aber es ist eben auch die Wahrheit. Wer in einem überfüllten und gefühlt jahrzehntelang regungslosen Zug steht, eingequetscht zwischen dem offensichtlich mit spitzen Steinen gefüllten Rucksack des Vordermanns und der, pardon, Wampe des Hintermanns, der kann darüber nur dann lachen, wenn es dem Bekannten auf Augenhöhe genau so geht. Und die Erleichterung, zweieinhalb Stunden nach Verlassen des Büros ein mit vielen Ausrufezeichen geschmücktes "Daheim" loszuschicken, ist gleich noch größer, wenn selbiges sogleich zurückkommt. Manchmal kann man dann sogar ein bisschen schmunzeln. (Michael Neudecker, stellvertretender Ressortleiter Panorama)

Augen auf, Ohren auf

Musikhören oder Lesen beim Warten ist natürlich schön. Viel spannender kann es aber sein, mal darauf zu achten, was um einen herum passiert. Faszinierend etwa, was sich die beiden Teeniejungs zwei Schultern weiter über das Barbierhandwerk zu erzählen haben. Eine müde Dame mit den silbernsten Fingernägeln der Welt berichtet am Handy haarklein von ihrem merkwürdigen Bewerbungsgespräch. Touristen mit zerbeulten Koffern tauschen ihre Reiseanekdoten aus. Klar, Neugier ist kein feiner Zug. Aber wer in diesem Gedränge redet, weiß, dass er nicht allein ist. Und wollten wir nicht endlich unsere Filterblase verlassen? Die platzt beim Pendel-Chaos absolut zuverlässig. (Irene Helmes, Reise-Redakteurin)

Spanisch üben

Mich beruhigt es, wenn ich die Zeit, in der ich auf eine S-Bahn warte oder im Tunnel feststecke, nutze, um etwas Sinnvolles zu tun. Dann fühlt sie sich nicht ganz so verloren an. Ich lese dann meistens in der SZ, die ich noch als Printausgabe dabei habe (das macht mich unabhängig vom Internetempfang) oder übe Spanisch mit einer meiner Sprachenapps. (Sonja Salzburger, Video-Team)

Auf gar keinen Fall: Gespräche mit verärgerten Mitreisenden

Auf Funksprüche hoffen

Was wirklich hilft? Einfach die Straßenbahn nehmen. Doch auch da ist man vor Unbill nicht gefeit. Diese Woche war stadtauswärts hinterm Max-Weber-Platz ein Unfall, ein Auto stand im Gleisbett, es ging nichts mehr vorwärts und auch der Tram-Fahrer hatte keine Informationen. Dialog zwischen ihm und einem zugestiegenen Kollegen: Der schimpfte: "Wenn ein Kugelschreiber verloren gegangen ist, gibt's gleich zehn Funksprüche, aber bei so was hörst nichts." (Anita Naujokat, Stadtviertel-Redaktion)

Die Katastrophe ins Verhältnis setzen

Wenn die Wut wieder groß wird, und die Informationen bleiben aus, dann sage ich mir, dass die Bahnen und Züge immerhin überhaupt sehr häufig fahren und meist auch ankommen. Sogar in Augsburg. Wir fallen da aus einer luxuriösen Höhe - und überleben werden wir allemal. Das habe ich im Ausland ganz anders erlebt.

Außerdem haben wir vielleicht unser Leben viel zu sehr auf den Minutentakt eingestellt, und 15 Minuten, die wir warten müssen, kommen uns schon vor wie eine Ungeheuerlichkeit - während früher alles länger gedauert hat und deshalb vielleicht entspannter gereist wurde. Jedenfalls in Bezug auf die Dauer, nicht auf die Bequemlichkeit. Die Katastrophe ins Verhältnis setzen, das ist die Strategie. Außerdem habe ich natürlich immer was zu Lesen dabei. (Markus Schulte von Drach, Politik-Redaktion)

An die chilenischen Berge denken

Ich stelle mir vor, ich stünde in den chilenischen Bergen und warte auf einen Bus. Und vergegenwärtige mir, wie schwierig es ist, ein so großes System überhaupt am Laufen zu halten. Die Wütenden sollen das erstmal nachmachen. (Claudia Wessel, Redaktion Landkreis München)

Sich über "Me-Time" freuen

Ich pendle nun seit Jahren zwischen Chiemsee und SZ-Turm und muss oft warten, bis es weitergeht. Mittlerweile habe ich mich so damit arrangiert, dass die Warte- und Fahrtzeiten zu wertvoller "Me-Time", also Zeit für mich selbst, geworden sind. Morgens sortiere ich mich und überlege mir, was ich heute mit dem Tag anfange und erreichen möchte. Abends reflektiere ich den Tag. Immer dabei: Notizbuch und Stifte. Wenn dann mal mehr Zeit ist: Musik hören, Buch lesen, wichtige Telefonate oder E-Mails. Immer dabei: Kopfhörer, gute Musik und ein gutes Buch.

Sobald also das Chaos ausbricht, suche ich mir ein Plätzchen in einem stehenden Zug oder in einer Ecke am Bahnhof, beschäftige mich nicht weiter mit dem Chaos sondern genieße die gewonnene Zeit. Was ich dringend vermeide: Das Smartphone ziellos zu nutzen. Das unterstreicht bei mir die Unruhe und Ärger über Sinnlosigkeit der Aktion nur. Aus dem Weg gehe ich auch längeren Gesprächen mit verärgerten oder einsamen Mitreisenden, für die das Chaos ein willkommener Anlass ist, sich auszukübeln. Und ich vermeide es, Ausweichwege suchen, wenn nicht hunderprozentig sicher ist, dass das auch wirklich schneller geht. Ich bin schon zu oft in einen Bus gestiegen und habe kurz danach den Zug an mir vorbeiziehen sehen. (Andreas Scheerer, IT Publishing)

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