Nacht der Autoren:"Heute würde die Redaktion wohl Amok laufen"

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Die SZ im Wandel der Zeit: Luisa Seeling, Kurt Kister, Hans Werner Kilz und Laura Hertreiter. (Foto: Catherina Hess)

Mehr als 60 SZ-Redakteure stellen sich bei der "Nacht der Autoren" ihren Lesern vor - mal knurrend, mal selbstkritisch, mal lustig.

Von Anne Kostrzewa

Das Wesen des Chefredakteurs, sagt Außenpolitik-Redakteurin Luisa Seeling im Literaturhaus, wäre mit "warme Knurrigkeit" gut umschrieben. Oder mit "knurriger Wärme". Und Kurt Kister, der Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, der sehr tief hinabgerutscht in seinem Sessel sitzt, greift zum Mikro, zögert kurz. Lächelt. Und knurrt.

Es sind diese Momente, die SZ-Leser alljährlich zur "Nacht der Autoren" locken, wenn sie Redakteure treffen und hinter die Kulissen ihrer Zeitung blicken können. So auch am Samstagabend. Mehr als 60 Autoren der Redaktion standen ihrem Publikum auf sechs Bühnen in der Innenstadt bei 25 Veranstaltungen Rede und Antwort.

Platz für Selbstkritik

Zu erzählen gab es genug, immerhin feiert die SZ in wenigen Wochen ihren siebzigsten Geburtstag. Klar, dass da auch Platz für Selbstkritik sein muss. Ob früher alles besser war, will Außenpolitik-Chef Stefan Kornelius von Chefkorrespondent Stefan Klein wissen. Na ja, meint dieser, früher sei er eben mal drei Wochen für eine Recherche im kongolesischen Regenwald verschwunden. "Heute würde die Redaktion wohl Amok laufen, wenn ich drei Wochen nicht erreichbar wäre."

Rudolph Chimelli, tatsächlich seit fünfzig Jahren als Korrespondent in der Welt unterwegs, kann da nur schmunzeln. Zwischen Kornelius und Wien-Korrespondentin Cathrin Kahlweit sitzend, berichtet er von Zeiten, in denen Schreibmaschinen neben dem guten alten Bleistift als revolutionär galten. Natürlich sei es heute einfacher, auch wenn es schneller gehen müsse. Durch dieses Spannungsfeld bewegt sich der Abend: Wie war es früher, wo steht die SZ heute, wo will sie hin?

Nicht nur das Layout, das Aussehen der Zeitung, hat sich immer wieder verändert, wie das Publikum im Café Luitpold erfahren kann. Der wohl größte Umbruch in siebzig Jahren SZ war und ist bis heute: das Internet. Im Gloria-Palast am Stachus sprechen Chefredakteur Wolfgang Krach und Julia Bönisch, stellvertretende Online-Chefin, über die digitalisierte SZ. "Digital ist die Berichterstattung reicher, wir können mehr anbieten", sagt Krach. Ein Mehrwert, den auch immer mehr Leser entdeckten: Rund 40 000 Abonnenten scrollen sich mittlerweile auf dem Tablet durch die SZ. Das Nachrichtenportal SZ.de zählt im Monat acht Millionen Besucher.

München eins übergezogen

Was da viele Leser umtreibt, ist die Frage, ob die gedruckte Zeitung überhaupt eine Zukunft hat? Die Antwort gibt Kister im Literaturhaus: "Solange ich Chefredakteur bin, wird die Zeitung auf Papier erscheinen. Und danach auch." Tosender Applaus.

Das ist also geklärt, das Publikum kann sich zurücklehnen. Das Feuilleton bringt eine seiner Ausgaben auf die Bühne, einen Mix aus Literatur, Pop, Kunst und kritischer Gesellschaftsstudie. Eine Folk-Band spielt gegen die erste Müdigkeit im Publikum an. Kunstexpertin Kia Vahland analysiert ein Gemälde aus dem 17. Jahrhundert und schlägt über die abgebildete Gastfreundschaft gegenüber Merkur und Jupiter einen Bogen zum Empfang der Flüchtlinge am Münchner Hauptbahnhof.

Architekturkritiker Gerhard Matzig berichtet über seine eigenen architektonischen Anfänge (das Betonfundament für eine Teppichklopfstange) und zieht München eins über, indem er Städten wie Bielefeld, Gütersloh und Hannover größere Kompetenz beim modernen Wohnungsbau zuspricht.

"Ab jetzt lese ich auf jeden Fall mehr Feuilleton"

Spaß hat das Publikum auch mit Jörg Häntzschel, der sich über die Apple-Watch mokiert und dabei selbst zuweilen ein Lachen unterdrücken muss. Ressortleiter Andrian Kreye springt auf diese gute Laune auf und gewährt überraschende Einblicke in den algebraischen Kopf eines Kulturkritikers. Ein Beispiel? Pharrell Williams ("Happy") singt wie P. Diddy, geteilt durch Motown, minus Notorious B.I.G.

Bitte was? Noch eins: Star Wars ergibt in Kreyes Kopf ein Konstrukt aus Homers Ilias, Raumschiff Enterprise, dem Kriegsfilm "Der längste Tag" von 1962 und Lego. "Ab jetzt lese ich auf jeden Fall mehr Feuilleton", sagt ein Leser später am Ausgang. "Da ist ja richtig Stimmung drin." Stimmt. Und nicht nur dort.

© SZ vom 14.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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