Nachlass:Wenn Erben im Kleinkrieg endet

Facebook-Account nach dem Tod: Was passiert damit?

Ein Testament bedeutet: klare Nachlassregeln.

(Foto: dpa)
  • Noch nie wurde so viel Vermögen vererbt wie heute, gerade in München sind Erbschaften ziemlich wertvoll. Selbst für das baufällige Häuschen der Großmutter bekommt man heutzutage hunderttausende Euro.
  • Mit dem vielen Geld nehmen auch die Streitigkeiten zu - und mancherorts verändert sich wegen der Erbschaften sogar das Stadtbild.

Von Pia Ratzesberger

Wohnungsbesichtigungen sind ein Kampf, gerade in München, und die Arena betreten derzeit immer mehr Krieger, die erst einmal gar nicht so Furcht einflößend aussehen, die nicht mit dem Porsche vorfahren, sondern mit dem Volkswagen. Die von ihrem Schreibtisch im Amt erzählen, von ihren Ferien in Mecklenburg-Vorpommern an der Müritz.

Der Durchschnittsverdiener denkt also: Mit dem kann ich es schon aufnehmen, das ist noch nicht entschieden, wer von uns beiden siegt. Bis der Gegner so ganz nebenbei erwähnt, dass er die Million übrigens auch bar zahlen könne, er habe ja gerade erst geerbt, Direktüberweisung, alles kein Problem. Nach diesem bescheidenen Hinweis ist dann auch recht schnell ausgemacht, wer den Kampf für sich entscheidet, wer das Appartement kaufen darf: der wohlhabende Erbe.

Solche reichen Nachkommen gibt es immer mehr, noch nie haben die Deutschen so viel Vermögen vermacht wie heute. Die Generation der Großeltern hat nach dem Zweiten Weltkrieg in München neue Häuser hochgezogen, zerbombte wieder aufgebaut. Die Generation der Eltern hat sich verschuldet, um die Doppelhaushälfte in Laim zu erstehen, die Zwei-Zimmer-Wohnung in der Au. Was Großeltern und Eltern besitzen, fällt nun nach und nach den Jüngeren zu; niemand allerdings weiß, wie hoch die Summen tatsächlich liegen.

Schlimmer als ein Scheidungskrieg

Wie viel Erbschaftssteuer der Staat einnimmt, sagt nichts aus, denn lange nicht alle Erben müssen ihr neues Vermögen versteuern, wegen der gesetzlichen Freibeträge. Manche Ökonomen schätzen, dass bundesweit 200 bis 300 Milliarden Euro im Jahr vererbt werden.

Für München aber gibt es keine solcher Schätzungen, nicht einmal das Erbschaftsteueraufkommen in der Stadt ist bekannt: Beim Statistischen Landesamt heißt es, man erhebe die Daten nur für ganz Bayern, die Statistiken ließen keine regionalen Schlüsse zu, auch wegen der Geheimhaltungspflicht. Damit niemand aus den Datensätzen herauslesen kann, welcher Tod in welcher Familie den Nachkommen wie viel Geld eingebracht hat.

Doch auch wenn kein Amt Buch über die Erbschaften führt, durchziehen die Stadt Dutzende Belege, dass die neue Erbengeneration antritt. Makler etwa erzählen von eben diesen jungen Typen, die sich plötzlich die Eigentumswohnung leisten können, von der sie mit ihrem Gehalt vorher trotz fleißigen Sparens nicht zu träumen wagten. Notare berichten von immer mehr Familien, deren Mitglieder sich in ihrem Büro voller Tränen niederschreien. "Stellen Sie sich den dreckigsten Scheidungskrieg vor und multiplizieren Sie den mal drei, so läuft ungefähr ein Erbstreit ab", sagt Michael Bonefeld, Notar in der Neuhauser Straße.

Ein Erbe erinnert an vermeintlich Vergessenes, an die verletzenden Beleidigungen, die gut verschütteten Konflikte, das Gefühl, dass die Mutter einen ja ohnehin immer benachteiligt hat und der Bruder einem stets nur Böses wollte.

Vielleicht fechten auch deshalb so viele Münchner Testamente an, behaupten, dass die Oma doch nicht ganz bei Sinnen gewesen, dass die Unterschrift des Onkels gefälscht wäre - es sei schon auffällig, wie viele dem Willen der Verstorbenen versuchen zu trotzen, sagt Bohnefeld. Oft gehe es dabei eben nicht einmal ums Geld, sondern schlichtweg darum, Recht zu behalten.

Der Notar hatte zum Beispiel diesen einen Fall, da hatte eine Dame bereits 30 Millionen Euro aus einem Nachlass von 430 Millionen erhalten, so wie es im Testament festgelegt war. Die Frau aber, bereits über 70 Jahre alt, gab sich damit nicht zufrieden, sie forderte immer noch mehr Geld ein, irgendwann 60 Millionen Euro, dabei hatte sie selbst ohne das Erbe schon recht wohlhabend gelebt. Doch einen Erbstreit muss man sich auch leisten können, und in München können das anscheinend viele.

"Wenn der Alte weg ist, gehört mir das auch noch"

Beim Nachlassgericht heißt es, die Erben seien heute anspruchsvoller als früher, sie drängten ungeduldiger auf ihr Geld, riefen ständig an und schickten eine Mail nach der anderen: Ja, wo der Erbschein denn bleibe?

Dabei dürfen die Mitarbeiter am Gericht per Mail keine Auskunft geben, nicht einmal am Telefon, beides ist rechtlich nicht zulässig. Die Angestellten verschicken nach wie vor Briefe, für jedes der etwa 12 000 Nachlassverfahren, die sie in München jährlich wälzen. Die Zahl sei seit etwa 15 Jahren zwar stabil, sagt Jörg Landgraf, Leiter des Nachlassgerichtes. Doch es gehe oft um mehr Geld als noch vor zwanzig Jahren.

Erbschaften sind in dieser Stadt heute wertvoller, weil die Verstorbenen in den meisten Fällen nicht nur allerlei antiken Plunder, sondern auch Geld und Immobilien hinterlassen. Der Wert letzterer ist in der Landeshauptstadt immens gestiegen.

Selbst ein heruntergekommenes Häuschen, in den 60er Jahren erbaut, kann leicht Hunderttausende Euro einbringen, schließlich kann man das Ding abreißen, ein neues errichten. München ist schon so dicht bebaut, dass jedes frei werdende Stückchen Bauland Interessenten anzieht wie das Licht die Mücken.

Wer durch Viertel wie Trudering oder Großhadern geht, der sieht, wie das Erbe die Stadt verändert. Denn hier ruhen noch immer die klassischen Familienhäuser mit weitläufigem Garten, dazwischen aber klotzen neue gebaute Mietshäuser. Wenn Erbengemeinschaften ein Haus verkaufen, geht es nicht selten an einen Bauträger, der auf dem Grund einen Wohnungskomplex errichtet, mehrere Appartements bringen nun einmal mehr Geld.

"Privatleute können schwer mithalten, wenn ein Unternehmen das Grundstück haben will, es wird bei entsprechender baulicher Ausnutzbarkeit höhere Preise bieten können", sagt Rainer Regler, Notar in der Sendlinger Straße. Und wenn in einer Erbengemeinschaft auch nur einer seinen Anteil nicht mehr behalten will, dann bleibt den anderen meist nichts anderes übrig als zu verkaufen. Die Häuser in der Stadt sind mittlerweile so im Wert gestiegen, dass sich kaum einer leisten kann, den Abtrünnigen auszuzahlen.

Die Million hat man in München schnell beisammen

War es früher einmal üblich im Testament festzuhalten, dass die Kinder das Haus erhalten müssen, selbstverständlich auch noch für die Enkelkinder, ist das heute anders. "Kinder können sie heute in München nicht mehr an ein 50 Quadratmeter-Häuschen binden", sagt Jörg Landgraf vom Nachlassgericht. Gerade jetzt nicht, in den Zeiten, in denen Erben den Quadratmeter in der Stadt für im Schnitt um die 5000 Euro loskriegen.

Die Erben sind deshalb ein begehrtes Klientel in der Stadt, bei den Maklern, bei den Baufirmen, bei den Banken. Die Stadtsparkasse etwa hat eine eigene Abteilung für "Generationenmanagement", in der sie die Erben berät und auch die Erblasser.

Diese Leute, die sich zu Werner Mantl an den Schreibtisch setzen, sind meistens um die 70 Jahre alt und besitzen mindestens eine Million, aber die "hat man in München ja schnell beisammen", sagt Mantl. Mit 200 000 Euro in Wertpapieren zum Beispiel und einer Doppelhaushälfte.

Einem Kunden habe er neulich geraten, einen Teil seines Grundstücks schon jetzt seinen Söhnen zu vermachen, das sei günstiger, doch der betagte Herr verneinte. Er wolle doch nicht, dass die Kinder durch seinen Garten laufen und tönen: "Wenn der Alte weg ist, gehört mir das auch noch."

Manchmal, so sagt Werner Mantl, dauere es Jahre, bis einer seiner Klienten sich endlich dazu durchringe, sein Testament zu verfassen. Familie ist Kampf. Erben auch.

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