Nach Terrorwarnung:Münchner Großeinsatz gegen die Angst

Nach dem Terroralarm in München

Polizisten und Passanten gehen durch den Hauptbahnhof. Nach dem Terroralarm von München fahnden die Sicherheitsbehörden weiter nach islamistischen Extremisten.

(Foto: dpa)
  • Nach der Terrorwarnung am Silvesterabend sind in München noch immer mehr als 100 zusätzliche Polizisten unterwegs. Festgenommen wurde bisher niemand.
  • Ein erster Hinweis auf einen geplanten Anschlag um den 6. Januar herum soll bereits am 23. Dezember bei der Polizei in Karlsruhe eingegangen sein.

Von Katja Riedel und Christian Rost

Es schien so, als würden die Menschen die Innenstadt meiden. Freie Parkplätze waren Samstagvormittag im Zentrum Münchens problemlos zu finden, durch die Fußgängerzone schoben sich nur wenige Bummler. Ungewöhnlich für einen Einkaufssamstag. Offenbar hatte sich seit der Terrorwarnung und dem Großeinsatz der Polizei in der Silvesternacht am Hauptbahnhof und in Pasing ein Gefühl der Beklemmung über die Stadt gelegt. Zunächst konnte man den Eindruck haben, dass die Menschen trotz erhöhter Polizeipräsenz auf den Straßen lieber Zuhause bleiben, weil sie um ihre Sicherheit fürchten. Doch um die Mittagszeit stellte sich das normale Bild ein: Es herrschte gewohnter Trubel in den Geschäften und vorm Glockenspiel am Marienplatz.

Die Polizei gibt sich in diesen Tagen alle Mühe, das Gefühl der Sicherheit wieder herzustellen. Mehr Streifenfahrzeuge sind unterwegs, zivile Beamte mischen sich unter die Menge und halten nach Verdächtigem Ausschau. Unbemerkt von der Öffentlichkeit läuft der Polizeiapparat auf Hochtouren. Zwar ist die Zahl der Beamten im Vergleich zum Großeinsatz an Silvester wieder deutlich reduziert, aber mehr als 100 zusätzliche Beamte als sonst sind im Einsatz und fahren rund um die Uhr einen "erweiterten Raumschutz". Dabei werden neuralgische Punkte besonders genau kontrolliert.

Es gebe bislang zwar "keine Festnahmen im Zusammenhang mit Terror", so Sven Müller, Sprecher des Polizeipräsidiums. Die Gefahrenlage sei auch nur "abstrakt", wie schon seit Jahren. Doch im Hintergrund laufen permanent Einsätze im Zusammenhang mit der Terrorwarnung, die ja auch noch den Zeitraum bis Heilig-Drei-König am 6. Januar einschließt.

Nach den angeblich fünf bis sieben Terroristen aus dem Irak und Syrien, die sich womöglich in einem Münchner Hotel einquartiert hatten, wird pausenlos gefahndet - bislang ohne Ergebnis. Verdächtige Gegenstände werden genauestens kontrolliert. Und auch Trittbrettfahrer werden mit allen Mitteln verfolgt - wegen Störung des öffentlichen Friedens durch das Androhen von Straftaten.

Ein Großeinsatz am Pasinger Bahnhof: Fehlalarm

In der Nacht zum Sonntag kam es dann erneut zu einem Großeinsatz am Pasinger Bahnhof. Einer Streife der Bundespolizei war gegen 22 Uhr an einem öffentlichen Telefon im Bahnhofsgebäude etwas seltsam vorgekommen. Die Beamten sahen genauer hin und bemerkten, dass ein Kästchen an dem Gerät aufgebogen worden war. Ein Unbekannter hatte darin eine Überwachungskamera, wie man sie überall an Hauswänden findet, abgelegt. Weil die Polizisten nicht wussten, was das bedeuten soll, wurde der Bahnhof zur Sicherheit abgeriegelt und ein Sprengstoffsuchhund angefordert, der auch prompt anschlug vor dem Telefon.

Während dann Sprengstoffexperten des bayerischen Landeskriminalamtes (LKA) den Apparat genauer untersuchten und dabei auch ein mobiles Röntgengerät einsetzten, begann die Polizei damit, zwei Wohn- und Geschäftshäuser direkt gegenüber des Bahnhofsgebäudes zu evakuieren. 15 Bewohner mussten sich in den Großraumrettungswagen der Berufsfeuerwehr begeben, auch Reisende wurden aufgefordert, den Bahnhof zu verlassen. Züge konnten entweder nur noch auf den Richtung Norden abgewandten Bahnsteigen halten oder mussten in Pasing durchfahren.

Die Sprengstoffexperten entschieden schließlich, den Telefonapparat gegen 4.30 Uhr mit einer kontrollierten Sprengung zu öffnen, weil auch die Röntgenuntersuchung kein genaueres Bild ergeben hatte. Neben der alten, nicht mehr funktionstüchtigen Überwachungskamera fanden sich im Geldschacht des Telefons aber lediglich drei Euro. Gefährliches wurde nicht gefunden. Der Sprengstoffsuchhund hatte sich vermutlich von den Pulvergerüchen aus der Silvesternacht irritieren lassen. Was es mit der Kamera auf sich hat, darüber kann auch die Polizei nur rätseln. "Dass sie da lag, macht keinen Sinn", sagte Präsidiumssprecher Müller.

100 Hinweise zu verdächtigen Wahrnehmungen

Bis Sonntag gingen bei der Münchner Polizei etwa 100 Hinweise aus der Bevölkerung zu verdächtigen Wahrnehmungen ein. Mal wurde ein Auto mit belgischem Kennzeichen gesichtet, wodurch sich bei Anwohnern sofort Assoziationen zu den Anschlägen von Paris und den belgischen Drahtziehern einstellten.

Mal liefen durch Wohngebiete Personen, die dort noch nie gesehen worden waren und sich in den Augen von Zeugen verdächtig benahmen. Obwohl sich aus all den Hinweisen bislang nichts Konkretes ergab, sei es "richtig und wichtig", dass der Polizei ungewöhnliche Wahrnehmungen mitgeteilt würden, betont Müller.

Um Angst und Schrecken zu verbreiten, meldeten sich in den Tagen seit Silvester auch mehrere Trittbrettfahrer und drohten mit angeblichen Bomben. Drei Fälle wurden bislang bekannt. Die Polizei hatte schon angekündigt, dass sie alles daran setzen werde, solche Leute dingfest zu machen, was allerdings bislang nicht gelang.

Was Trittbrettfahrer anrichten können

Am Samstagnachmittag löste ein solcher Trittbrettfahrer einen Großeinsatz aus: Ein etwa 35 Jahre alter Mann, der auf dem Bild einer Überwachungskamera schwarze Haare hat, eine weiße Mütze und eine schwarze Umhängetasche trug, rief von öffentlichen Telefonen im Hauptbahnhof zweimal im Abstand von zwölf Minuten bei der Polizei an und sagte etwas von "München" und "Bombe". Danach stieg der mutmaßliche Täter am Gleis 13 in einen Regionalzug, der nach einem Zwischenhalt in Pasing über Augsburg nach Ulm fuhr.

Die Polizei entschied sich, den Zug in Mammendorf zu stoppen und zu durchsuchen. Mit geschlossenen Türen stand der Zug fast eine Stunde im dortigen Bahnhof, der Trittbrettfahrer war aber schon verschwunden. Womöglich war er bereits in Pasing ausgestiegen.

Passiert ist bislang glücklicherweise nichts in München. Doch es bleiben viele Fragen: Was führte zu der Terrorwarnung? Wie ernst musste man sie nehmen?

Bekannt wurde jetzt, dass der erste Hinweis zu einem angeblichen Anschlag zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag in München von einer Polizeistation in Baden-Württemberg kam. Ein aus dem Irak stammender Mann war dort persönlich vorstellig geworden. Polizeikreise bestätigten der SZ einen entsprechenden ARD-Bericht.

Demnach hatte am Vorweihnachtstag jener Mann von den Anschlagsplänen berichtet. Er nannte als mögliches Ziel München und sprach davon, dass sich sieben Männer mit Sprengstoff und Anschlagsplänen bereits in der Stadt aufhielten. Weiter beschrieb er ein Hotel, in dem die mutmaßlichen Attentäter untergekommen sein sollten, und nannte arabische Namen, deren Echtheit bis heute nicht bestätigt ist. Auch die beiden Bahnhöfe nannte er als Anschlagsziel - nicht aber die Silvesternacht als Zeitpunkt. Er gab überdies an, diese Information von seinem im Irak lebenden Bruder erhalten zu haben. Der Bundesnachrichtendienst hatte danach die Möglichkeit, diesen Mann vor Ort zu befragen.

Nach SZ-Informationen waren in den folgenden Tagen nicht nur deutsche Sicherheitsbehörden, sondern auch mehrere ausländische Geheimdienste involviert, die versucht haben, die Hinweise der Brüder zu verifizieren. Federführend sei der amerikanische Geheimdienst gewesen, der als Mittler aufgetreten sein soll. Auch aus dem Irak gab es brisante Informationen: Einer der von dem Zeugen genannten Namen konnte einem Mann in Bagdad zugeordnet werden. Angeblich sollte sich dieser bereits mit anderen in einem Apartmenthotel im Münchner Westen aufhalten, berichteten am Sonntag verschiedene Medien, Sicherheitskreise bestätigten dies der SZ.

Das Hotel wurde zunächst observiert und die Bewohner wurden überprüft. Dabei ergab sich nichts Verdächtiges. Dennoch wurde zwei Wohnungen in dem Gebäude, die man noch für den wahrscheinlichsten Unterschlupf hielt, am 30. Dezember durchsucht - ohne Ergebnis. Die Entscheidung, die Öffentlichkeit in der Silvesternacht zu informieren und die beiden Bahnhöfe zu sperren, fiel dann erst, nachdem der französische Geheimdienst am Silvesterabend einen konkreten Anschlagszeitpunkt genannt hatte.

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