Nach Missbrauch einer Siebenjährigen:"Das System Fußfessel hat versagt"

Ein Mann wird aus der Sicherungsverwahrung entlassen. Vier Monate später vergeht er sich in München an der Tochter einer Bekannten, obwohl er eine Fußfessel trug. Nun gibt es heftige Kritik an der Arbeit der Polizei - und Zweifel an der Wirkung der Fußfessel.

Susi Wimmer

Der mutmaßliche Missbrauch einer Siebenjährigen durch einen Sexualstraftäter mit Fußfessel sorgt einen Tag nach Bekanntwerden der Tat für Empörung. Hermann Benker, bayerischer Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, äußerte heftige Kritik: "Das System Fußfessel hat jetzt schon - wenige Monate nach der Einführung - versagt."

Zentrale für Fußfessel-Überwachung

Hat die elektronische Fußfessel versagt? Der bayerische Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft sieht das so.

(Foto: dpa)

Das polizeiliche Heads-Projekt, in dem der haftentlassene Sexualstraftäter betreut wurde, hat offenbar in diesem Fall nicht gegriffen. Warum Polizei und Justiz die Tat nicht öffentlich machen wollten, ist ebenfalls Anlass für Verärgerung.

Der Missbrauch des Mädchens im April 2012 war erst nach einem Fernsehbeitrag bekannt geworden. "Wer weiß, ob das der einzige Fall war", fragt der Polizeigewerkschafter Benker. Er fordert eine bundesweite Informationspflicht gegenüber der Öffentlichkeit.

Es geht um den 40-jährigen Andreas R., der Polizei und Justiz schon seit Jahrzehnten beschäftigt - und dabei immer wieder blamierte. Bereits 1986, als 15-Jähriger, soll er in Passau einen fünfjährigen Nachbarsjungen missbraucht haben. Der Fall wird erst 1994 angezeigt, da wohnt R. bereits in München. Die Ermittlungen verlaufen im Sande.

1993 fängt Andreas R. an, seine Stieftochter zu missbrauchen. Das Mädchen ist fünf Jahre alt, ihr Martyrium zieht sich bis zu ihrem zehnten Lebensjahr. Dann wird R. verurteilt, kommt aber nach vier Jahren auf Bewährung frei. Er hält sich nicht an die Auflagen, verfolgt ein Mädchen in Neuperlach. Dessen Eltern fühlen sich von der Polizei im Stich gelassen.

Die Münchner Staatsanwaltschaft beantragt, seine Bewährung zu widerrufen. Bis die amtlichen Mühlen mahlen, vergehen fünf Monate. Genug Zeit für R., Kinder zu beobachten und anzusprechen. "Das ist nicht so gelaufen, wie es hätte sein müssen", sagte Justizministerin Beate Merk 2005 zum Fall Andreas R. "Gottlob ist nichts passiert!"

Die nächsten Jahre verbringt der Münchner in Sicherungsverwahrung, aus der er Ende 2011 entlassen wird. Denn das Bundesverfassungsgericht hatte im Mai 2011 geurteilt, dass die Sicherungsverwahrung nur verlängert werden kann, wenn eine psychische Störung vorliege und eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- und Sexualstraftaten von dem Betreffenden ausgehe.

Das Oberlandesgericht Nürnberg kommt zu dem Schluss, dass von Andreas R. diese Gefahr nicht ausgeht und lässt ihn frei. Er muss eine Fußfessel tragen und wird in die Heads-Datei der Polizei aufgenommen. Vier Monate nach seiner Entlassung vergeht sich R. an der siebenjährigen Tochter einer Bekannten.

Mittels der Fußfessel kann nur überprüft werden, wo sich der Träger aufhält. Nähert er sich etwa einem Kinderspielplatz, wird an einer zentralen Stelle Alarm ausgelöst. Jetzt ruft die Polizei auf dem Handy des Betreffenden an, hebt er nicht ab, wird eine Fahndung ausgelöst.

Einen hundertprozentigen Schutz vor Rückfällen, das räumte Merk von Anfang an ein, könne das System nicht bieten. Man setze auf die abschreckende Wirkung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung. Bayernweit tragen zehn entlassene Straftäter eine Fußfessel.

Zugleich werden haftentlassene Sexualstraftäter, die weiter als gefährlich eingestuft werden, in der Heads-Datei gespeichert. Die Männer sollen möglichst engmaschig von Führungsaufsicht, Bewährungsstelle und Polizei betreut werden.

Die Polizei überprüft den Wohnort des Mannes, sie stellt fest, in welchem Personenkreis er sich bewegt, und lädt regelmäßig zu so genannten Gefährderansprachen. Auch Andreas R. stand Rede und Antwort über sein Leben und seine Beziehungen. Offenbar wirkte er nicht wie eine tickende Zeitbombe. Jetzt sitzt er wieder in Haft.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: