Nach Hunde-Attacken in München:Umstrittene Leinenpflicht tritt in Kraft

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371 Vorfälle mit Hunden hat die Stadt München im vergangenen Jahr gezählt. 140 davon waren so krass, dass danach Sanktionen verhängt wurden. (Foto: lok)

50 Zentimeter - nicht mehr. Jeder Hund, der größer ist, muss von heute an vielerorts in München an die Leine. Reine Willkür, sagen Tierfreunde. Kann ein Mini-Hund etwa nicht aggressiv werden? Trotz aller Kritik tritt die Verordnung in Kraft. Wer sich nicht daran hält, dem drohen hohe Strafen.

Von Dominik Hutter

Es gilt, möglichst rasch den Familienhund zu vermessen. Liegen 50 Zentimeter oder mehr zwischen Pfote und Schulter, sollte künftig beim Spazierengehen die kurze Leine griffbereit sein.

Denn an diesem Donnerstag tritt die neue Münchner Hundeverordnung in Kraft, und die beinhaltet einen Passus, der bei manchem Tierbesitzer das Blut in Wallung bringt: eine Leinenpflicht an zahlreichen Stellen der Stadt, an denen bislang freier Auslauf gestattet war. Zwar beteuert Kreisverwaltungsreferent Wilfried Blume-Beyerle, dass in München grundsätzlich am Freilauf-Prinzip festgehalten werde. Begeisterte Gassi-Gänger dürfte dies aber nicht beruhigen - die Zahl der Ausnahmen ist stark gestiegen.

So darf man sich künftig im gesamten Gebiet innerhalb des Altstadtrings nicht mehr ohne Leine erwischen lassen. Weitere Tabuzonen für Freilauf-Fans sind - auch außerhalb der Altstadt - sämtliche ausgeschilderten Fußgängerzonen, verkehrsberuhigte Bereiche mit Spielstraßenschild sowie alle öffentlichen Märkte, Versammlungen und Veranstaltungen. Spielplätze sind für sämtliche Hunde seit eh und je tabu, da hilft auch die Leine nichts.

Neu ist allerdings, dass große Tiere im näheren Umfeld von Spielplätzen angeleint werden müssen. Mit diesem etwas schwammigen Umgriff sind etwa die Bereiche rund um die Bänke gemeint, auf denen Eltern das Treiben auf Klettergerüst und Rutsche verfolgen. Oder die Wege rings um den Sandkasten. Die Verordnung gilt für öffentliche wie für private Spielplätze gleichermaßen.

Unter Münchens Hundebesitzern ist der Ärger groß, seitdem Blume-Beyerles Pläne den Stadtrat passiert haben. Ohne Gegenstimmen übrigens, obwohl die Leinenpflicht anfangs auch in der Politik viele Gegner hatte. Offenbar konnte der als Hundefreund geltende Referent Überzeugungsarbeit leisten. Das Thema war von Anfang an heikel: Denn Auslöser der Debatte waren gleich mehrere Vorfälle mit Hunden im Jahr 2012. Vor allem die Attacke auf ein zweijähriges Mädchen in Harlaching, das ins Gesicht gebissen wurde.

In den Statistiken des Kreisverwaltungsreferats sind fürs vergangene Jahr 371 gemeldete Vorfälle mit Hunden verzeichnet. Besonders bedenklich findet Blume-Beyerle die 140 besonders krassen Fälle, nach denen sicherheitsrechtliche Sanktionen verhängt wurden - diese Zahl liegt gut doppelt so hoch wie der Wert für 2011.

Zwar ist auch dem Referenten klar, dass die vielen Meldungen nicht zuletzt auf eine größere Sensibilität der Münchner zurückzuführen sind. Die kommt aber natürlich nicht von irgendwoher, zumal nicht nur die Zahl der Einwohner ständig zunimmt, sondern auch die der Hunde. Es wird eng, soll das heißen - zu eng, um das Geschehen sich selbst zu überlassen. Zumindest in den besonders belebten Teilen der Stadt, an denen nun Leinenzwang gilt.

Wer nun glaubt, dem Recht mit irgendeinem Alibi-Schnürchen Genüge tun zu können, hat sich geirrt. Deutsche Verordnungen beweisen bekanntlich nur selten Mut zur Lücke. Als Leine gilt laut Definition ein reißfestes Exemplar von maximal zwei Metern Länge, das am Halsband oder Geschirr sicher befestigt ist, damit der Hund nicht herausschlupfen kann.

Auch die 50 Zentimeter Schulterhöhe bieten wenig Raum zur Interpretation: Gemeint ist stets das erwachsene Tier. Und zwar ganz individuell. Wer einen für seine Art ungewöhnlich großgewachsenen Hund besitzt, hat schlicht und einfach Pech gehabt, das Tier muss an die Leine. Erwachsene Schäferhunde, Boxer, Dobermänner und Deutsche Doggen fallen grundsätzlich unter die neue Verordnung. Auch wenn sie von kleiner Statur sind.

Enger Spielraum für die Kommunen

Die 50-Zentimeter-Marke gilt in Hundebesitzerkreisen bereits als Symbol der Willkür. Kann ein Mini-Hund etwa nicht aggressiv werden? Oder ein Tier im Kalbsformat von derart sanftmütigem Charakter sein, dass jedes Kleinkind die Führungsrolle einnehmen kann? Tatsächlich findet auch der einstige Sennenhund-Besitzer Blume-Beyerle die Halbmetermarke nicht wirklich ideal. Sie ist aber nicht zu umgehen: Der Gesetzgeber hat den Begriff "große Hunde" so definiert und erlaubt den Kommunen nur innerhalb dieses Rahmens, eine Leinenpflicht zu erlassen. Daher wäre es auch nicht zulässig, die Verordnung auf sämtliche Hunde auszudehnen.

Unverändert bleiben die Regelungen bei U- und S-Bahn - hier muss immer angeleint werden - sowie in den städtischen Grünanlagen, wo Hundebesitzer schon jetzt mit grünen Pollern auf Bereiche mit Leinenpflicht hingewiesen werden. Die Größe des Tieres spielt dabei keine Rolle. Im Westpark gilt die Regelung flächendeckend - wie übrigens eigentlich auch in den großen staatlichen Parks wie Englischer Garten oder Nymphenburger Schlosspark.

Die Zahl dort freilaufender Hunde spricht allerdings für sich. Und gegen die Praxis der Schlösser- und Seenverwaltung, auf Bußgelder zu verzichten. Die Stadt will auf ihrem Areal nun härter durchgreifen. Zwischen fünf und 1000 Euro kann das Kreisverwaltungsreferat von Leinen-Sündern kassieren. Theoretisch. In der Praxis, so schätzt Blume-Beyerle, dürften für einen freilaufenden Hund in der Fußgängerzone etwa 100 bis 300 Euro fällig werden. Die Zahl der Kontrolleure hält sich allerdings in Grenzen. Auch wenn die Behörde zwei zusätzliche Mitarbeiter in den Außendienst schickt.

Zusätzlich kümmern sich die Experten des Referats auch um gemeldete Vorfälle mit Hunden, denen in jedem Einzelfall nachgegangen wird. Denn der Knackpunkt, das ist auch Blume-Beyerle klar, ist nicht die Größe, sondern das tatsächliche Verhalten des Tieres. Und das lässt sich bekanntlich schulen - weshalb die Stadt auch den sogenannten Hundeführerschein voranbringen will. Als Anreiz, einen entsprechenden Kurs zu belegen, ist eine einjährige Befreiung von der Hundesteuer im Gespräch. Der Stadtrat hat jedoch noch keinen Beschluss gefasst.

Deutlich strengere Vorschriften gelten für Kampfhunde, die auf Straßen und Plätzen der gesamten Stadt "zu jeder Tages- und Nachtzeit" an der Leine gehalten werden müssen. Ausnahmen genießen dagegen Blindenhunde, Hütehunde und Diensthunde der Polizei oder von privaten Sicherheitsunternehmen.

© SZ vom 11.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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