Nach der Attacke auf Dominik Brunner:"Die Täter sind krank"

Drei Jugendliche aus München schildern ihre persönliche Sicht auf die Sollner Tat und sprechen über Aggressionen, Ängste und Zivilcourage.

C. Eder, M. Maier-Albang und M. Ruhland

Auch neun Tage nach der tödlichen Attacke auf Dominik Brunner am S-Bahnhof Solln beschäftigt viele die Frage: Wie ist solche Brutalität möglich? Die SZ hat drei Jugendliche eingeladen, um ihre Sicht auf die unfassbare Tat zu schildern. Julius, 16, geht an die Fraunhofer-Realschule in Fürstenried, Till, 15, ist Schüler am Klenze-Gymnasium und Nikola, 13, besucht die Hauptschule in der Cincinnatistraße.

SZ: Wie habt ihr von dem Überfall auf Dominik Brunner erfahren?

Julius: In den Nachrichten, im Fernsehen und aus der Zeitung.

Till: Ich war noch in den Ferien, als es passiert ist. Deshalb erfuhr ich erst später in den Nachrichten davon.

Nikola: Mich hat ein Freund angerufen, der den Markus kennt. "Der hat jemanden umgebracht", hat er gesagt. Und ich hab mir nur gedacht: Scheiße. Kann man nichts machen.

SZ: Kann man nichts machen?

Nikola: Jetzt nicht mehr. Der hätte das echt nicht machen dürfen. Wahrscheinlich war der Markus besoffen.

SZ: Galt er sonst als nicht so aggressiv?

Nikola: Der hat schon mal rumgeschlägert, aber nur so aus Spaß.

SZ: Gibt es an euren Schulen vorbeugende Projekte gegen Gewalt?

Julius: Ab der Neunten kann man sich zum Streitschlichter ausbilden lassen.

Till: Wir hatten ein paar Projekte, Gewalt- und Drogenprävention. War schon ganz gut. Da kommt einer auf dich zu und du sagst ihm mit erhobener Hand: Stopp!

Nikola: Das bringt dir aber nicht viel, kann ich dir sagen. In unserer Klasse ist es schlimm. Manchmal schlagen sie sich im Klassenzimmer. Oder auf dem Schulhof. Meist nicht richtig hart. Da passen schon die Lehrer drauf auf, dass nichts passiert. Nur, wenn sie mal nicht hinschauen, schlagen die halt zu.

SZ: Wer schlägt wen?

Nikola: Na ja, die Hip-Hopper schlagen die Skater und die Nazis.

SZ: Was würdet ihr machen, wenn ihr seht, dass drei Jugendliche Kinder anpöbeln und Geld erpressen wollen?

Nikola: Ich würde hingehen und sagen: Lasst das, das sind kleine Kinder, das geht echt nicht.

Wie hättet Ihr reagiert?

SZ: So klein waren die Kinder nicht, sondern zwischen 13 und 15 Jahre alt.

Nikola: Dann hat er die abgezogen. Also beklaut.

Till: Wenn ich in so eine Situation kommen würde, hätte ich schon Angst, dass sie mich verprügeln, wenn ich helfe. Ich würde sicher nur einschreiten, wenn ich Freunde dabeihätte.

SZ: Haben sich die Täter provoziert gefühlt, weil sich da ein Erwachsener eingemischt hat?

Nikola: Die haben in dem Moment sicher nichts gepeilt, waren in einem anderen Film und haben sich gesagt: Wenn der es so will, kriegt er eben eine aufs Maul. Denen wurde sicher erst hinterher bewusst, dass sie Scheiße gebaut haben. Die planten das nicht so wie ein Amokläufer. Solche Typen sind krank im Kopf. Die spielen den ganzen Tag Counterstrike, ziehen sich auch in der Nacht noch den Scheiß rein, und irgendwann drehen sie durch.

SZ: Was denken deine Freunde über Dominik Brunner, den Mann, der einschritt und dafür tot geprügelt wurde?

Nikola: Wir haben da nur einmal kurz drüber geredet. Da hat einer gesagt: Hätte er sich nicht eingemischt, wäre er nicht tot. Aber ich denke: Schon schade, dass er tot ist. Das hätte nicht passieren dürfen. Mir tut es leid um seine Familie. Der war echt mutig.

SZ: Wie hättet ihr reagiert, wenn ihr in der Situation der Schüler gewesen wärt?

Julius: Ich würde erst einmal versuchen, mit denen zu reden. Aber bevor sie mich verprügeln, gebe ich ihnen lieber das Geld. Vielleicht würde ich auch versuchen, jemanden um Hilfe zu bitten.

Till: Ich würde auch mit ihnen reden. Im Zweifelsfall aber weglaufen.

Nikola: Ich würde nicht um Hilfe rufen, ich würde mich wehren.

SZ: Und wenn die stärker sind als du?

Nikola: Meine Freunde würden mir helfen. Die sind stark. Und ich habe gelernt, mich selber zu wehren. Wir schlagen uns manchmal zum Spaß, da lernt man das. So eine mitgeben. Aber ich bin nicht der Typ, der gerne schlägert.

SZ: Aggressionen sind menschlich. Was macht ihr, wenn ihr wütend seid?

Julius: Ich spiele Schlagzeug. Da kann man sich dransetzen und draufhauen.

Till: Ich habe eigentlich selten starke Aggressionen. Aber ich gehe oft klettern. Vermutlich baut das die Energien ab. Geschlagen habe ich mich noch nie.

Nikola: Wenn ich merke, dass ich aggressiv werde, zünd' ich mir eine an. Aber ich bin eigentlich nicht so aggressiv. Vielleicht, weil ich viel draußen bin und auch fast nicht am Computer spiele.

Hilft mehr Überwachung?

Till: Wir haben zu Hause viel über den Vorfall gesprochen, auch darüber, woher diese Aggression kommt. Früher haben die Kinder auf dem Schulhof öfter gerauft. Das gibt es heute nicht mehr so. Vielleicht liegt es auch daran, dass dann jemand gleich so ausrastet.

SZ: Aber wie kann es sein, dass ein Jugendlicher immer weiter tritt und schlägt, selbst dann, wenn sein Opfer schon am Boden liegt?

Nikola: So etwas tut man nur, wenn man besoffen ist oder unter Drogen steht. Manche werden ruhig, peilen die Welt nicht mehr, wenn sie stoned sind. Legen sich auf Boden und kotzen. Andere werden aggressiv. Drogen sind ein großer Scheiß, es bringt dir nichts. Du gibst dein ganzes Geld dafür aus. Die Bullen suchen dich, du hast viel Stress. Wenn du Drogen nimmt, musst du dir Geld besorgen und ziehst andere Leute ab.

SZ: Wie kann man einem helfen, der in die Drogenszene abrutscht?

Julius: Wenn jemand selbst nicht von den Drogen loskommen und auch nicht aus seinem Umfeld weg will, ist das schwierig. Wie willst du ihn überreden, sich neue Freunde zu suchen?

Till: Wenn es dein bester Freund ist, nimmt er sich vielleicht zu Herzen, was du ihm sagst.

Nikola: Wenn man einmal in dem Sumpf drin ist, kommt man nicht mehr raus, hat mir einer erzählt. Der ist 25, spritzt sich Heroin. Die Abhängigen sagen aber auch: "Macht' das nicht." Das finde ich gut. Die wollen nicht, dass andere da mitreingezogen werden.

SZ: Diskutiert wird momentan eine Verschärfung des Jugendstrafrechts zur Abschreckung. Kann man sich in eurem Alter überhaupt vorstellen, was zehn oder 15 Jahre Gefängnis bedeuten?

Nikola: Zehn Jahre sind schon 'ne verdammt lange Zeit. Aber erst 15!

Julius: Ich glaube nicht, dass einen Schläger interessiert, welche Strafe er bekommt. Wenn er gerade jemanden stiefelt, ist ihm das doch egal. Der denkt nicht drüber nach, was aus ihm wird.

SZ: Politiker fordern mehr Überwachung in der S-Bahn. Würdet ihr euch dann sicherer fühlen?

Julius: Im Ernstfall hilft dir das nichts. Bis jemand da ist, liegst du am Boden. Am besten wäre es wohl, an jeden S-Bahnhof zwei Polizisten hinzustellen - aber das geht ja nicht.

Till: Vielleicht lassen sich manche Täter durch Kameras abschrecken. Aber wenn die wissen, dass ein Bahnhof überwacht wird und sie legen es auf einen Überfall an, dann verfolgen sie ihr Opfer halt bis zum nächsten dunklen Park.

Nikola: Kameras helfen schon. Weil die Polizei die Täter hinterher finden kann, wenn da so 'ne fette Kamera hängt - außer sie haben eine Sturmhaube auf.

SZ: Gibt es Konsequenzen, die man aus Solln ziehen müsste?

Julius: Solche Leute, die ihre Aggressionen nicht im Griff haben, wird es immer geben. Das Einzige, was vielleicht hilft, sind mehr Präventionsprogramme in den Schulen.

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