Mut:Rückkehr der Buchrolle

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Antonia Stolz und Ioan Brumer sind einst vom Westend nach Berlin Wedding übersiedelt, um ihren Verlag "Round not square" zu gründen. Was dabei herauskommt, wenn man Ungewöhnliches wagt, ist nun bei "Kunst und Textwerk" zu sehen

Von Stefanie Schwetz

Schwanthaler Höhe - Die Geschichte spielt irgendwo im All, in einer fernen Zukunft. Auf einem vom Krieg zerstörten Planeten kämpfen nomadische Schrottsammler ums Überleben. Einzig die starren Regeln einer überlieferten Hierarchie haben in diesem von der Zivilisation verlassenen Universum noch Bestand. Auch Oishi, oberster Samurai vom Clan der Asano, gehört zu den Gestrandeten. In dieser, dem Untergang geweihten Welt konfrontiert der Augsburger Illustrator und Comic-Zeichner Paul Rietzl den Helden seiner Graphic Novel "Shipwreck" mit den existenziellen Fragen des Menschseins. "Was bin ich? Ich weiß es nicht. Aber ich habe einen Ort gefunden, an dem diese Frage nicht gestellt wird."

Shipwreck ist ein gerollter Comic, 20 Zentimeter breit, zwölf Meter lang, und eine Neuerscheinung aus dem jungen Berliner Verlag für Buchrollen "Round not square". Am Donnerstag, 17. November, wird die ungewöhnliche Publikation im Buchladen "Kunst und Textwerk" im Westend vorgestellt. Für die Verlagsgründer Antonia Stolz und Ioan Brumer ist das eine Art Rückkehr.

Die Hauptstadt mit ihrer "Vielfalt der Lebensstile" inspirierte das junge Paar

In einer dem Untergang geweihten Welt konfrontiert Zeichner Paul Rietzl den Helden seiner Graphic Novel mit den existenziellen Fragen des Menschseins. (Foto: Round Not Square)

2015 haben sie mit Round not square begonnen. Die Idee kam den beiden, als sie während der gemeinsamen Elternzeit mit dem VW-Bus durch Griechenland tourten. Das war im Jahr 2013. Damals wohnte die junge Familie noch im Westend, arrangierte das Leben mit Kind rund um zwei zeitintensive Jobs in einer Unternehmensberatung und träumte von einer familienfreundlichen Zukunft: Davon, etwas Eigenes zu machen, kreativ zu sein und zusammenzuarbeiten.

2014 zog das Paar samt Kind nach Berlin, inspiriert von der "Vielfalt der Lebensstile" dort. "Außerdem haben wir hier die Hälfte der Lebenshaltungskosten, die wir in München hatten", erklärt Antonia Stolz. Ein schlagendes Argument für eine Familie im Existenzgründer-Modus. Dennoch haben die jungen Verleger das Westend als sehr lebenswertes und offenes Viertel in Erinnerung. Als den Münchner Stadtteil, der Berlin am nächsten kommt.

Szenenwechsel. Eine ruhige Straße in Berlin-Wedding. Ein großzügiges, weiß getünchtes Ladenlokal mit großer Fensterfront. Links ein riesiger massiver Holztisch, rechts an der Wand robuste Holzleisten, auf denen Buchrollen in unterschiedlichen Größen, Farben und Designs lagern. Das eine oder andere Buch lehnt auseinander gerollt an der Wand. Mal sieht man eine Reihe fotografischer Bildsequenzen, mal Zeichnungen und Textelemente einer Kindergeschichte. Im Hinterzimmer läuft die Druckmaschine.

Die beiden Ex-Münchner Ioan Brumer und Antonia Stolz haben den Verlag "Round Not Square" gegründet. (Foto: Round Not Square)

Antonia Stolz wirft einen prüfenden Blick auf den Druckvorgang, schaut, ob sich Falten bilden, kontrolliert die Farbqualität. Und allmählich erscheint auf der Papierrolle das Bild von Oishi, dem Samurai aus "Shipwreck", wie er sich an seinem Schwert festhält und den Blick in die Zukunft richtet, "dorthin, wo man in den offenen Weltraum blicken und träumen kann, wo einem bewusst wird, dass es deutlich mehr gibt im Universum als das Trümmerfeld und seine starren Regeln."

Antonia Stolz und Ioan Brummer wissen um die Bedeutung solcher Sätze. Sie haben sich längst von festen Strukturen verabschiedet, haben mit ihren Buchrollen etwas Neues gewagt und auch andere davon begeistert. Nicht umsonst konnte die Druckmaschine durch eine weltweite Crowdfunding-Initiative finanziert werden. Mit Round not square hat sich das Paar sein ganz persönliches Lebens- und Arbeitsmodell geschaffen. Ob sie wirklich weniger arbeiten als in ihren alten Jobs, wissen sie nicht.

Eine sinnliche Erfahrung wird die gerollte Graphic Novel "Shipwreck" von Paul Rietzl. (Foto: Round Not Square)

"Aber wir arbeiten lieber und vielschichtiger als je zuvor. Am Anfang haben wir einfach rumgesponnen, während wir gleichzeitig über die Möglichkeiten analoger und digitaler Medien nachdachten", gesteht Antonia Stolz. Was als Hirngespinst begann, reifte schließlich zu einer soliden Geschäftsidee inklusive Marktrecherche und Businessplan. "Unsere Buchrollen vereinen die Geste des Wischens und den Eindruck der Endlosigkeit, den man am Bildschirm erlebt, mit den Schriftrollen des Altertums und der Kunst des Buchdrucks", erklärt Ioan Brumer das Rollen-Konzept, bei dem Sehsinn und Tastsinn zueinanderfinden.

"Unsere Buchrollen vereinen die Geste des Wischens und den Eindruck der Endlosigkeit."

Dass so etwas auf dem Markt noch nicht existierte, war einerseits ein Vorteil. Auf der anderen Seite blieb den Unternehmensgründern deshalb aber auch nichts anderes übrig, als all das, was es noch nicht gab, selber zu machen - von der Akquise der Künstler und Autoren, über den Vertrieb bis zur technischen Herstellung. "Wir hätten nie gedacht, dass wir auch selbst drucken müssen", erzählt Stolz.

Einmal griff sie bei einem Problem mit dem Rollenformat sogar zur Laubsäge. Aber mit jeder Hürde, die genommen war, wuchs auch die Überzeugung für das eigene Tun. "Das Weltall ist ein gigantischer, leerer, prächtiger Raum. Es ist an uns, diesen Raum mit Sinn zu füllen." So steht es in der Geschichte über den Samurai Oishi. Antonia Stolz und Ioan Brumer finden diesen Sinn auch in der Zusammenarbeit mit all den Filmemachern, Fotografen, Zeichnern, Buchbindern und Erzählern, die das Sortiment ihres Verlags bereichern.

Paul Rietzls Shipwreck ist das mittlerweile sechste Buch, das dort als Rolle erscheint, ein als Science-Fiction-Comic getarnter Entwicklungsroman, der mehr mit der Realität gemein hat, als es zunächst scheint. "Die Vergangenheit macht uns zu dem, was wir sind. Aber sie formt auch die Gegenwart", heißt es darin.

"Shipwreck" von Paul Rieztl, Präsentation am Donnerstag, 17. November, 20 Uhr, Buchhandlung Kunst und Textwerk, Ligsalzstraße 13.

© SZ vom 12.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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