Musikszene:"München kann mehr als scheiße sein"

Musikszene: Typisch München: Taiga Trece, Moop Mama, Blumentopf und Liquid & Maniac (von links oben im Uhrzeigersinn).

Typisch München: Taiga Trece, Moop Mama, Blumentopf und Liquid & Maniac (von links oben im Uhrzeigersinn).

(Foto: Keno Peer, Conny Mirbach, Ilkay Karakurt (Screenshots: SZ))
  • Sebastian Schnitzenbaumer von der Plattenfirma Schamoni Musik kündigt an, die Stadt wegen Geschäftsschädigung verklagen zu wollen. Denn: München werde nicht mit cooler Popmusik assoziiert.
  • Andere Musikschaffende widersprechen ihm.
  • In Zahlen gesehen, ist München im gesamten Kunstbereich erfolgreich.
  • Aber auch Schnitzenbaumers Kritiker finden: In der Stadt fehlt es an Freiräumen.

Von Michael Bremmer

Auf die aufblasbaren Brezn als Deko haben sie in diesem Jahr verzichtet. Weißbier wurde ausgeschenkt, es gab Nürnberger Rostbratwürste - aber diese Details blieben vielen Besuchern Ende September beim Reeperbahnfestival in Hamburg verborgen. Vermutlich ist dies dem Besucher im Sommersalon direkt am Spielbudenplatz an diesem Abend reichlich egal gewesen. Vermutlich werden sie sich über jeden Schluck Bier gefreut haben, egal ob Astra oder Weihenstephaner. Schnell an die Bar und dann wieder vor die Bühne, denn es war voll bei der "Bavarian Export Session", zu der der Verband für Popkultur in Bayern eingeladen hatte.

Fünf bayerische Bands spielten an diesem Abend, drei aus München (Kytes, Me + Marie, Nalan 381), eine aus der Oberpfalz (William's Orbit) und die Mundart-Hip-Hop-Crew Dicht & Ergreifend, die mittlerweile ihr Bairisch in Berlin auslebt. Der Andrang war gewaltig, proppenvoll der Club, zwischendurch gab es Einlass-Stopp - und die Musikmanager im Publikum waren sich einig: Diese Session aus Bayern sei mit das Beste, was man beim Reeperbahnfestival 2016 erleben konnte.

Moment: Musik aus München ein Exportschlager? Coole Bands, für die das Fachpublikum sogar das Käse-Fondue der Schweiz-Show stehen lässt? Das klang in dieser Woche ganz anders. Sebastian Schnitzenbaumer von der Plattenfirma Schamoni Musik sagte, dass das Image von München nicht mit cooler Popmusik assoziiert werde. Das im ganzen Land verbreitete München-Bild, sagte er, mache es unmöglich, mit moderner Popmusik über die Stadtgrenzen hinaus glaubwürdig zu erscheinen.

Vermutlich wollte Schnitzenbaumer mit dieser Aussage provozieren, zumal er auch ankündigte, die Stadt wegen Geschäftsschädigung verklagen zu wollen. Vermutlich wollte er auch nur ordentlich aufs Blech hauen, um Werbung für die neue Veranstaltungsreihe "Monokultur München" zu machen. Er bekam aber nicht nur Aufmerksamkeit, sondern auch Ärger. Von anderen Musikschaffenden der Stadt. Deren Aussage unisono: So ein Quatsch. Die aktuelle Entwicklung zeichne ein ganz anderes Bild.

Moderne Popmusik aus München erfährt seit ein paar Jahren bundesweit Beachtung. Regelmäßig landen Münchner Bands in den Charts, Plattenfirmen aus ganz Deutschland nehmen bayerische Künstler unter Vertrag, Konzertreisen gehen weit über den Freistaat hinaus. "Mittlerweile ist es für Bands vollkommen egal, wo du herkommst", sagt etwa Fabian Rauecker. Er ist Manager von Dicht & Ergreifend, arbeitet bei der Förder-Initiative BayOn mit und hat mit Kollegen das am Samstag erstmals in München stattfindende Club-Festival "Manic Street Parade" organisiert.

Rauecker sagt, die Herkunft einer Band sei vollkommen überbewertet. Keine Band werde nur deswegen gebucht, weil sie aus Berlin komme. Und München als Heimatstadt schränke keine Band in ihren Erfolgschancen ein - auch nicht in ihrer Coolness. Über die sozialen Netzwerke hat Rauecker seinen Kollegen von Schamoni Musik zur Manic Street Parade eingeladen. Sein Versprechen: "München kann mehr als scheiße sein."

München kann vor allem sehr erfolgreich sein - nicht nur im Musikgeschäft, im gesamten Kunstbereich. So zeigt der Anfang dieses Jahres vorgestellte Datenreport zur Kultur- und Kreativwirtschaft, welch Potenzial in der Metropolregion München steckt: 30 000 selbständige Unternehmen erwirtschafteten, so die Studie, einen Umsatz von 23 Milliarden Euro. Dementsprechend überrascht zeigt sich Jürgen Enninger, Leiter des städtischen Kompetenzteams Kultur- und Kreativwirtschaft, über das Schamoni-Statement. Enninger verweist auf die statistischen Zahlen, "die uns umgehauen haben". Dieser Erfolg komme "von einer starken Kultur-Szene", von daher sei die Aussage von Sebastian Schnitzenbaumer nicht belegbar.

Und das Image-Problem? Gebe es nicht. "Wir haben kein Substanzproblem, wir haben ein Kommunikationsproblem", sagt Enninger. "München hat nicht das eine Alleinstellungsmerkmal, sondern eine Vielzahl an Stärken." Die Herausforderung werde deswegen sein, München in allen Facetten zu zeigen. "München ist stark, vom Pop-Label bis zur Hochkultur." Was fehlt? "München muss die Vielfalt in der eigenen Stadt erkennen lernen."

Natürlich kennt Enninger die Probleme, der Druck auf den Wohnungsmarkt etwa. "Die Herausforderung ist dennoch, die freie Szene zu stärken", sagt er. Das sei möglich - dies zeige ein Blick auf London und New York. Trotz des dortigen Wohnungsmarktes sei "sehr viel Kultur entstanden". Auch in München gebe es noch "viele Nischen", wo man Platz für Kultur schaffen könne.

"Wenn du in München Kunst machen willst, brauchst du viel Geld"

Von dieser Aussage sind nicht alle überzeugt. Christian Kiesler, Booker vom Feierwerk und Programmgestalter von Festivals wie "Sound Of Munich Now", das die SZ mitveranstaltet, hält den Vorwurf von Sebastian Schnitzenbaumer für reine Provokation, für eine "völlige Überspitzung". Aber prinzipiell stimme die Aussage, die auch als Streitschrift begriffen werden könne. Das Problem: In München fehlt es an Freiräumen. "Wenn du in München Kunst machen willst, brauchst du viel Geld", sagt Kiesler. Von daher sei man im Bereich der Popkultur immer angewiesen, Geld zu verdienen. Und das, so Kiesler, "verändert Inhalte". Wenn alles kommerziell ausgeschlachtet werde, "bleibt der Rest auf der Strecke". In München habe nur derjenige eine Chance zu überleben, der seine Arbeit finanziell erfolgreich verwerte, das führe eher zu Mainstream.

Was aber nicht heißt, dass Kiesler Münchens Musiker für uncool oder unkreativ hält, im Gegenteil. Aber für ihn ist es erstaunlich, "dass es hier trotz dieser Umstände krasse Künstler gibt, die super Sachen machen". Und darauf kommt es letztendlich an, weswegen er auch auf all die München-Vorurteile nichts gibt.

Trotzdem: Das Vorurteil bleibt. München ist für viele versnobt und damit auch die Musikszene. München wirbt mit seiner Tradition - aber muss das dann auch für die Musik gelten? Warum nicht Beats statt Bier? Groove statt Gemütlichkeit? Loopstation statt Laptop und Lederhosen?

Aber für welche Musik steht München heute? Braucht die Stadt eine Einordnungsmöglichkeit wie früher die sogenannte Hamburger Schule, obwohl natürlich nicht alle Hamburger Bands deutsche Popmusik spielten. Noch heute spricht man auch vom "Weilheim-Sound", obwohl die Musiker aus dem Notwist-Umfeld mittlerweile in München leben.

"München ist lange Zeit nicht mehr auf der Pop-Landkarte vertreten gewesen", sagt auch Andy Barsekow, Bandförderer bei Puls, dem jungen Programm des Bayerischen Rundfunks. Aber genau diese Situation ändere sich seit fünf, sechs Jahren. "Es gibt mittlerweile so viele spannende Künstler, die weit über die bayerischen Grenzen hinaus Beachtung finden", sagt er. "Für die Musikindustrie spielt es überhaupt keine Rolle mehr, woher eine Band kommt." Für Barsekow ist Musik aus München in der Popwelt angekommen. Es sei faszinierend, was hier gerade passiere, "und das ist erst der Anfang".

Eine dieser Bands, auf der diese Hoffnungen ruhen, sind die Indie-Popper von Kytes. Die Münchner sind derzeit auf Deutschland-Tour, der Radiosender Puls schickt sie als Vertreter Bayerns zum New Music Award. Unter Vertrag ist die Band bei "Lichtdicht Music", die auch Milky Chance entdeckt haben. Ihre Konzerte sind häufig ausverkauft, die Fans sind begeistert. Und ein wenig fassungslos, wenn sie erfahren, dass Kytes aus München stammt. Häufig würden sie dann gefragt, ob sie nicht lieber nach Berlin ziehen wollen, erzählt Schlagzeuger Timothy Lush. Aber das kommt für die vier Musiker nicht infrage. "Warum sollen wir wegziehen? Hier leben viele super Musiker, mit denen wir zusammenarbeiten. Und unser Proberaum ist drei Minuten von der Isar entfernt - da gehen wir im Sommer immer schwimmen."

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