Deutschsprachige Band Frei.Wild:Fragwürdige Heimatliebe

Südtiroler Band Frei.Wild

Wie man sich gefällt: die Südtiroler Band "Frei.Wild" in eigener Inszenierung.

(Foto: Holger Fichtner)

Mit mehrdeutigen Liedtexten erobert die Südtiroler Band Frei.Wild die Arenen. Wie das funktioniert? Sie lässt Fans und Kritiker über ihre Botschaft im Dunkeln - und ist offen nach rechts.

Von Julian Zwingel und Ekaterina Kel

Unsere ach so schnelllebige Zeit sehnt sich verdächtig oft nach nur scheinbar überkommenen Werten. Dass Rechtspopulismus niemanden mehr empört und zunehmend salonfähig ist, dass der Begriff der Nation wieder mit Stolz und Attributen der Zugehörigkeit angereichert wird, müsste allerdings aufhorchen lassen. Auch in der Musikszene ist der Rechtsruck deutlich hörbar. Wenn Bands wie Frei.Wild zum dritten Mal hintereinander für den Echo nominiert sind und Arenen wie die Olympiahalle mit gut 15 000 Fans füllen können, rückt rechtslastige Musik in die breite Popkultur, die sich selbst jedoch als "unpolitisch" einstuft.

Frei.Wild gibt bereitwillig Interviews. Philipp Burger, Sänger, Gitarrist und Mastermind der Südtiroler Band, sitzt neben seinen drei Kollegen und erzählt breit grinsend, er sei gerade von einem Polizisten angesprochen worden. Großer Frei.Wild-Fan sei der und ob er ein Autogramm bekommen könne. Kann er. Burgers Rockband war vor zwei Jahren Mittelpunkt eines Skandals, der nicht nur die Feuilletons wochenlang beschäftigte.

Kann rechtsextreme Gesinnung verjähren?

Frei.Wild waren wegen der hohen Verkaufszahlen ihrer Alben für den Echo nominiert worden, einige Mitnominierte wie Kraftklub und Mia drohten daraufhin, ihre Teilnahme abzusagen, ihnen passte die politische Ausrichtung und die rechtsextreme Vergangenheit dieser Konkurrenz nicht. Frei.Wild wurde daraufhin ausgeladen, Fragen aber blieben: Kann rechtsextreme Gesinnung verjähren? Was sind die wortreichen Distanzierungen der Band von rassistischem Gedankengut wert? Und: Ist eine Band für die rechtsextreme Gesinnung einiger ihrer Fans verantwortlich? Philipp Burger hat für solche Fragen wenig übrig. Er will nichts wissen von rechten Inhalten in den Texten und Videos seiner Band. Was er von Pegida halte? "Wir haben mit sowas nichts zu tun. Damit befasse ich mich nicht."

Fester Händedruck, Blickkontakt und unmissverständliche Antworten. Burger ist um Transparenz bemüht, betont mehrmals, er setze sich gerne mit jedem Kritiker auseinander. In seinen Texten geht das Verständnis von Offenheit aber so weit, dass im Grunde jegliche Aussage darübergestülpt werden kann.

Nicht die eindeutige Einordnung in eine Ecke, sondern gerade die Uneindeutigkeit macht Frei.Wilds Musik so fragwürdig. Denn offen für alles, lädt sie zum Missverständnis geradezu ein. Burger sagt, es sei der Auftrag der Musik zu provozieren. Zu was? Das lässt er aus. Stattdessen betonen alle vier Bandmitglieder, man wolle die Leute zum Diskutieren anregen. Aber wenn die Message nicht klar ist? "Ist das nicht gerade das Gute, dass man den Raum offen lässt, damit jeder auf sich selbst projizieren kann?" Was nach einem künstlerischen Ansatz klingt, kommt in diesem Fall aus der Defensive.

"Wir brechen eure Seelen"

Das neue Freiwild-Album heißt "Opposition". Erstaunlich, scheint es doch, dass sie schon längst mitten im Mainstream angekommen sind, der große Stadien füllt und den unsympathischen Nazi-Mief gegen vaterlandsideologisch gefärbte Coolness eingetauscht hat. "Die Opposition ist allgegenwärtig. Es gibt immer einen Gegenspieler. Wir leben ja in einer Demokratie. Eine Opposition sollte erreichen, dass die Leute reden und diskutieren können", erklärt (sich) Burger. Offen rassistische Parolen sind keine zu finden, Feindbilder existieren trotzdem.

Echo Awards Ban Frei.Wild From Nominations

Frei.Wild-Sänger Philipp Burger

(Foto: Getty Images)

Im Clip zu "Wir brechen eure Seelen" stilisiert sich die Band als Schutzpatronin unterdrückter Bergarbeiter und verarbeitet mit markigen Sprüchen eigene Ausgrenzungserfahrungen. Die Geschichte der Band trifft sich mit dem rechtspopulistischen simplen Narrativ, eine vermeintlich herrschende political correctness unterdrücke abweichende Meinungen.

Bei ein paar Liedern, öffentlichen Statements und vor allem Videos findet sich ein in letzter Zeit häufiger anzutreffendes Themengemisch: Heimatliebe, gepaart mit althergebrachten Tugenden als Kampfansage. Formuliert in einem Jargon, der von neurechten Bewegungen geprägt wurde. Von Gutmenschen, Lügenpresse und akzeptierten Faschisten ist die Rede. Frei.Wild mögen keine Neonazis und der Großteil ihrer Lieder soll "unpolitisch" sein, aber sie spielen mit ihrem Identitätsrock auf einer Klaviatur, die massentauglich und vor allem nach rechts offen ist. So massentauglich, dass die offizielle Videopremiere der Single "Wie ein schützender Engel, in Schwarz-weiß-rot-Optik auf bild.de stattfand.

Kalkulierte Distanzierung oder nur das nächstbeste Shirt?

Das Narrativ unterdrückter Opfer findet sich auch auf Philipp Burgers T-Shirt. Dort prangt ein Konterfei von Muhammad Ali im Boxring. Ist das jetzt eine kalkulierte, nonverbale Distanzierung oder einfach nur das nächstbeste Shirt? Derselbe Musiker, der 2001 als Sänger von Kaiserjäger textete: "Ich hasse diese ganze Gesellschaft, diese Neger und Yugos" trägt 14 Jahre später das Bild eines schwarzen Muslim, der am Ende eines langen, steinigen Weges als einer der größten Athleten aller Zeiten in die Annalen eingegangen ist. Das wirkt zunächst fast schizophren, doch Helden, die sich gegen brutale Unterdrücker zur Wehr setzen, gibt es viele bei Frei.Wild.

Solche finden sich auch bei der Band Krawallbrüder, die nach zwanzig Jahren und unzähligen Umbesetzungen immer noch mit Vorwürfen, rechtes Gedankengut zu verbreiten, behaftet ist und ebenfalls bald nach München kommt, ins Backstage. Die Oi-Band aus dem Saarland spendet seit Jahren an Opfer von Kindesmisshandlung, rechter Gewalt und an die Kinderkrebshilfe.

Sänger Pascal, so die Vorwürfe, besitze aber auch ein SS-Totenkopftattoo mit blauen Augen. Man solle das aber laut Band als "Abgrenzung zur extremen Rechten" begreifen. In einem Interview mit Powermetal.de stellt Pascal klar: Die Sache sei, "dass keiner von uns Interesse an politischem Extremismus hegt und mehr noch, jegliche Art davon verabscheut." Extrem? Nein, niemand will extrem sein. Auch Frei.Wild distanziert sich von jeglichem Extremismus. Rechtspopulistisch aber geht trotzdem.

Helene Fischer und Andrea Berg als Echo-Konkurrenten

Auch das Heimatliebe-Motiv schlägt gerade Popularitätsrekorde. Schließlich sind 2015 unter den Echo-Konkurrenten von Frei.Wild Andrea Berg und Helene Fischer. Frei.Wild spielen zwar angerauten Poprock mit Metal- und Punk-Anleihen, der mit volkstümlicher Musik nicht viel zu tun hat. Thematisch sieht es da schon anders aus. Burger, der alle Texte schreibt, schwärmt von Südtirols Natur, seinen Traditionen und Menschen. Und steht damit in einem Trend, der die Musikwelt spaltet.

Kritiker warnen vor Heimat-Bezügen, deutschsprachige Folklore habe noch immer den Mief des Musikantenstadls; und doch vermischen sich in den letzten Jahren immer häufiger regionalistische, folkloristische Elemente mit subkulturellen, auch internationalen Trends. Wo verläuft also die Grenze zwischen dem Wunsch, patriotisch zu sein und nationalistisch motivierten Gedanken, die Identitätsstiftung in eine aggressive Ausgrenzung anderer umkippen lässt? Positiv besetzte Ideen können fragwürdige Ideologien transportieren.

In Frei.Wilds Fall ist es feige und opportunistisch, ihre Fans und auch Kritiker über ihre Message im Dunkeln zu lassen. Sie sichern sich eine breite Zuhörerschaft, die sich durch klare Stellungnahmen wohl halbieren würde. Emotional aufgeheizte, politisch einfältige Parolen haben Konjunktur. Auch in der Rockmusik.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: