Musik:Klangideen aus der Kindheit

Johannes X Schachtner Komponist

Johannes X. Schachtner, 29, ist Komponist, zudem künstlerischer Leiter des "aDevantgarde-Festivals" und musikalischen Leiter von Ju[MB]le.

(Foto: Margret Hoppe/oh)

Der aus Gauting stammende Komponist Johannes X. Schachtner macht zeitgenössische Musik und zeigt bei einem eher ungewöhnlichen Heimat-Lieder-Abend Verbindungen zwischen Tradition und Moderne auf

Interview von Jutta Czeguhn

Heimat, was ist das? Ein ziemlich kontaminierter Begriff. Wer da die Assoziationskette zu fädeln beginnt, dem fällt einiges ein: Heimatfilm, Heimatverein, Heimatdichter, Neue Heimat, die unzähligen Landlust-Fress-Journale, der Dirndl-Laufsteg beim Oktoberfest, der Hype um Bands wie "La Brass Banda". Heimat hat wieder Konjunktur - gerade in der Großstadt München mit ihren Single-Haushalten. Mit der Veranstaltungsreihe "StattHeimat: StadtHeimat" geht das Kulturreferat diesem Phänomen nach und versucht sich an ungewöhnlichen Perspektiven. Beispielsweise bei einem etwas anderen Heimat-Lieder-Abend am Mittwoch, 8. April, im Theater Heppel & Ettlich an der Feilitzschstraße 12 (Beginn 20 Uhr, Eintritt frei, Reservierung unter stadtheimat@muenchen.de). Zu Gast ist unter anderem der 29-jährige Komponist Johannes X. Schachtner, der in Gauting aufgewachsen ist. Er wird dem Publikum anhand von Kompositionen mögliche Verbindungen von traditioneller Kultur und zeitgenössischer Kunstmusik darstellen.

SZ: Heimat, was bedeutet das für Sie? Gauting, ihr Heimatort?

Johannes Schachtner: Das ist tatsächlich sehr schwer zu beantworten. Sicherlich die Familie. Aber es ist nicht so, dass ich, wenn ich nach Gauting fahre, ein Gefühl des Nachhausekommens habe. Das einzige Mal in meinem Leben, dass ich dieses Sehnsuchtsgefühl nach Heimat etwas stärker empfunden habe, war, als ich im Ausland war.

Wo war das?

In Paris, ein Dreivierteljahr. Dabei war ich immer eher jemand, der weg wollte. Grundsätzlich begegne ich dem Begriff Heimat mit einer gewissen Distanz. Man weiß, Dinge gehören zu einem, aber das kann einem auch schnell zu viel werden. Wenn ich beispielsweise in Gauting in eine Kneipe gehe, in der wir früher oft waren, und dieselben Leute von damals sitzen da immer noch, dann erschreckt mich das eigentlich eher.

Sie kommen aus einer Musikerfamilie, sind Heimatgefühle oder wie auch immer wir das jetzt nennen wollen, da eher im akustischen Gedächtnis gespeichert?

In der Tat, wir haben sehr viel Stubnmusi gespielt. Allerdings entstand bei näherer Beschäftigung damit ein ausgesprochen ambivalentes Verhältnis. Diese Art von Musik ist gar nichts Originales, sondern eine Erfindung von Anfang des 20. Jahrhunderts, um einem eine Quasi-Heimat vorzuspielen.

Wenn sich ein Komponist mit dem Thema Heimat auseinandersetzt, besteht da nicht automatisch die Gefahr, ins Folkloristische, Sentimentale, letztlich Banale abzugleiten?

Wenn man nach einem Komponisten suchte, der das "Folkloristische, Sentimentale und vielleicht auch Banale" mit in seine kompositorische Welt hineingenommen hat, ist es sicherlich Gustav Mahler. Er war mir in einer Phase, in der ich anfing, mich ernsthaft mit Komposition zu beschäftigen, sehr wichtig, und er ist mir immer noch sehr nahe. Also in dem Sinne auch eine Art musikalische Heimat; vielleicht nicht zufällig, dass Mahler zum alpinen Kulturraum gehört.

Etwa wenn man "Heimat" vom Alpen- auf den deutschen Sprachraum erweitert?

Ja, natürlich, Musik aus dem eigenen Sprachraum ist einem näher, einfach weil man sie letztlich viel direkter versteht. Ich habe eine große Affinität zu unserem Liedgut, den sogenannten Volksliedern, die im 18. und 19. Jahrhundert entstanden sind. Das ist tatsächlich etwas, was einen berührt.

Was bekommt das Publikum an dem Abend im Heppel & Ettlich von Ihnen und den beteiligten Musikern zu hören? Beziehungsweise von ihnen erläutert?

Unter anderem mein Streichtrio Nummer 2 "an/marien-dacht". Ich habe drei Marienlieder übereinander gelegt, fast wie bei einem Quodlibet. Das ist das Material, aus dem sich dann das Stück entwickelt, zwei deutschsprachige und ein italienisches Marienlied. Man erkennt die Lieder noch ansatzweise, aber es verschwimmt immer mehr, und es entwickelt sich dann etwas Eigenes daraus. Mein Vater ist Kirchenmusiker, und ich habe während meines Studiums mein Geld als Organist verdient. Das Trio ist so Nachklang dessen, was man etwa in Marienandachten erleben kann, wenn ältere Frauen in der Kirche vor sich hin singen. Eine Klangidee aus der Kindheit - eine Art Heimaterinnerung.

Ist in der neuen Musik das Thema Heimat greifbar oder ist das ein eher konstruierter Abend?

Ich denke, die Auseinandersetzung mit dem "Heimatbegriff" spielt sicher für viele Komponisten eine große Rolle - tauscht man den Begriff durch "Wurzeln" oder "Humus", dann sicher für jeden. In der neuen Musik hat man sich eine Zeit lang sehr hinter irgendwelchen Konventionen und Techniken versteckt, um möglichst wenig Persönliches preisgeben zu müssen. Aber die Musik ist ja doch in den vergangenen 20, 30 Jahren sehr viel subjektiver geworden, und da spielt es natürlich auch eine Rolle, wo die Wurzeln des Komponisten letztlich zu finden sind. Zumindest wie er sozialisiert ist.

Es geht also nicht um Heimat im nationalstaatlichen Sinn, sondern um Sozialisation, um eine Art von subjektiver Heimat?

Genau - kommt der Komponist eher aus der sogenannten klassischen Musik, hat er eine klassische Ausbildung, oder kommt er vom Jazz oder der Pop-Musik zur neuen Musik?

Hinter der Reihe "StattHeimat: Stadtheimat" steht, ist anzunehmen, ein politischer Gedanke. Sie haben unlängst eine Komposition unter dem Titel "Je suis Charlie" unter Verwendung zweier satirischer Gedichte von Kurt Tucholsky vorgestellt. Inwieweit können oder wollen sie mit ihrer Arbeit auf aktuelle politische Ereignisse reagieren?

Ich versuche das von Zeit zu Zeit in der Kleinform des Liedes. Ich finde es sehr interessant, mich in der Tradition eines Hanns Eisler oder Kurt Weill mit Liedern fast tagespolitisch äußern zu können. Das funktioniert natürlich mit großen Orchesterwerken weniger, weil da die Vorbereitungszeit länger ist. Komponieren ist für mich ein Ausdruck dessen, was mich beschäftigt. Ich finde, Komponisten dürfen sich nicht in ihrem Elfenbeinturm verkriechen. Je mehr die Musik in der Gesellschaft stattfindet, desto besser. Wir Komponisten werden heute doch immer mit der Frage konfrontiert, was wollt ihr noch schreiben? Es ist doch längst alles gesagt und komponiert. Das stimmt nicht, wir Komponisten, die wir heute leben, können und müssen zu unserer Zeit etwas beitragen. Dafür muss man aber auch im Jetzt leben. Nicht einer Vergangenheit nachhängen. Wenn ich ein Eichendorff- oder Goethe-Gedicht vertone, was ich schon getan habe, dann tue ich das von meinem heutigen Standpunkt aus - hoffentlich nicht als "Zuspätromantiker".

Letzte Frage: Das X in Ihrem Namen steht für . . .?

Schachtner: . . . Xaver. Ich verwende es, um nicht mit meinem Vater verwechselt zu werden, der auch Musiker ist und ebenfalls Johannes heißt.

Xaver hieß . . .?

. . . der Opa, Franz Xaver. Ja, das ist auch ein bisschen Heimat.

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