Musik im U-Bahnhof:Ein klassischer Zug

Klassik macht öffentliche Räume sicherer - sagt zumindest das Gefühl. Auch deswegen kommen die "musikalischen U-Bahnhöfe" bei den meisten Fahrgästen gut an.

Rebecca Müller

Lucie tanzt. Sichtlich entspannt schaut die Mutter ihrer vierjährigen Tochter dabei zu. Die schweren Taschen hat sie neben der Bank abgestellt, ihre Beine von sich gestreckt. Ihr Blick schweift in die dunkle Tiefe des U-Bahnschachts.

Musik im U-Bahnhof: Auf der "Klassik-Linie" der U3 und U6 zwischen Odeonsplatz und Münchener Freiheit hören Fahrgäste Mozart, Vivaldi oder Mendelssohn-Bartholdy.

Auf der "Klassik-Linie" der U3 und U6 zwischen Odeonsplatz und Münchener Freiheit hören Fahrgäste Mozart, Vivaldi oder Mendelssohn-Bartholdy.

(Foto: Rebecca Müller)

Für einige Minuten lässt sie sich von Klaviermelodien aus den Lautsprechern berieseln. "Die Wartezeit kann richtig angenehm sein und viel schneller vorbei gehen, wenn Musik dabei ist", sagt sie. Das kleine Mädchen empfindet das genauso. Für Lucie ist die Haltestelle "Universität", an der sie fast täglich einsteigt, ohnehin "die, an der immer so schöne Musik läuft".

Insgesamt zehn "musikalische U-Bahnhöfe", an denen die MVG klassische Hintergrundmusik abspielt, haben sich mittlerweile in Münchens U-Bahnschächten etabliert. Fünf liegen auf der "Klassik-Linie" der U3 und U6 zwischen Odeonsplatz und Münchener Freiheit sowie am Goetheplatz. An letzterem hat die MVG vor rund zweieinhalb Jahren mit dem Musik-Projekt begonnen und es nach und nach auch auf Stationen außerhalb der City ausgeweitet.

Eine Initiative, die die Bahnnutzer unbewusst an die Hochkultur heranführt? Tatsächlich kommen manche nur bei ihren täglichen Fahrten durch Münchens Untergrund mit den alten Meistern in Kontakt. Viele der Wartenden kennen die Stücke nicht wirklich, die die Musikanlage per Zufallsprinzip auswählt. "Hauptsache, es klingt gut", sagt eine Münchenbesucherin. Auch, dass das Repertoire deutlich auf die 'Kulthits' der klassischen Musik begrenzt ist, stört nicht.

Kostenloser Konzertersatz

Manche betrachten ihren täglichen zehnminütigen Aufenthalt auf dem Bahnsteig sogar als gleichwertiges Pendant zum teuren Konzertbesuch. "Der Bahnhof wird zum Konzertsaal", sagt der 20-jährige Simon. Ein Satz, den auch Werbefachleute nicht besser hätten formulieren können. Gegen Popmusik in den Schächten allerdings hätte der Medizin-Student etwas auszusetzen. Solches "Radio-Gedudel" könne einfach nicht für dieses "gewisse Flair" sorgen.

Etwas extravagantere Wünsche äußert Harry Als Obdachlosen zieht es den 77-jährigen immer wieder in die U-Bahnhöfe. Der ehemalige Klavierbauer und Dirigent, der seit 1981 auf der Straße lebt, hört bei den immer wieder gleichen Melodien lieber weg. "Mehr von Bach oder auch mal einen Männerchor, das wäre was", sagt Harry. Er ist froh, dass nicht überall Musik läuft: "Es muss zwischendurch auch mal still sein."

Das sieht auch die MVG so. Sie ist bemüht, die Orte für ihren Service sorgfältig auszuwählen. Beispielsweise hält es das Unternehmen nicht für angebracht, an besonders stark frequentierten Umsteigestellen wie am Hauptbahnhof oder dem Marienplatz, den Geräuschpegel zusätzlich zu erhöhen. Auch in den Hauptverkehrszeiten ist die Anlage nicht in Betrieb. "Musik darf nicht zur omnipräsenten Zwangsberieselung werden - schließlich fährt niemand mit der MVG, um Musik zu hören", erklärt Christian Miehling, Pressesprecher bei den Münchener Stadtwerken.

Klassisch sicher

Das Rezept, mit akustischen Tranquilizern für eine entspannte Atmosphäre zu sorgen, kommt beim Großteil der Kunden an: Bei einer aktuellen Umfrage der MVG äußerten sich drei Viertel der Befragten positiv, zwei Drittel wünschten die Ausweitung auf alle U-Bahnhöfe. Nur sechs Prozent der rund 1000 Befragten würden die Musik am liebsten komplett abschalten.

Die musikalische Berieselung hat auch einen psychologischen Hintergrund: Sie soll ein "subjektives Sicherheitsgefühl" vermitteln - mit Erfolg.

Ein Ort, an dem 'zivilisierte' Musik gespielt wird, erweckt bei 20 Prozent der männlichen Befragten und fast 30 Prozent der Frauen den Eindruck, sie seien vor gewalttätigen Übergriffen geschützt. Jemand, der bei Mozartklängen niedergeschlagen wird - eine groteske Vorstellung.

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