Musik im Freien:Wo die wilden Kerle feiern

Zum Rockavaria-Festival auf dem Königsplatz kommen Tausende Heavy-Metal-Fans. Die Stimmung ist ausgelassen und friedlich, nur den Nachbarn von Sankt Bonifaz ist der Trubel etwas zu viel

Von Tom Soyer

Alles ein bisserl anders als sonst auf dem Münchner Königsplatz an diesem Wochenende: Wo oben auf den Stufen der Staatlichen Antikensammlung für die Ausstellung "Größer kein Ruhm" mit antiken Sport-Darstellungen geworben wird, schenkt die "Streetbar Die Rumfahrer" Hochprozentiges aus. Und wo sonst im Café Ella beim Lenbachhaus Menschen mit gebügelten Blusen oder Sakkos ihren Macchiato nach dem Besuch beim Blauen Reiter nehmen, greift Restaurantleiter Enzo Curatolo heute schon zur Mittagszeit immer wieder hoch ins Regal für "Wodka doppio". Die Heavy-Metal-Gemeinde ist da und macht es wie die Rockavaria-Künstler auf der Bühne: Man gibt sich vogelwild - und feiert dann gepflegt und lammfromm. Große Show. Aber ziemlich anders als beim Klassik-Open-Air.

Denn natürlich kippt nicht jeder, der sich in seiner Iron-Maiden-Kutte vors Lenbachhaus in die Sonne setzt, literweise Bier und Schnaps. Viele wissen, dass es an diesem Samstag auch eine Frage der persönlichen Ausdauer wird, um von 14 Uhr bis zum Auftritt von Iron Maiden, den Headlinern, durchzuhalten. Die rocken den Königsplatz von 21 bis exakt 23 Uhr mit ihrer Kombination aus Wahnsinns-Schlagzeug, sehr melodiösen Zerrgitarren und, als vielleicht wichtigstem "Instrument", einer an choreografischer Opulenz kaum zu überbietenden Licht- und Bildershow. Ständig flankiert auch von mächtigster Pyrotechnik. Dies alles in der lauen Sommernacht noch hellwach mitzubekommen lohnt sich, und manche laufen sich deshalb lieber mit einem großen Mineralwasser oder einem Spezi warm.

Schwerer haben es diejenigen, die früh da sind, um die besten Plätze ganz vorne an der Hauptbühne zu ergattern. Wer sich dort von den nach und nach zuströmenden Besuchern einmauern lässt, hat an so einem heißen Tag ein Problem, weiß Isabelle Beisler. Die 21-Jährige gehört zum 45-köpfigen Team der ehrenamtlichen Johanniter, die sich um Erste Hilfe und medizinische Versorgung kümmern. Drei Ärzte und sogar ein leitender Notarzt sind das ganze Wochenende über mit dabei, weil vor allem für die Zuhörer ganz vorne eine fatale Formel greife, die Isabelle Beisler so umreißt: "Durst, Sonne, Kollaps." Wer auch abends noch ganz nah dran sein will, wenn Bruce Dickinson als Frontmann von Iron Maiden alles gibt und am Ende klatschnass vor Schweiß mit Tausenden zusammen "Fear of the Dark" singt, hat keine Chance, seinen Platz zwischendrin mal zu verlassen, um sich was zu trinken zu holen. Da kann Heavy Metal zu heavy werden für den Kreislauf. Bis Sonntagnachmittag haben die Johanniter 30 Mal Erste Hilfe geleistet. Vergleichsweise wenig, findet Beisler, wenn man die Größe des Festivals mit rund 35 000 Besuchern über beide Tage betrachtet.

Überhaupt stellt sie den "Mettlern", also den Fans der härteren, manchmal düsteren, sehr tempo- und schlagzeug-dominierten Variante des Rock, ein gutes Zeugnis aus. "Die Metal-Fans sind nicht die, die Krawall machen, sondern die nettesten überhaupt auf Konzerten; Probleme machen eher die Hip-Hopper." Sie fühle sich im Getümmel am Königsplatz nicht deshalb wohl, weil 20 Security-Firmen Personal abstellen, sondern "weil da ganz viele Mettler sind, die sofort helfen". Oder Johanniter - die so ein Groß-Event als Zuckerl für ihre Arbeit sehen. Und aus medizinischer Sicht auch volles Verständnis für die große Sonntags-Enttäuschung aufbringen: Weil Sänger Campino einen Hörsturz erlitt, fällt der Auftritt der Toten Hosen aus. "Dem wünschen wir alle gute Besserung", so Beisler.

Die Stimmung ist sonntags aber ähnlich gut wie am Samstag, auch wenn nicht mehr so viele Rockfans kommen. Weniger begeistert von dem Spektakel sind sie ein paar Schritte weiter, hinter der Johanniter-Station. Die Antikensammlungen mit ihrem Säulen-Vorbau sind prächtige Kulisse fürs Rockavaria, das Gebäude geht aber nach hinten unmittelbar über in die ehrwürdige Benediktinerabtei Sankt Bonifaz. Dort wird gelebt für Seelsorge, für die Wissenschaften und für die Obdachlosenhilfe. Frater Emmanuel Rotter, der Prior hier, erzählt, dass sein Konvent (zu dem auch noch sechs Brüder im Kloster Andechs gehören) für Klassikkonzerte auf dem Königsplatz schon mal das Geläut von Sankt Bonifaz anhält, und dass einer seiner Mitbrüder durchaus Heavy-Metal-Fan sei. Dennoch sei die einwöchige Aufbauzeit mit den Soundchecks eine hörbare Belastung. Derzeit laufe eine Generalsanierung im Gebäude, da gebe es wochentags Baulärm - und nun am Samstag und Sonntag harte Musik, die noch drüben, im Hof vor der Klosterpforte, in gehobener Zimmerlautstärke ankommt. "Warum muss das in der Innenstadt sein?", fragt Frater Emmanuel, wo es doch das Olympiastadion gebe, das ohnehin veröde. So hingegen veröde der Rasen auf dem Königsplatz, "der ist total kaputt danach". Zudem seien Glyptothek und Antikensammlung am Wochenende zur Enttäuschung aller Touristen einfach gesperrt. 1500 bis 1800 Besucher haben die beiden Museen sonst am Wochenende. Frater Emmanuel bleibt dennoch irgendwie gelassen und gütig. Wahrscheinlich, weil sein Mitbruder Pater Korbinian sich nach der Complet, dem letzten Gebet um 19.30 Uhr, durch eine Eisentüre hinter der Antikensammlung aus dem Kloster hinausschleichen wird zu Iron Maiden. Das Geläut von St. Bonifaz bleibt diesmal an, wär wohl eh wurscht.

Ein Festival draußen vor der Stadt, vielleicht auch im Olympiapark, fände auch Sebastian Hengge aus dem Allgäu viel besser. Ihm ist das Rockavaria zu teuer, weil "am Samstag eh jeder nur wegen Iron Maiden und am Sonntag wegen den Toten Hosen kommt" - "190 Euro für zwei Tage", das sei schon heftig. Bier zum Oktoberfest-Preis, das sei frech, und es fehle die Möglichkeit zum Festival-Camping. Mit Tagesticket dürfen Besucher nur ein Mal rein und seien somit auch den hohen Preisen innerhalb der Absperrung wehrlos ausgeliefert. Das ärgert auch Julian Stechele aus Bernbeuren, Maiden-Fan mit Kutte und einem Sticker der "Gib-Gas-Freunde Emmenhausen".

Viele hundert Zuhörer haben auf ein Ticket verzichtet und sich auf dem Rasen vorm Lenbachhaus niedergelassen. Das Geschäft im Café Ella brummt auch in der Nacht, auf der Terrasse sind gebügelte Blusen jetzt klar in der Minderzahl. Aber glücklich sind alle und genießen die Iron-Maiden-Lichtshow von weitem. Laut genug ist's eh, manche singen die düsteren Texte mit, ebenso das klassische Maiden-Schlusslied "Always look on the bright side of life". Ach, diese Mettler sind reizend.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: