Rahmenmacher:Dieser Mann bewahrt die Fassung wie sonst keiner

Rahmenmacher: Werner Murrer hat sich auf das frühe 20. Jahrhundert spezialisiert. Er baut Rahmen nach, sammelt aber auch Originalstücke.

Werner Murrer hat sich auf das frühe 20. Jahrhundert spezialisiert. Er baut Rahmen nach, sammelt aber auch Originalstücke.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Ein Fehlgriff kann das ganze Kunstwerk zerstören: Werner Murrer findet den passenden Rahmen für Gemälde von Renoir oder Raffael - und gilt als die beste Adresse weltweit.

Von Martina Scherf

Eine Notiz, in altdeutscher Handschrift auf eine Postkarte gekritzelt: "Dieses Bild muss unbedingt (unterstrichen) weiß umrahmt werden", schreibt Egon Schiele, und zwar "mit nebenstehendem Rahmenprofil (Hoffmann-Leiste)". Die Skizze hat der Künstler gleich mitgeliefert.

Werner Murrer fand die Karte im Nachlass des österreichischen Malers und hielt erst vor Kurzem einen Vortrag in Wien über "Schiele und die Hoffmann-Leiste". Der richtige Rahmen für bedeutende Kunst, das ist Murrers Lebensthema, dafür ist ihm kein Aufwand zu groß. Seine Werkstatt gilt als die Adresse für Rahmenkunst. Anfragen kommen aus der ganzen Welt.

Ein modernes, transparentes Gebäude in einem Thalkirchener Hinterhof ist die Heimat der Werkstatt, die längst mehr ist: Atelier, Showroom, Büro, Archiv. Es riecht nach Holz, Rahmen über Rahmen stehen herum, hängen an den Wänden, liegen auf den Tischen. Es wird gehämmert und geschliffen, gehobelt und geschnitzt, lasiert und vergoldet. Jeder Rahmen ist hier ein Unikat, ganz dem Bild angemessen, das er schützen und präsentieren soll.

Woanders gerahmt - und "bitter bereut"

Die Tür geht auf, Walter Storms kommt herein. Unterm Arm eine große Tüte mit Gebäck aus seiner Schwabinger Lieblingsbäckerei. Der Galerist ist ein alter Bekannter. Jetzt holt er ein Bild von Rupprecht Geiger ab. Es war woanders gerahmt worden, auf die Schnelle, "das habe ich bitter bereut, jetzt muss der Werner es reparieren, und ich zahle drauf, so ist es halt", sagt er mit rheinländischen Frohsinn, und: "Es gibt keinen zweiten wie ihn."

Doch erst einmal gibt es Frühstück in der Gemeinschaftsküche im Souterrain. Halb elf, das ist die heilige halbe Stunde für das Team. Storms weiß, dass er um diese Zeit nicht ohne Gebäck erscheinen sollte.

Tischler, Schreiner, Vergolder, Restauratoren gehören zum Team, 15 Mitarbeiter beschäftigt Murrer. Die meisten sind seit Jahren dabei und nebenher selbst künstlerisch tätig. Er kann sich auf sie verlassen und es sich leisten, selbst die Hälfte der Zeit zu reisen, zu Recherchen und Tagungen, Messen und Fachgesprächen mit Museumsdirektoren in aller Welt. Amsterdam, Boston, Wien, New York. Das Nationalmuseum in Oslo bekommt ein neues Haus, spektakuläre Architektur direkt am Hafen, 2020 soll es fertig sein. Bis dahin werden auch die Sammlungen überarbeitet. Murrer wurde geholt, um die Rahmenfrage zu klären.

Nicht alle Museen holen sich die nötige Expertise

Bei Edvard Munch, Norwegens berühmtestem Maler, war die Sache klar: Das Gemälde "Inger am Strand" von 1889 war noch im Originalrahmen. "Daran kann man sich orientieren", sagt Murrer. Aber längst nicht alle Museen holen sich die nötige Expertise oder machen sich überhaupt groß Gedanken über Rahmen. Es gibt kleinere Häuser, "da macht der Hausmeister die Rahmung", sagt Murrer, aber auch in großen Häusern "hängen noch Gemälde in Baumarktrahmen, das glaubt man kaum". Oder in Rahmen aus einer ganz anderen Epoche, ein Beckmann im Goldrahmen: "Das geht auf keinen Fall."

Man spürt, dass dem Kunstliebhaber so ein Anblick in der Seele weh tut. Max Beckmann bitte nur in Schlagmetall, einer Legierung aus Kupfer und Aluminium, sagt er: dezenter Glanz, wie es zum Geist der Zeit passt. Beckmann, der Sezierer, der mit seiner Malerei die Tünche von den gesellschaftlichen Phänomenen seiner Zeit abkratzte, da passt kein Blattgold.

Der Künstler selbst hat sich allerdings wenig Gedanken über Rahmen gemacht. Anders als Schiele, der sich ganz bewusst für die Leisten seines Landmanns Josef Hoffmann entschied, oder die Brücke-Künstler, allen voran Ernst Ludwig Kirchner und Karl Schmidt-Rottluff, die selbst Rahmen entwarfen.

Mehrere Tausend Rahmen im Lager

Murrer hat sich auf das frühe 20. Jahrhundert spezialisiert, die Expressionisten vor allem. Er baut deren Rahmen nach, sammelt aber auch Originalstücke. Viel ist nicht mehr da, unzählige Rahmen wurden einfach weggeworfen, weil sie nicht mehr dem Zeitgeschmack entsprachen. Mehrere Tausend hat der 56-Jährige aber inzwischen in seinem Lager. Er verkauft sie gelegentlich an Museen.

Auf einer schönen alten Staffelei in der Werkstatt steht ein anderes Prunkstück: ein Originalrahmen des Münchner Hofbaumeisters Joseph Effner. Und weiter hinten ein Modell, "das haben wir für einen Renoir in der Albertina in Wien gemacht". Berühmte Namen fallen hier ganz nebenbei. Der größte Auftrag war ein Goldrahmen für die Sixtinische Madonna von Raffael in Dresden.

Solchen Arbeiten gehen monatelange Recherchen voraus. Bei den Expressionisten gibt es immerhin einen entscheidenden Vorteil: Von ihnen und ihren Werken existieren in der Regel Fotos. So ist Murrers Bildarchiv über die Jahre auf mehr als 70 000 Dateien angewachsen. Jeder seiner Mitarbeiter hat einen Hochleistungsrechner an seinem Arbeitsplatz und Zugriff auf die Informationen.

Die Idee entstand schon in der Schule

Murrer ist Autodidakt. Dass er "irgendwas mit Kunst" machen wollte, diese Idee entstand schon im Siemens-Gymnasium in Neuperlach, angeregt von einer engagierten Lehrerin. "Sie hat mit uns über Beuys' New Yorker ,Kojotenaktion' gesprochen und über Christos Land-Art-Projekte." Aktuelle, provozierende Kunst, die weit über die Feuilletons hinaus diskutiert wurde.

Eine Mitschülerin teilte damals seine Begeisterung - und tut es bis heute. Sie hat Kunstgeschichte studiert und wurde seine Ehefrau und Beraterin. Murrer selbst fand nach dem Abitur einen Job bei der Galerie Thomas, damals noch in der Maximilianstraße, er wollte die Praxis erleben, alles war ihm recht. "Das war alles noch viel unkomplizierter. Da konnte ich auch noch mittags in der Maximilianstraße eine Wurstsemmel für den Herrn Thomas holen." Heute herrscht dort nur noch Luxus, sagt er bedauernd.

Galerist sein, das schien also nicht so schwer. Murrer probierte es zusammen mit einem Freund, stellte aber bald fest: "Wir waren beide keine Verkäufer." Doch er lernte in dieser Zeit viele Künstler kennen und stellte fest: Was ihnen fehlte, waren gute Rahmen. So fing es an. Bald eröffnete er seine erste Werkstatt in der Nymphenburger Straße. Münchner Künstler kamen zu ihm, seine Ideen und seine Sorgfalt sprachen sich herum.

Richters "Atlas" oder Papierarbeiten des Blauen Reiters

Mit der Zeit wurden die Werke, die zu ihm gebracht wurden, immer kostbarer. Das Lenbachhaus beauftragte ihn schon in den Neunzigerjahren mit der Rahmung von Gerhard Richters "Atlas", einem Werk, das inzwischen auf 1000 einzelne Tafeln angewachsen ist. Auch den Papierarbeiten des Blauen Reiter hat er die richtige Fassung gegeben.

Heute erstreckt sich sein Netzwerk über ganz Deutschland, millionenschwere Sammler vertrauen ihm ihre Besitztümer an. Beim jährlichen Pin-Fest der Freunde der Pinakotheken sind viele von ihnen vertreten, Adlige, Banker, Unternehmer, man kennt sich. Murrer steuert für die Auktion immer einige Rahmen bei. Selbst stürzt er sich nicht so gerne ins Getümmel. "Kunst-Getümmel habe ich hier ja jeden Tag."

Wichtig ist ihm, die Basis nicht aus dem Blick zu verlieren. Deshalb ist er im Vorstand des Akademievereins und arbeitet auch mal für Studenten, die sich keine teuren Rahmen leisten können. Authentisch bleiben. Das kann auch bedeuten, dass Murrer eine Kundin mal ganz ohne Rahmen wieder aus dem Laden schickt. Weil das Kunstwerk es so erfordert.

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