Museum:Archiv der alten Arbeitswelt

Der traditionsreiche Meiller-Konzern, bekannt für seine Kipp-Laster-Technik, unterhält ein Museum, das ein Stück Industriegeschichte dokumentiert

Von Anita Naujokat

Hier also sind sie gesessen, auf dunkelgrünem Leder zwischen gediegenem Holz und schweren Ölgemälden, auf denen der Kommerzienrat und seine zwei Söhne abgebildet sind. Hier haben sie bis in jüngster Zeit über Geschäfte, Strategien und Expansionen verhandelt und Verträge unterschrieben. Es ist das Konferenzzimmer des Meiller-Konzerns, traditionsreicher Hersteller von schweren Aufbauten für Nutzfahrzeuge, vor allem Mulden für Kipp-Laster. Beim Umzug des Unternehmens - nach 70 Jahren Stammsitz in Neuhausen - siedelte das Konferenzzimmer mit nach Moosach um und wurde originalgetreu in der alten Villa, dem einstigen Verwaltungsgebäude aus Rathgeber-Zeiten, wieder aufgebaut.

Franz Xaver Meiller, der als einer der Gesellschafter das Familienunternehmen vertritt, ist fast ein wenig fassungslos, dass er erst den Schlüssel für das Zimmer besorgen muss, weil Erika Korenjak keinen hat. Denn eigentlich ist ja sie die Hüterin der Schätze und der Geschichte des Unternehmens. Am 1. Januar 1969 hatte sie als Technische Zeichnerin im Maschinenbau-Segment bei Meiller angefangen - als erste Frau im technischen Büro des Unternehmens. Als sie nach drei Krebserkrankungen mit 60 Jahren in den Ruhestand treten musste, begann sie, sich um das Archiv zu kümmern.

Das war zunächst ein bis an die Decke vollgestopftes Zimmer in der Villa beim einstigen Eingang zum Werk, neben dem Glockenturm, der früher noch den Arbeitsbeginn einläutete. In akribischer Kleinarbeit sortierte und sammelte Erika Korenjak alles, was ihr aus früheren Zeiten unter die Finger kam. Die heute 69-Jährige hatte schon immer ein Gespür dafür, dass hinter Steuerschiebern, Fabrikationsbüchern, Werkzeugen und Stempel große Industriegeschichte steht. Nicht nur, dass nichts verloren gehen sollte, es sollte auch nichts in Schubladen, Schachteln oder unter verstaubten Planen vor sich hindämmern - und womöglich verschwinden. Unterstützt von Franz Xaver Meiller junior und dem Seniorchef, der immer noch einmal die Woche in die Villa kommt, breitete Erika Korenjak in jahrelanger Arbeit die Exponate in fünf Räumen aus, schuf ein Museum kleiner Arbeits- und Bürowelten vergangener Tage. Auch das Firmenwappen im Gästebuch stammt aus ihrer Feder.

Hier eine Handpumpe vom Typ H3, mit der die Kipper schweißtreibend per Hand hochgepumpt wurden, bis die Motorpumpen entstanden, die über die Kugelgelenkwellen der Lkw-Motoren angetrieben werden konnten. Dort die Zahnstangenwinde, die Keimzelle des Kippers schlechthin. Dann wieder ein Zeichenbrett, in dem noch eine der ältesten Zeichnungen des Werks hinter einem Kurvenlineal klemmt.

Gut kann man sich die Reißbrett-Ständer akkurat in Reih und Glied stehend vorstellen, dazwischen Erika Korenjak, wie sie zwischen männlichen Kollegen Ersatzteillisten, Betriebs- und Reparaturanleitungen erstellt oder eine Zeichnung für einen Produktionskatalog fertigt. Auch die Schilder für die Bedienteile der von der Technikabteilung entwickelten ersten Fernsteuerung für einen Ladekran - dem ersten funktionsfähigen Prototyp einer modernen Fernbedienung - hat sie entworfen. Pfahlschuhe aus dem einstigen Hammerwerk zum Schutz der Palisaden finden sich zum Beispiel in Rios Hafenbecken. In den Schubladen des Schreibtischs mit dem schwarzen Bakelit-Telefon aus den Fünfzigerjahren hat Erika Korenjak originale Teller und Besteck deponiert, womit die Angestellten in die Kantine auf dem früheren Werksgelände an der heutigen Landshuter Allee gelaufen waren, um sich den Braten an den Sekretär zu holen.

Mit nahezu archäologischem Eifer hat Erika Korenjak Stück für Stück zusammengetragen, teils von Pensionären erhalten, vom alten Firmensitz aus Hallen, Büros und Werkstätten hinübergerettet. Aufgrund ihrer langen Diensterfahrung wusste sie, wo sie suchen sollte, wen sie fragen konnte. Hinzu kam, dass Korenjak sozusagen mit Technik groß geworden ist: Schon in frühen Jahren schnupperte sie Werkstatt-Luft, hatte ihr Vater Willi Kleja doch als Werksmeister in der Hinter-/Muldenkipper-Fertigung gearbeitet. Aufgewachsen ist sie in einer Dienstwohnung von Meiller an der Zeppelinstraße.

Heute enthält das Meiller-Museum einen einzigartigen Fundus, auch wenn, wie Erika Korenjak bedauert, vieles aus den 1960er- und 1970er-Jahren verloren gegangen sei. An die 500 Exponate, 28 000 Fotografien, 500 Glasplatten, 3000 Einzelprospekte, 450 Betriebs- und Montageanleitungen und Hunderte noch fein säuberlich mit Hand verfasster Lohnabrechnungen und Tabellenbücher umfassen die Sammlung. Dazu gibt das Museum einen Einblick in die lange Familiengeschichte der Firma. Selbst alte Pflanzen hat Erika Korenjak aufgepäppelt, damit Abteilungen im Museum weiterleben. Auch für die Pflege der Exponate sorgt sie selbst: Damit nichts verrückt oder woanders hingestellt werde, erklärt sie mit einem feinen Lächeln. Derzeit fahndet sie nach dem Schild des Glockenturms, das von einem Tag auf den anderen verschwunden war.

Erika Korenjaks Lieblingsexponate sind die an der Wand aufgereihten Schmiedewerkzeuge sowie eine alte Buchungsmaschine von Rheinmetall aus dem Jahr 1920, sozusagen eine rechnende Schreibmaschine. Und als wollte das gute Stück beweisen, dass es auch mit fast 100 Jahren noch nicht zum alten Eisen gehört, rattert es nach mehrmaligem Drücken auf die Tasten plötzlich los. Selbst Erika Korenjak ist überrascht. Sonst habe das Gerät oft Ladehemmung, sagt sie.

Ihr größtes Anliegen ist jedoch, dass sie künftig auch die Halle F10 - das Kesselhaus neben dem alten Kamin - für das Museum nutzen kann, wenn die Rathgeber-Villa vermietet wird. In nächster Zeit sei das nicht möglich, da die Halle noch für operative Zwecke gebraucht werde, sagt Franz Xaver Meiller. "Aber wir liebäugeln damit, sie irgendwann museal zu nutzen." Neuer Standort wird nebenan der zweite Stock im Bürogebäude F9 werden, in dem der Betriebsrat sitzt. Umzug soll Ende des Jahres sein. Erika Korenjak hat bereits ein Modell vom Museum in den künftigen Räumlichkeiten angefertigt. Das alte Konferenzzimmer, oder Zigarrenzimmer wie es in jüngster Zeit heißt, zieht wieder mit um und werde eins zu eins wieder aufgebaut, wie Meiller versichert.

Öffentlich war das Museum am Memminger Platz noch nie, derzeit ist es wegen des Baus der Meiller-Gärten schwer zugänglich. Anfragen von Schulklassen, der Volkshochschule oder anderen Interessenten, die zu Gruppen zusammengefasst werden, versucht Erika Korenjak dennoch zu erfüllen (Telefon 14 87-12 87, dienstags von 9 bis 14 Uhr).

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