Museen:Kallmann-Museum in Ismaning

Die lange Suche nach dem Sein: Das Kallmann-Museum in Ismaning ist lebendige Heimat für zeitgenössische Kultur.

Rita Baedeker

Ich habe ein Bild gemalt, eine Art Selbstbildnis, auf dem ich fragend eine blaue Kugel abtaste, eine junge Frau im rechten Mittelgrund wird von weißen Kugeln und Seifenblasen, die im Raum schweben, halb verdeckt. Sie ist die Antwort auf die Frage des... Alters an die Jugend..." Hans Jürgen Kallmann, der selber sein Bild so beschrieb, hat sich intensiv mit der Psyche und dem Prozess des Alterns beschäftigt.

Museen: Oase im Münchner Norden: das Kallmann-Museum.

Oase im Münchner Norden: das Kallmann-Museum.

(Foto: Foto: SZ)

Weil auch sein Interesse für die Eigenheiten der Physiognomie stark ausgeprägt, ja indiskret war, neigte er dazu, Menschen, die ihm Modell saßen, eher älter darzustellen, worauf manch einer, etwa Ernst Jünger, beleidigt reagierte. Papst Johannes XXIII., der Kallmann Modell saß, bat: "Sehen Sie mich nicht so scharf an, übersehen Sie manches."

Gisela Hesse, Leiterin des Kallmann-Museums, kennt viele solche Anekdoten aus Kallmanns Schaffenszeit, immer wieder stellt sie unbekannte Arbeiten des Stifters aus, holt aber auch andere bedeutende Künstler ins Haus.

Als Hans Jürgen Kallmann im Juni 1963 Adenauer malte, machte er 19 Pastellstudien des Kanzlers. Jedes Mal, so erinnerte sich Kallmann in seiner Biografie "Der verwundbare Stier", "wenn ich den Mund gemalt hatte, prüfte ich, ob die Lippen das Wort 'Soffjets' würden formen können". Eindringliche Porträts von Schauspielern, Philosophen, Politikern und anderen Persönlichkeiten der Zeitgeschichte sind das Herzstück des Kallmann-Museums.

1992 wurde es im Ismaninger Schlosspark eröffnet. Georg Pezold, der Architekt, hat die Fassade der klassizistischen Orangerie nachempfunden, die sich bis 1983 an dieser Stelle befand. Das Glashaus mit den dunklen Balken und dem Giebel hat noch immer den Charme eines nach Orangenblüten duftenden Refugiums.

Das Museum verdankt seine Existenz einer Stiftung. Der zu den deutschen Expressionisten zählende Hans Jürgen Kallmann und seine zweite Frau, Gerda Haddenhorst-Kallmann, wollten mit der Stiftung den künstlerischen Nachlass sichern und suchten eine Bleibe für die Bilder. Joachim Gillessen, damals Landrat des Kreises München, setzte sich für das Projekt ein und klopfte reihum bei den Bürgermeistern an. Erich Zeitler, zu jener Zeit Oberhaupt der Gemeinde Ismaning im Münchner Norden, reagierte prompt. "Ich hab da was Schönes", sagte er und dachte an seine verwaiste Orangerie.

Kallmann-Museum in Ismaning

Die Wahl sollte zum Glücksfall werden: Pezold schuf nicht nur einen Hort für das Werk des Stifters; auch Objektkunst, Grafik, Fotografie, Plastik und mehr sind in dem Haus willkommen. "Kallmann wollte keine museale Erstarrung", sagt Museumsleiterin Hesse, "sondern ein lebendiges Kunstmuseum." Das Richtfest hat der Künstler noch erlebt und eine Rede gehalten. Im März 1991, ein Jahr vor der Eröffnung, starb er. Neben Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts hat Jazz in kammermusikalischer Besetzung hier einen Stammplatz, toben sich Kinder kreativ aus, bieten sich der Park und der Pavillon als alternative Ausstellungsflächen an.

Museen: Kallmanns Gemälde "Landarzt vir dem Dorf" hat das Museum im Jahr 2006 neu erworben.

Kallmanns Gemälde "Landarzt vir dem Dorf" hat das Museum im Jahr 2006 neu erworben.

(Foto: Foto: SZ)

Zum festen Bestand gehören mehr als tausend Zeichnungen, rund 300 Pastelle und 50 Ölbilder, darunter die Porträts berühmter Schauspieler, Politiker und Wissenschaftler. Von Lino Ventura, mit dem der Maler eng befreundet war, bis zu Thomas Holtzmann hat Kallmann viele berühmte Mimen porträtiert, sie in ihrer Rolle auf der Bühne verewigt oder, wie es bei ihm üblich war, in ein lebhaftes Gespräch verwickelt und sie dabei gezeichnet.

Kallmann, 1908 als Sohn eines Arztes in Posen geboren, veröffentlichte seine ersten Schauspieler-Porträts in den Halleschen Nachrichten. Sein Medizin- und später auch das Kunststudium brach er ab. Mit Unterstützung von Max Slevogt bildete er sich als Maler weiter. Nach dem Krieg erhielt der von den Nazis als "entartet" Gebrandmarkte einen Ruf an die Kunstakademie Caracas, kehrte aber 1952 nach Deutschland zurück und ließ sich in Pullach bei München nieder, wo er bis zu seinem Tod lebte. Zahlreiche Gemälde im Pullacher Rathaus erinnern an Kallmann, eine Straße ist nach ihm benannt.

Mitte der 50er Jahre wurde Kallmann als Porträtmaler berühmt, mal waren es Auftragsarbeiten, mal wählte er sein Modell selbst. Doch immer suchte er im Bildnis die Offenbarung, das Verborgene.

Einen anderen Schwerpunkt bilden Tierbilder und Landschaften. "Es war das Unerhörte, das Schwebende, das mich unendlich erregte... Wenn sie in ganz früher Morgenstunde zusammengekuschelt auf Ästen saßen und ihre die Nacht durchdringenden Augen wie hilflos in den Tag blickten - das war und ist es, was mich packt", schrieb Kallmann über die Eulen, seine Lieblingstiere. Mit dem "Unerhörten", dem Sein hinter der Fassade, hat sich der Maler lebenslang beschäftigt.

Auch wenn er Landschaften malte, verwitterte Bäume im Reinhardswald bei Kassel oder einen vereisten Gebirgsbach: Immer entlockte er den Menschen, der Natur, ihre verborgene Gestalt. Deshalb vielleicht konnte der Traditionalist, der keiner Mode folgte, sich nie dazu entschließen, das Gegenständliche zu zertrümmern.

Anfahrt: Das Kallmann-Museum ist 15 Kilometer von München entfernt und mit der Flughafenlinie S8 bequem zu erreichen. Der Fußweg vom Ismaninger S-Bahnhof zum Museum dauert wenige Minuten und ist ausgeschildert.

Museum: Das Kallmann-Museum hat ganzjährig von Dienstag bis Sonntag, 14.30 bis 17 Uhr, geöffnet. Pro Jahr werden zwei Ausstellungen aus eigenen Beständen gezeigt. Dazu gibt es drei bis vier Ausstellungen mit Kunst des ausgehenden 19., des 20. und 21. Jahrhunderts aus anderen Sammlungen.

Tipp: Wer das Kallmann-Museum besucht, sollte auch dem Schlosspark und dem Schlossmuseum eine Stunde widmen. Der Park und der alte Dorfkern mit Seebach und Steg bilden ein sehenswertes Ensemble. Da die Freisinger Bischöfe Ismaning einst als Sommerresidenz ausersehen hatten, kam das kleine Bauerndorf zu dem prächtigen Schloss in Kaisergelb, in dem heute das Rathaus residiert. Aus einem Herrenhaus entstanden, wurde es zuletzt 1816/17 von Leo von Klenze für Eugène Beauharnais, Sohn aus der ersten Ehe von Napoleons Gattin Joséphine de Beauharnais, umgebaut. Beauharnais war als Graf von Leuchtenberg mit der bayerischen Prinzessin Auguste Amalie verheiratet.

Ausflug: Das flache Umland von Ismaning eignet sich zum Wandern und Radfahren, besonders in den Isarauen. Bäche, Krautäcker und Alleen bestimmen den Charakter der Landschaft. Erholsam ist auch ein Ausflug ins Vogelschutzgebiet entlang des nördlichen Damms der Speicherseen im Süden von Ismaning.

Weitere Ausflugstipps für Museen rund um München gibt es in dem Buch "Schätze von nebenan. Museumspaziergänge rund um München".

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