Münchner Wirtschaftsgeschichte: Die Optikerstadt:Aus Trümmern zu den Sternen

Joseph von Fraunhofer besaß keine höhere Schulbildung, und dennoch wurde er zu einem der bedeutendsten Optiker der Geschichte. Der Wissenschaftler hat mit seinen Fernrohren die astronomische Forschung revolutioniert

Von Hans Kratzer

Die wohl prägnanteste Würdigung des großen Wissenschaftlers und Unternehmers Joseph von Fraunhofer (1787-1826) hat König Ludwig I. auf dessen Grabstein auf dem Alten Südfriedhof von München meißeln lassen: Approximavit sidera - Er brachte die Sterne näher. Leider ist der Originalstein im Zweiten Weltkrieg einem Bombenangriff zum Opfer gefallen, aber die Inschrift ist auch anderswo zu lesen, etwa auf dem Fraunhofer-Denkmal in Straubing. Die Würdigung ist auf jeden Fall gerechtfertigt. Fraunhofer zählt zu den größten Optikern der Geschichte, und gewiss war er eine der bedeutendsten Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts. Obwohl er keine höhere Schulbildung besaß, entwickelten Fraunhofer und sein Förderer Joseph von Utzschneider technische und wirtschaftliche Visionen und Projekte, wie sie nach heutigem Maßstab von den Big Playern im Silicon Valley realisiert werden. In Ansätzen trugen Fraunhofer und Utzschneider bereits das Apple- und Google-Gen in sich. Fraunhofer entwickelte als Autodidakt Hochleistungsfernrohre und Mikroskope von höchster Präzision. Natürlich hätte Fraunhofer noch viel mehr geleistet, wäre er nicht so früh gestorben, mit nur 39 Jahren. So zählt er, wie Mozart in der Musik, zu den früh vollendeten Genies. Als Fraunhofer am 6. März 1787 als elftes Kind des Glasermeisters Franz Xaver Fraunhofer in Straubing geboren wurde, deutete nichts darauf hin, dass dem Buben eine glanzvolle Karriere bevorstand. Er war gerade zehn Jahre alt, da starben kurz hintereinander die Mutter und der Vater. Der Vormund schickte den Vollwaisen nach München, wo er bei einem Glasschleifer in die Lehre gehen sollte. Der nahm auf den schwächlichen Fraunhofer keine Rücksicht, der Bub musste täglich von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang hart arbeiten.

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Die Fraunhofer-Glashütte in Benediktbeuern existiert immer noch.

(Foto: Neubauer)

Dann geschah ein Unglück, das sich, bei aller Tragik, für Fraunhofer als ein Glücksfall erweisen sollte: Im Juli 1801 stürzte das Haus des Lehrherrn an der Thiereckstraße 3 ein, nur der Lehrbub wurde lebend aus den Trümmern geborgen. Als Kuriosum ist in den Annalen von München festgehalten, dass sogar der Kurfürst (und spätere König) Max IV. Joseph am Unglücksort weilte und dem Verschütteten nach der Rettung 18 Dukaten schenkte. Mit dieser Finanzhilfe begann der Aufstieg des genialen Optikers Fraunhofer. Laut Überlieferung hat sich der Bub von dem Geld eine Glasschneidemaschine gekauft.

Münchner Wirtschaftsgeschichte: Die Optikerstadt: Die Glashütte betrieben der Unternehmer Joseph von Utzschneider...

Die Glashütte betrieben der Unternehmer Joseph von Utzschneider...

(Foto: oh)

Auch der Unternehmer Joseph von Utzschneider hatte beobachtet, wie Fraunhofer aus den Trümmern gezogen wurde. Er fand Gefallen an dem wissbegierigen Glaserlehrling und sorgte dafür, dass er die Sonntagsschule besuchen durfte. Es rührt einen noch heute, wie der Zufall hier zwei große Persönlichkeiten glücklich zusammengeführt hat. Der Reformer Utzschneider bekleidete damals unter anderem eine Schlüsselposition im Finanzministerium, wo er aber nach Differenzen aus dem Verkehr gezogen wurde. Ungeachtet dessen war Utzschneider im frühen 19. Jahrhundert eine überragende Figur. Unter anderem verfasste er eine fortschrittliche Forstordnung, außerdem trieb er die Kultivierung des Donaumooses voran und er ordnete das Salinenwesen neu. Nach seinem Rausschmiss aus dem Staatsdienst suchte Utzschneider sein Glück als Unternehmer und kaufte 1805 das säkularisierte Kloster Benediktbeuern. Überdies gründete er zusammen mit dem Erfinder Georg von Reichenbach und dem Uhrmacher Joseph Liebherr ein "Mathematisch-mechanisches Institut", das zum Sprungbrett für die wissenschaftliche und unternehmerische Karriere Fraunhofers werden sollte.

Joseph von Fraunhofer

...und der Optiker Joseph von Fraunhofer.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

1806 nahm Utzschneider seinen Zögling in das Institut auf, das er alsbald nach Benediktbeuern verlegte. Utzschneiders Ziel war es, endlich ein schlierenfreies Glas für optische Geräte herzustellen. Der Autodidakt Fraunhofer entwickelte indessen eine neuartige Schleif- und Poliermaschine für frisches Glas, doch er mischte sich auch in die Herstellung des Glases ein. 1811 übertrug ihm Utzschneider die Aufsicht über die Glasschmelze. Fraunhofer schaffte es schließlich, schlierenfreies Glas höchster Güte herzustellen. Die Glashütte mit den zwei Schmelzöfen und den tiefschwarzen Dachbalken, in der ihm dies geglückt ist, kann noch heute besichtigt werden.

Georg von Reichenbach

Mit Georg von Reichenbach führten die beiden ein "Mathematisch-mechanisches Institut".

(Foto: Blanc Kunstverlag)

In der Glashütte im Kloster Benediktbeuren verbesserte Fraunhofer die Glasproduktion immer weiter, bis seine optischen Linsen eine bis dahin unerreichte Qualität erreicht hatten. Auf diese Weise begründete er den wissenschaftlichen Fernrohrbau, dazu erfand er zahlreiche optische Instrumente und feinste mechanische Geräte. Fernrohre und Teleskope überraschten jetzt das Auge mit bis dahin unvorstellbaren Vergrößerungen, die dem Himmel immer mehr Geheimnisse entlockten. 1846 wurde beispielsweise mithilfe eines Fraunhofer-Refraktors der Planet Neptun entdeckt. Der Gelehrte Carl Friedrich Gauß (1777-1855) meldete nach einem Besuch begeistert, in Benediktbeuern werde "Glas in einer bisher nie erreichten Vollkommenheit gefertigt.

Das Unternehmen von Utzschneider und Fraunhofer stieg schnell zum Marktführer für Fernrohre, Mikroskope und Lupen in Europa auf. Fraunhofer experimentierte im Kloster unermüdlich mit seinen optischen Geräten. Als er eines Tages, um Glasqualität zu bestimmen, Sonnenlicht durch ein Prisma lenkte, entdeckte er zwischen den Farben des gebrochenen Lichts schwarze Linien. "Ich wollte suchen, ob im Farbenbilde von Sonnenlichte ein ähnlich heler Streif zu sehen sey, wie im Farbenbilde vom Lampenlichte, und fand anstatt desselben mit dem Fernrohre fast unzählig viele starke und schwache vertikale Linien, die aber dunkler sind als der übrige Theil des Farbenbildes; einige scheinen fast ganz schwarz zu seyn." 574 solcher Linien hat er katalogisiert. Die Entdeckung dieser nach ihm benannten Linien öffnete das Tor zu einem der wichtigsten Gebiete der modernen Physik: Die "Fraunhoferschen Linien" bilden die Grundlage der Spektralanalyse, mit deren Hilfe heute das Weltall erforscht wird. Fraunhofer hat mit seinen Forschungsergebnissen unsere Kenntnisse über Fixsterne ebenso revolutioniert wie das Wissen über den inneren Aufbau eines Atoms. Für seine Leistungen erhob ihn König Ludwig I. in den Adelsstand. Natürlich haben die Ehrungen und Erfolge auch Neider auf den Plan gerufen. Einige Wissenschaftler kritisierten Fraunhofers fehlende Bildung, auch mit manchen Geschäftspartnern kam es zu Reibereien. Nachdem Utzschneider 1819 das Kloster Benediktbeuern wieder verkauft hatte, ging Fraunhofers glücklichste Schaffensperiode zu Ende. Seine Werkstatt wurde nach München verlegt. Allerdings hatte der ständige Umgang mit giftigen Chemikalien Fraunhofers Gesundheit angegriffen. Mit nur 39 Jahren musste er sterben.

Seinen frühen Tod betrauerte der Sprachforscher Johann Andreas Schmeller, wie Fraunhofer Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, in einem bewegenden Nachruf: "Fraunhofer, der schon einmal aus dem Grabe Erstandene, um die Himmel und die Quellen des Lichtes, näher als ein Sterblicher vor ihm, zu schauen, zum zweiten Mal und ach für ewig begraben. Er war ausgelöscht am 7. Juni 1826." Heute lebt sein Name weiter in der Fraunhofer-Gesellschaft, die mehr als 80 Forschungseinrichtungen in Deutschland betreibt. Mit mehr als 18 000 Mitarbeitern ist sie die größte Organisation für angewandte Forschung und Entwicklung in Europa. Die Zentrale befindet sich in München.

In der nächsten Folge am Samstag: Münchens Mode und ihre Macher

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