Münchner Straßen: Türkenstraße:Wo die Bohème Bohème sein darf

Hier tranken Ringelnatz, Valentin - und Franz Josef Strauß betätigte sich angeblich als Bierschmuggler: Die Türkenstraße hat seit jeher die verschiedensten Gestalten angezogen und war dennoch immer das Zuhause der Bohème. Inzwischen schmilzt die Intellektuellen-Quote - dafür sorgen schon die BWL-Studenten. Ein Rundgang in Bildern.

Tobias Dorfer

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Türkenstraße

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Hier tranken Joachim Ringelnatz, Karl Valentin - und Franz Josef Strauß betätigte sich als Bierschmuggler: Die Türkenstraße hat seit jeher die unterschiedlichsten Gestalten angezogen und war dennoch immer das Zuhause der Bohème. Inzwischen schmilzt die Intellektuellen-Quote - dafür sorgen schon die BWL-Studenten.

Beginnen wir mit einer etwas abgedroschenen Phrase, die in diesem Fall aber durchaus ihre Berechtigung hat. Dass die Türkenstraße viele Gesichter hat, ist nicht zu leugnen. Sie ist, auch das kann man guten Gewissens kundtun, eine der vielfältigsten Straßen Münchens und seit jeher ein Pilgerort für die Bohème. Hier finden sich Hochkultur neben bayerischer Gemütlichkeit und urige Trödelläden neben Büros mächtiger Wirtschaftslenker.

Und geschichtsträchtig ist die Straße, die durch die Maxvorstadt und Schwabing führt, auch. Ihren Namen hat sie vom Türkengraben bekommen, der als Verbindungskanal zwischen der Residenz und den Schlössern Nymphenburg und Schleißheim gedacht war, jedoch nie fertiggestellt und später sogar wieder zugeschüttet wurde. Die Türkenstraße, im "Königlichen Rescript" aus dem Jahr 1812 von Max I. als Straßenname abgesegnet, lief auf eben jenen Graben zu und bekam daher ihre Bezeichnung. Sie beginnt an der Kreuzung mit der mondänen Brienner Straße - und damit an einem historischen Ort. Denn an der Ecke stand zwischen 1848 und 1964...

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... das Wittelsbacher Palais, das zunächst als Altersruhesitz von König Ludwig I. geplant war. Später griffen sich dann die Nazis das Gebäude. Ab 1933 war hier die Gestapo untergebracht und kurze Zeit später auch das Gestapo-Gefängnis, in dem unter anderem Hans und Sophie Scholl bis zu ihrer Hinrichtung inhaftiert waren. Heute erinnert eine unscheinbare Tafel an die düstere Vergangenheit. Nachdem das im Zweiten Weltkrieg zerbombte Gebäude 1964 endgültig abgerissen wurde, befindet sich dort heute...

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... der Hauptsitz der Bayerischen Landesbank. Die Gedenktafel ist, ganz klein, am Eckpfeiler zu erkennen.

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Das Haus an der Ecke zur Brienner Straße fällt sofort ins Auge. Viele Besitzer hatte das in den Jahren 1842 bis 1844 erbaute Palais Dürckheim schon. Wo einst der preußische Adel ein- und ausging, richteten die Nazis später ein Polizeikrankenhaus ein. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zieht das Landeskriminalamt in das Palais - später sollte hier sogar das städtische Kulturhaus errichtet werden. Dann jedoch gab es den Gasteig in Haidhausen und im Palais Dürckheim wurden die Banker der BayernLB weitergebildet. Heute geht es in dem Gebäude weniger um Bilanzkurven und um Investmentstrategien sondern um die Hochkultur. Die Pinakotheken haben darin ihre Räume für Kunstvermittlung eingerichtet und führen Workshops und Seminare durch.

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Jetzt beginnt sie endgültig, die Kunstmeile in der Türkenstraße. Den Anfang macht die Pinakothek der Moderne, die mit einer Gesamtfläche von mehr als 12.000 Quadratmetern zu den größten Museen für zeitgenössische Kunst in Europa zählt. Hier sind die ganz Großen ausgestellt: Gerhard Richter, Andy Warhol, Wassily Kandinsky und viele mehr. Besonders voll ist das Museum am Sonntag, wenn Besucher nur einen Euro Eintritt zahlen müssen. Das gilt übrigens auch für die...

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... Sammlung Brandhorst, die in direkter Nachbarschaft liegt, im Mai 2009 eröffnet wurde und damit das jüngste der Münchner Großmuseen ist. Dem Spaziergänger fallen sofort die bunten Keramikstäbe auf, 36.000 von ihnen sind am Gebäude angebracht. Je nach Position erlebt der Spaziergänger ganz unterschiedliche Farbeindrücke. In jedem Fall ist dieses Spiel der Farben eindrücklicher als das, was unter den Stäben zu sehen wäre: Sie verdecken nämlich ein perforiertes Blech, das die Aufgabe hat, den Verkehrslärm zu schlucken.

Zwischen so viel moderner Kunst hätte man beinahe ein historisches Gebäude übersehen, das zwischen den beiden Museen steht. Das...

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... unter Denkmalschutz stehende Türkentor ist das letzte Überbleibsel, was an die Türkenkaserne erinnert. Nach so viel Historie wird es Zeit für die leichteren Dinge des Lebens - und die findet man nach der Kreuzung zur Theresienstraße.

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Leichtere Dinge? Naja... Zuerst fallen die Baustellen auf. Es wird ordentlich gearbeitet in der Türkenstraße. Einen freien Stellplatz für das Auto zu finden, ist in der ohnehin schon vollgeparkten Gegend nun besonders schwierig. Dabei gibt es doch so viele Geschäfte hier, die einen Einkaufsbummel höchst lohnenswert machen.

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Dieser kleine Antiquitätenladen zum Beispiel. Wer seine Wohnung wirklich individuell - sprich: ohne Ikea-Chic - einrichten möchte, kann hier stylische Möbel erwerben, die im Wohnzimmer der besten Freundin ganz bestimmt nicht stehen. Schräg gegenüber ist ein Geschäft zu finden, das wohl fast jeder Münchner Student kennt, der auf die Schnelle eine Schraube, einen Putzlappen oder ein Küchenmesser braucht.

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Dieser Laden verspricht Großes: "Wir führen alles, was Sie brauchen", sagt Wolfgang Suckfüll. "Was wir nicht führen, brauchen Sie auch nicht." Das ist doch sehr beruhigend, dass sich die notwendigsten Dinge für den Haushalt in diesem verhältnismäßig kleinen Ladengeschäft finden lassen, das jede noch so absurde Schraubengröße führt. Oder wo kann man sonst in der Innenstadt Sturmhakenösen kaufen, Federringe, Backformen und Bügeleisen? Suckfüll besteht seit 1932, ist Kult in München. Beinahe wäre das Geschäft von den Nazis verjagt worden, die an dieser Stelle eigentlich einen Aufmarschplatz für ihre Massenveranstaltungen auf dem Königsplatz planten. Aber dann brach der Krieg aus und die Suckfülls blieben. Der damalige Inhaber verdiente nach dem Krieg so gut, dass er das Haus 1955 kaufen konnte. Glück für Wolfgang Suckfüll, der den Laden inzwischen führt und den die explodierenden Mietpreise im Univiertel kalt lassen können.

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Wer der Maxvorstadt beim Wachwerden zuschauen möchte, kann dies auf den Stühlen vor dem Café Puck tun. Dort sitzen schon am Morgen Studentinnen oder Geschäftsleute vor dem ersten Termin, frühstücken, quatschen oder fragen mit dem Smartphone noch einmal in Ruhe die aktuellen Börsenkurse ab.

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Das Lokal, das im kommenden Jahr seinen 20. Geburtstag feiert, hat seinen Namen ursprünglich nicht - wie man vielleicht meinen könnte und wie auch das Schild nahelegt - vom Elfen Puck aus Shakespeares Sommernachtstraum. Die Initialen der ersten Inhaber (Per, Udo und Christoph) sollten den Namen bilden. Und weil "Cup" eben nicht ganz so schön klingt, heißt das Café nun eben Puck.

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Wer solche Bücher bei den großen Ketten in der Innenstadt sucht, der wird mit Sicherheit nicht fündig. In der Türkenstraße gibt es dagegen jede Menge Antiquitätenläden. Wer man sich in diesem Laden durchs Sortiment wühlt, kann schon einmal die Zeit vergessen.

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Auch wenn seit einem Jahr in den bayerischen Gaststätten ein komplettes Rauchverbot gilt - geraucht wird noch immer. Deshalb wird sich dieses Zigarrengeschäft auch weiter halten können - zumal man hier für eine Schachtel Edelzigarillos deutlich mehr Geld auf den Tisch legt als für eine Schachtel Normalo-Zigaretten am Automaten. Hier gilt: Klasse statt Masse.

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Diese Bäckerei hängt die Brezen sogar nach draußen. Verlockend - aber das bedeutet nicht, dass man sich einfach kostenlos bedienen darf.

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Altbewährtes funktioniert immer: Auch wenn die Nation dazu aufgerufen ist, ihren Glühbirnenbedarf künftig mit Energiesparlampen zu decken, gibt es noch immer Romantiker, die das Licht der guten alten Glühlampe bevorzugen - auch wenn die ein Vielfaches an Energie frisst. Dieser Laden hat sich noch vor dem Glühlampenverbot mit einem ausreichend großen Vorrat eingedeckt.

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Dass hier bei schönem Wetter niemand draußen sitzt, kommt - zugegebenermaßen - sehr selten vor. Der Alte Simpl hat schon immer die schrägen Typen in die Maxvorstadt gelockt. Früher tranken hier Joachim Ringelnatz und Karl Valentin, Brigitte Bardot und Elivs Presley schauten genauso vorbei wie Duke Ellington und Curd Jürgens.

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Quelle: Stephan Rumpf

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Und heute? Lässt sich immer noch ab und zu der eine oder andere Promi blicken. Nina Ruge zum Beispiel oder Peter Maffay, der nach einem Konzert in der Olympiahalle im Alten Simpl noch ein Fleischpflanzerl verdrückte. Aber das ist dann doch eher die Ausnahme. Intellektuelle kommen noch immer gerne in das legendäre Künstlerlokal, aber eben auch BWL-Studenten, die sich nach den Vorlesungen hier ihr Feierabendbier gönnen. Grundsätzlich gilt: Jeder ist hier erwünscht - nur einer hatte jahrzehntelang Hausverbot: Franz Josef Strauß. Er hat, so wird erzählt, versucht, Bier in das Lokal zu schmuggeln.

Gaststätte "Alter Simpl" in München, 2011

Quelle: Stephan Rumpf

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Bleibt noch die Frage nach den Namen: Der ist von der legendären Satirezeitschrift Simplicissimus übernommen. Aber Wirtin Kathi Kobus, so die Legende, soll dem Chef des Blattes eine ganze Nacht Champagner spendiert haben, um den Namen nutzen zu dürfen. Wie man sieht, hat sich die Hartnäckigkeit gelohnt. Noch immer wacht die Bulldogge, das Wappentier des Simplicissimus über die Vorgänge im Lokal - und...

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Quelle: Stephan Rumpf

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... an den Wänden hängen alte Ausgaben der Zeitschrift.

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Nur wenige Schritte weiter auf der anderen Straßenseite gelangt man zu einem ebenso malerischen wie historischen Ort. Nicht weit entfernt von der Stelle, wo man heute bei Sonnenschein wunderbar einen Kaffee genießen kann (wovon die vielen abgestellten Fahrräder zeugen), wohnte in den 1930er Jahren...

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... der deutsche Widerstandskämpfer Georg Elser. Seit 1997 trägt der Platz an der Türkenstraße 68 den Namen des Mannes, der am 8. November 1939 im Münchner Bürgerbräukeller versuchte, Adolf Hitler mit einer Bombe zu töten - ein Plan, der misslang. Wendet man den Blick nach rechts zur Grundschule, sieht man...

Lichtinstallation zum Gedenken an Georg Elser in München, 2009

Quelle: Stephan Rumpf

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... das Elser-Denkmal der Künstlerin Silke Wagner. Die Installation aus Neonglas und Aluminium wurde im Jahr 2009 fertiggestellt. Täglich um 21:20 Uhr, der Uhrzeit des Attentats, leuchtet das Kunstwerk für eine Minute auf. Die strahlenförmig angeordneten Leuchtkörper sollen die Bombenexplosion vom 8. November 1939 darstellen.

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Bei diesem Schriftzug werden Kino-Erinnerungen wach: Wer erinnert sich nicht, an den Kinofilm Rossini, in dem Helmut Dietl der Münchner Schickeria ein filmisches Denkmal gesetzt hat. Doch eigentlich hieß das Rossini gar nicht Rossini sondern Romana Antica und lag in der Elisabethstraße. Doch dann wurde das Haus an eine Immobilienfirma verkauft - und die wollte mehr Miete. Vor vier Jahren hat Wirt Fabrizio Cereghini in der Türkenstraße 76 wieder ein Lokal eröffnet - und jetzt heißt das Restaurant auch tatsächlich Rossini.

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Wer einen Streifzug durch die Münchner Kneipengeschichte unternehmen möchte, der ist in der Türkenstraße gut aufgehoben. Denn hier gibt es nicht nur den Alten Simpl, sondern mit dem Türkenhof noch eine weitere Künstlerkneipe, aus der viele Geschichten zu berichten sind. Etwa von der Knoblauchzehe, die ein ehemaliger Inhaber zwischen Bar und Küche deponiert hatte, um Vampire aus dem Lokal fernzuhalten. Um die Jahrhundertwende waren an dieser Stelle noch Pferdeställe und Werkstätten untergebracht. Heute kehren hier gerne Studenten ein - nicht zuletzt wegen des günstigen Essens, der großen Schnitzel und der Kickerturniere, die im Türkenhof regelmäßig stattfinden.

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Auch wenn die Mieten im Univiertel in den vergangenen Jahren drastisch gestiegen sind und so mancher Türkenstraßenbewohner über einen Zusatzgroschen nicht meckern würde: Hier wird nicht mehr gesammelt. Das Schild...

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... ist lediglich im Antiquitäten-Laden käuflich zu erwerben.

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An diesem Handtaschen kommt wohl keine Frau vorbei, ohne wenigstens einen verstohlenen Blick darauf zu werfen. Während SIE noch durch das Sortiment stöbert, dürfte sich SEIN Interesse mehr auf...

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... dieses recht unscheinbare Gebäude konzentrieren. Doch Filmfans ist die Arnold & Richter Cine Technik GmbH & Co. Betriebs KG (kurz: ARRI) in jedem Fall ein Begriff. Die Firmengruppe produziert und verleiht Gerätschaften zur Filmherstellung, vertreibt Leuchtmittel (etwa für "Herr der Ringe") und vieles mehr. Auch ein Kino ist hier untergebracht - und Kabarettfreunde kennen die ARRI-Studios von den Aufzeichnungen der ZDF-Reihe "Neues aus der Anstalt".

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Schließlich streift der Spaziergänger auf seinem Weg durch die Türkenstraße noch den Erweiterungsbau einer der bedeutendsten Kunsthochschulen Deutschlands. An der Akademie der Bildenden Künste, an der unter anderem Wassily Kandinsky, Paul Klee und Franz Marc ihr Handwerk erlernten, studieren heute auch angehende Innenarchitekten und Kunstlehrer an Gymnasien.

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Wer die Akademie passiert, hat damit schon fast die Türkenstraße abmarschiert, die nach 1,3 Kilometern in die Georgenstraße mündet. Dennoch lohnt sich ein Blick nach links zu den restaurierten Häusern im Stil der Neurenaissance, bevor man dann endgültig die Maxvorstadt verlässt und Schwabing betritt.

© sueddeutsche.de/bica
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