Münchner SPD:"Provinziell klein und grandios mondial in einem"

Die Genossen in München suchen einen Weg zurück auf die Erfolgsspur. Doch verkörpert die SPD noch das Lebensgefühl der Stadt? Und was müsste sie tun, um wieder erfolgreicher zu sein? Die SZ hat prominente Ratschläge eingeholt.

Von Thomas Anlauf, Peter Fahrenholz und Susanne Hermanski

Die Münchner SPD stellt zwar weiterhin den Oberbürgermeister. Doch ihr Stadtratsergebnis war mau, stärkste Fraktion ist jetzt die CSU. In einer internen Analyse der Ursachen ist davon die Rede, man sei nicht mehr die München-Partei. Die SZ hat diesen selbstkritischen Befund zum Anlass genommen, einer Reihe von Persönlichkeiten aus verschiedenen Lebensbereichen die Frage zu stellen: Verkörpert die SPD noch das Lebensgefühl der Stadt? Und was müsste sie tun, um wieder erfolgreicher zu werden?

Wolfgang Ettlich, Filmemacher und Leiter des Theaters Heppel & Ettlich: "Ich glaube nicht, dass es an der Politik der SPD im Stadtrat liegt. So inhaltlich denkt der Wähler gar nicht. Und weniger sozial als früher ist die SPD ja auch nicht. Sie fördert nach wie vor Kultur, auch wenn sie nicht massenwirksam ist, und hilft Bedürftigen. Aber neulich habe ich bei der Münchner Tafel gedreht und es gesehen: Josef Schmid zieht sich die Schürze an und teilt den Armen das Essen aus. So etwas hat emotionale Schlagkraft. Das muss man nicht mögen, aber man kann es spüren. Das fehlt der SPD. Sie hat keine Typen. Ihre Kandidaten müssten sich viel mehr öffnen."

Susanne Breit-Keßler, Regionalbischöfin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern: "Ob die SPD noch das Münchner Lebensgefühl trifft? Eine unsinnige Frage. Befindlichkeiten dürfen nicht mit sachorientierter Parteipolitik verwechselt werden. Politik hat sich nicht um Stimmungen zu kümmern, geschweige denn, dem Volk nach dem Mund zu reden. Sie soll ihm aufs Maul schauen, wie Luther sagt - also prüfen, was die Menschen wirklich brauchen. Man muss ihre Sprache sprechen. Der Münchner SPD ist das in den letzten zwei Jahrzehnten sozial- und gesellschaftspolitisch gut gelungen. Von ihr erwarte ich, dass sie Rahmenbedingungen schafft, damit Leben in unserer Stadt menschenwürdig möglich ist. Weltstadt mit Herz? Ja, wenn die SPD mit ihrer neuen Koalition Mieten ermöglicht, die man bezahlen kann und Flüchtlingen neue Heimat gibt. Das wäre Münchner Gefühl für Leben."

Armin Nassehi, Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität: "Hätte die Münchner SPD doch richtige Fehler gemacht - aber selbst ihrer eigenen schonungslosen internen Krisendiagnose fällt eher Atmosphärisches ein: Man sei kein München-Synonym mehr, nicht mehr überall präsent, kaum Innovationen, zu wenig offene und ehrliche Diskussionen - was man in Ermangelung klarer Gründe eben so sagt. Einen Grund freilich gibt es: Was ein Patriarch zusammenhalten kann, kann man erst sehen, wenn er weg ist. Ude konnte von jetzt auf gleich vom Stadtteildetail auf Münchner Weltpolitik umstellen - letztlich ist es doch das, was München ausmacht: provinziell klein und grandios mondial in einem zu sein. Dieses München-Gefühl kann eine SPD ohne Ude derzeit ebenso wenig vermitteln wie eine urban sich windende CSU. Aus der Sache kommt die Seite gut heraus, die diese Spannung aushalten kann. Bis dahin ran an die klassischen Fragen: Mietpreise, Wachstum, ÖPNV. Jetzt ohne Patriarch."

Franz Maget: "Die SPD muss dort hingehen, wo es weh tut."

Münchner SPD: Die Sozialdemokraten suchen derzeit nach einem Weg zurück in die Erfolgsspur. SZ-Grafik

Die Sozialdemokraten suchen derzeit nach einem Weg zurück in die Erfolgsspur. SZ-Grafik

Konstantin Wecker, Liedermacher: "Die Münchner erwarten von der SPD, dass sie sich nicht um eine Olympiabewerbung kümmert, sondern um bezahlbaren Wohnraum. Das Wichtigste in dieser Stadt ist doch, dass nicht nur Milliardäre von außerhalb hierherziehen, sondern dass Münchner hier wohnen bleiben können und nicht an den Rand gedrängt werden. Die Münchner SPD muss ein Zeichen setzen und dem gnadenlosen Neoliberalismus einen Strich durch die Rechnung machen. Ich wünsche der SPD, dass sie ihre Wähler zurückgewinnt. Denn mein München ohne starke SPD ist für mich schwer vorstellbar."

Franz Maget, bis 2009 Chef der Münchner SPD: "Für mich ist und bleibt die SPD die "München-Partei", wie wir sie vor 15 Jahren liebevoll tituliert haben. Sie hat kommunale Sozialpolitik gemacht, als die CSU noch die Ausländerfeindlichkeit pflegte. Sie hat die öffentliche Daseinsvorsorge gestärkt, als andernorts munter privatisiert und liberalisiert wurde, sie hat kommunalen Wohnraum vermehrt, wo die Staatsregierung die GWB verscherbelte. Die SPD muss sich jetzt die Mühe machen, dorthin zu gehen, wo es weh tut, und die Sorgen der Menschen ernst nehmen. Während in dieser Situation die CSU in die Nobeldisco P1 einlädt, um mit "coolen Drinks und coolen Gästen" das coole München zu feiern, muss die SPD die Menschen am Biergartentisch am Lerchenauer See wieder zusammenbringen. Kein Problem ist so unbedeutend, als dass man besserwisserisch darüber hinweggehen dürfte. Wenn die Münchner SPD ihre Wähler sucht, dann findet sie sie nicht in den Fünf Höfen und der Theatinerstraße, sondern in Milbertshofen, Sendling und Pasing. In Vierteln also, in denen die Wahlbeteiligung auf ein historisch niedriges Niveau abgesunken ist. Dort wird man dankbar sein, wenn die Sozialdemokraten signalisieren: ,Wir sind für euch da und kümmern uns gemeinsam mit euch um unsere Stadt.'"

Helmut Schleich, Kabarettist: "Die SPD regiert München seit Jahrzehnten. Der enorme wirtschaftliche Aufschwung, den die Stadt in dieser Zeit genommen hat, ist also auch ein Resultat erfolgreicher SPD- Politik. Und was war der SPD- Basis schon immer weit suspekter als der politische Gegner? Erfolgreiche Leute in den eigene Reihen. Also geht das Lavieren los: Die Wirtschaftskraft Münchens lockt Gutverdiener aus dem ganzen Land an, die München mit dem Geldbeutel erobern. Die SPD versucht sich anzubiedern und frustriert damit ihr klassisches Klientel, die kleinen Leute. Schönes Beispiel: die Olympiabewerbung 2022. Die Münchner SPD will mit sogenannten ,ökologischen Spielen' ausgerechnet dem IOC seine Grenzen zeigen. Eine Lachnummer! Nach dem inhaltlichen Profil dieser Partei zu fragen, wie es die Jusos jetzt getan haben, ist also durchaus angebracht. Ein ,Weiter so' zwischen großem Geld und großer Koalition zerreibt die Partei vollends."

Hans-Jochen Vogel, Alt-Oberbürgermeister: "Der jüngste Parteitag hat gezeigt, dass meine Partei ihre Niederlage bei der letzten Stadtratswahl ernst nimmt und sich nicht allein damit tröstet, dass die OB-Wahl gewonnen wurde. Vielmehr zeigen die Papiere, die dem Parteitag vorlagen und dort diskutiert wurden, dass sie auf das Lebensgefühl der Menschen eingehen und ihr Vertrauen wiedergewinnen will. Wurden dabei erkannte Defizite doch ganz konkret angesprochen. So etwa, dass sich die Partei wieder stärker für die täglichen Sorgen der Menschen öffnen und deshalb unter ihnen kontinuierlich präsent sein muss. Schon deshalb wünsche ich mir auch eine intensive Mitgliederwerbung. Es sollten aber auch Perspektiven für die Bewältigung der großen Herausforderungen entwickelt werden - also für das weitere Wachstum, die Folgen der digitalen Revolution, die Verbreiterung der sozialen Kluft und die immer stärkere Verflechtung der Stadtregion. Dabei müssen Partei und Stadtratsfraktion den OB unterstützen, aber neben ihm auch erkennbar bleiben. Und durchaus gelegentlich die großen Erfolge der vorausgangenen Zeiten in Erinnerung rufen."

Kurt Mühlhäuser, langjähriger Chef der Stadtwerke: "Die SPD muss wieder zur Mitmach-Partei werden. Und sie muss ihre Erfolge der Vergangenheit mit konkreten Plänen zur Zukunftsgestaltung verbinden. Aber ich bin zuversichtlich, dass die SPD die München-Partei bleiben wird. Dieter Reiter hatte einen sehr guten Start als Oberbürgermeister. Jetzt muss ein neuer Vorsitzender oder eine neue Vorsitzende gewählt werden, der oder die weiß, dass der OB das größte Zugpferd der Partei ist."

Till Hofmann, Goldgrund-Aktivist und Leiter des Lustspielhauses: "Die Münchner SPD müsste sich jetzt runderneuern, aber ich glaube, dass Dieter Reiter das schaffen kann. Man muss ihm einfach nur ein bisschen Zeit geben. Das Problem ist, dass die SPD mit dem Fraktionsvorsitzenden Alexander Reissl weitermacht, der dafür verantwortlich ist, sich an die CSU anzubiedern und dass die SPD nun in die Juniorrolle gedrängt ist. Sie hat auch ihre Kernthemen wie Arbeiten und Wohnen in einem Anflug von Protzigkeit vernachlässigt. Das müssen sie wieder ablegen."

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