Münchner Seiten:Spirituosen nur für Kranke

Ein Apotheker beleuchtet die Geschichte seines Berufsstandes

Von Jakob Wetzel

Albrecht Scholl muss ein unangenehmer Nachbar gewesen sein - und das in dieser Gegend. Im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert betrieb der Mann eine Apotheke an der Burgstraße, am Eingang zum Alten Hof, zur früheren Residenz der Herzöge. Es war die Zeit, in der ebendiese Herzöge ein rigides Sittenregiment errichtet hatten: Gottgefälliger Lebenswandel war Bürgerpflicht, Verfehlungen wurden streng bestraft. Und ausgerechnet jetzt machte dieser Scholl sogar im Stadtrat von sich reden.

Da hieß es etwa, der Apotheker sei verschwenderisch, würde seine Frau übel traktieren und stark fluchen. Versoffen war er ebenfalls, jedenfalls erteilte ihm der Magistrat einen Verweis und untersagte ihm "alle volmachende Tranckh". Es half nichts. Ein paar Monate später schon wurde die nächste Beschwerde verhandelt: Scholl wurde "wegen seines unliderlichen groben lebens, sauffen, rauffen, schlagen und gräulich gottslästern" schließlich eingesperrt.

Zugegeben: Albrecht Scholl ist nicht unbedingt das beste Beispiel eines Münchner Apothekers aus vergangenen Zeiten; er ist nur einer unter vielen, die Gerd-Bolko Müller-Faßbender, selbst Apotheker, in einer Studie über das alte Apothekenwesen beschreibt, die jetzt neu im Utz-Verlag erschienen ist. Und vielleicht liegt es auch an den historischen Quellen; ein Verbrecher wird öfter aktenkundig als ein braver Apotheker. Doch wahr ist auch: Was die öffentliche Gesundheit angeht, hatte München lange keinen guten Ruf. Immer wieder grassierten Seuchen, die Pest suchte München mindestens 25 Mal heim. Und folgt man dem Bild, das diese Studie zeichnet, muss man sagen: Die Apotheker waren dabei offensichtlich keine große Hilfe.

Die Dokumente zeichnen das Bild eines zwar angesehenen - viele Apotheker waren Mitglieder im Magistrat - aber faulen Berufsstandes mit einem Hang zu Wucherei und Betrug. Immer wieder wurden Apotheker gerügt, weil sie die Arbeit von ihren nicht ausgebildeten Ehefrauen erledigen ließen; viele verschrieben ihre Mittelchen selbst und kümmerten sich nicht um die Rezeptpflicht. Der Schwarzmarkt blühte.

Das zeigte sich auch im Verkauf von Branntwein. Denn weil die Menschen offenbar zu viel Schnaps tranken, erhielten die Apotheker 1530 ein Monopol auf Spirituosen; verkaufen durften sie nur an Kranke, zu medizinischen Zwecken. Der tatsächliche Effekt war offenbar das Gegenteil: Es wurde noch mehr getrunken als zuvor, und ihren illegalen Handel trieben die Apotheker sogar in den Kirchen. Das Monopol wurde ihnen bald wieder entzogen.

Es sind solche Anekdoten, die dieses Buch stellenweise doch kurzweilig machen. Denn ansonsten ist Müller-Faßbenders Studie eine Fleißarbeit: Akribisch ist der Autor der Geschichte einzelner Apotheken nachgegangen, hat Inventarlisten verschwundener Häuser zusammengetragen und Berufsordnungen sowie Prozessakten ausgewertet.

Dann aber erzählt er wieder zum Beispiel von den Schweden, die 1632 einfielen und nicht nur die Stadtkasse plünderten und Geiseln nahmen, sondern auch den Hofapotheker Balthasar Stöckl beraubten: Sie nahmen kandierte Früchte und Pralinen im Wert von 1000 Gulden mit. Denn Apotheker waren auch Zuckerbäcker, sie mussten schließlich bittere Arzneien genießbar machen. Dabei brachten es einige zu erheblicher Meisterschaft. Besonders die Hofapotheker mussten Süßigkeiten in Mengen für die Herrschaften herstellen. Und mehr als zwei Jahrhunderte lang, von 1438 bis 1660, waren Münchens Apotheker gar von der Steuer befreit; sie lieferten stattdessen Süßes ab.

Albrecht Scholl übrigens konnte sich mit seinem Lebensstil nicht lange halten; 1608 musste er seine Apotheke verkaufen, fortan lag er seiner Frau auf der Tasche. Die Stadt hatte daraus gelernt: Als sich ein Nachfolger fand, stellte sie erst einmal Nachforschungen an, nicht nur über die berufliche Qualifikation des Bewerbers, sondern auch über seinen Lebenswandel. Für Scholl hatte die Geschichte aber offenbar ein gutes Ende: Er taucht 1615 als Apotheker in Tegernsee auf, und - ob es wohl an seinen Süßigkeiten lag? - belieferte sogar den doch so frommen Hof in München.

Gerd-Bolko Müller-Faßbender: München und seine Apotheken. Geschichte des Apothekenwesens der bayerischen Haupt- und Residenzstadt von den Anfängen bis zum Ende des Kurfürstentums, München: Herbert Utz Verlag, 388 Seiten, 39 Euro.

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