Münchner Seiten:Einem Lebensgefühl auf der Spur

50 Jahre Schwabinger Krawalle

Polizisten gehen 1962 auf der Leopoldstraße mit Gummiknüppeln gegen randalierende Jugendliche vor.

(Foto: Gerhard Rauchwetter/dpa)

Mit dem fünften Band der "Reiseführer für Münchner" lässt sich das einst reiche kulturelle Leben Schwabings entdecken. Und auch, was daraus geworden ist

Von Andreas Schubert

Der Spätsommer in München kann so schön sein, auch wenn das Wetter in diesem Jahr so manchem geplanten Biergartenbesuch oder Isar-Picknick einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Wer sich einfach mal zu Fuß aufmacht, die Stadt zu erkunden, ist allerdings nicht unbedingt auf schönes Wetter angewiesen. In der einen Hand ein Schirm, in der anderen einen der "Reiseführer für Münchner" von Martin Arz, und der Tag ist gerettet. Mit den Büchern des Autors kann man immer wieder so einiges Neues respektive Bekanntes neu entdecken. Der nun schon fünfte Band aus der Reiseführer-Reihe, die im Hirschkäfer-Verlag erschienen ist (16,90 Euro), beschäftigt sich mit Schwabing. Man muss vorab sagen: Es ist gewagt, das Wesen dieses großen Stadtteils auf 160 Seiten zusammenzufassen. Doch Arz gelingt es ganz gut, einen Überblick zu geben über die ehemalige Gemeinde, die 1886 zur Stadt erhoben wurde, nur um schon 1890 nach München eingemeindet zu werden. Das geschah übrigens auf eigenen Wunsch der Stadt Schwabing. Sie war unter anderem nach der Installation elektrischer Straßenbeleuchtung noch vor der Stadt München dermaßen in Geldnot geraten, dass man um die Eingemeindung bat.

Die Geschichte Schwabings steht im Vordergrund des Buches. Der Autor betont im Vorwort ausdrücklich, er lege den Fokus "weniger auf ,Schwabylon' und ,Wahnmoching' oder die sattsam bekannten Adressen von Fanny zu Reventlow, Thomas Mann oder Lenin, sondern auf Schwabing als historischen Ort." Ganz wird die Schwabinger Bohème und Kulturszene der Jahrhundertwende freilich nicht ausgeklammert, auch wenn sich vieles tatsächlich nicht in Schwabing, sondern in der Maxvorstadt abgespielt hat. Trotzdem spiegelt das Buch wider, warum Schwabing der bekannteste Stadtteil Münchens ist.

Das Kapitel "Ein Ort - ein Zustand" etwa zeichnet das einstige Lebensgefühl des jungen Schwabings nach, das noch heute als Mythos durch die Köpfe wabert, aber in der heutigen Zeit nicht mehr in diesem Maß der Wirklichkeit entsprechen mag. Aber gut: Erinnern schadet ja nichts, wenn man durch die heute eher fade Leopoldstraße schlendert, die 1962 der Ausgangspunkt der berühmten Schwabinger Krawalle war. Im Kapitel "Rund um Altschwabing" erfährt der Leser, wie lebendig einst das kulturelle und gesellschaftliche Leben dort war, und was heute daraus geworden ist. Denn ausgestorben ist die Kultur natürlich noch lange nicht.

Dafür sorgen schon die Lach- und Schießgesellschaft, das Lustspielhaus, das Vereinsheim, das Theater Heppel und Ettlich über dem Drugstore (das derzeit umgebaut wird) oder das Rationaltheater. Beim Rundgang mit dem Reiseführer in der Hand kommt man an jeder dieser für das Kulturleben der gesamten Stadt wichtigen Einrichtungen vorbei, nebenbei wird auch die Geschichte der Häuser in der Umgebung erzählt. Dabei erfährt man unter anderem, dass es auch mal Bauernhöfe in dieser Gegend gab, von denen noch Überbleibsel erhalten sind, und sogar den ersten Tierpark Münchens. Wer Zeit hat, sollte sich pro Tag nicht mehr als ein Kapitel vornehmen, sondern zwischendurch irgendwo einkehren und das Gelernte reflektieren. Dann kann der Münchner auf Erkundungstour sich in Ruhe noch mit dem Englischen Garten befassen, mit dem Norden Schwabings oder Schwabing West. Die beiden Letzteren sind keine Touristen-Hotspots, wenn auch die mit Selfiesticks bewaffneten Horden in der Innenstadt etwas verpassen. Denn nicht nur, wer sich für Architektur interessiert und mithilfe des Buches zu den Jugendstil-Juwelen des Viertels geleitet wird, kommt auf seine Kosten. Man kann viel lernen, wie sich eine Stadt mit der Zeit wandelt.

Am besten sieht man das vielleicht im Petuelpark, der heute eine mit Kunst und viel Grün lockende Oase der Ruhe ist, seit der Autoverkehr in den Untergrund verbannt wurde. Ein guter Ort, um weiter in dem Reiseführer für Münchner zu blättern. Zumindest, wenn es gerade mal nicht regnet.

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