Münchner Seiten:Auch in München ging das Licht der Aufklärung an

Der Literaturhistoriker Manfred Knedlik widerlegt in seinem Buch das gängige Vorurteil, dass im 18. Jahrhundert finsterer Aberglaube, Rückständigkeit und geistige Trägheit die Stadt prägten

Von Wolfgang Görl

In seiner "Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781" schreibt der Berliner Verleger Friedrich Nicolai, der ganz dem Geist der Aufklärung verpflichtet ist: "Ich wusste zwar, dass Bayern einige verdiente Gelehrte hat, wusste aber ebensogut, wieviel Macht dort die stumpfe Bigotterie und der Aberglaube noch haben. Als ich nun nach München kam, war ich auf eine sehr angenehme Weise überrascht, denn ich fand Aufklärung und Gedankenfreiheit sehr viel weiter verbreitet, als ich mir vorgestellt hatte."

Nun, im weiteren Verlauf seiner Schilderungen kommt München dann doch nicht so gut weg, allen fortschrittlichen Aspekten zum Trotz findet Nicolai in der Stadt diverse Beispiele finsteren Aberglaubens. Generell blicken die zeitgenössischen Autoren aus dem protestantischen Norden herablassend und nicht selten verächtlich auf Bayern und München, wo sie vor allem infolge der Macht der katholischen Kirche Rückständigkeit und geistige Trägheit zu entdecken glauben. Tatsächlich aber ist im 18. Jahrhundert auch in München das Licht der Aufklärung angeknipst worden, wenngleich es vielleicht nicht ganz so hell strahlte wie in anderen Metropolen.

Zu diesem Befund kommt der Literaturhistoriker Manfred Knedlik in seinem kürzlich erschienenen Buch "Aufklärung in München". Das gängige Vorurteil, dass die Stadt unter dem Einfluss von Pfaffen und einem konservativen Herrscherhaus kaum etwas von der Befreiung des Menschen aus "selbstverschuldeter Unmündigkeit" (Kant) mitbekommen habe, widerlegt Knedlik mit eindrucksvollen Beispielen aufklärerischer Projekte in München. Was die Aufklärer aus dem Norden Deutschlands womöglich befremdet hat, ist, wie Knedlik schreibt, die besondere Spielart des geistigen Aufbruchs im Süden: "Grundziel in Bayern und anderswo im Süden wurde, Aufklärung und Katholizismus zusammenzuführen. In der Sonderform der katholischen Aufklärung leistete der oberdeutsche Raum in einer eigenen, moderaten, oftmals auch nur rezeptiven Weise einen Beitrag zur allgemeinen Fortschrittsbewegung des 18. Jahrhunderts."

Denkmäler

Wichtige Münchner Aufklärer: der Schriftsteller und Historiker Lorenz von Westenrieder.

(Foto: Florian Peljak)

Bereits zu Beginn dieses Jahrhunderts unternehmen einige Männer aus der Elite der Stadt den Versuch, die in Mode gekommene aufgeklärt-wissenschaftliche Geselligkeit auch in München einzuführen. "Nutz- und Lust-erweckende Gesellschaft der vertrauten Nachbarn am Isarstrom" heißt die 1702 gegründete gelehrte Sozietät, die aber nicht lange Bestand hat. Dennoch darf man die "Nachbarn am Isar-strom" als frühen Aufschein des Akademiegedankens sehen, der in dem 1720 initiierten und letztlich gescheiterten Projekt der "Academia Carolo-Albertina" sowie in der aufklärerischen Zeitschrift Parnassus Boicus erneut aufkeimt. Zur treibenden Kraft der Akademiebewegung avanciert schließlich der Jurist und Hofrat Johann Georg von Lori (1723-1787), dessen Engagement für die Aufklärung 1758 in der Gründung der "Bayerischen Gelehrten Gesellschaft" gipfelt, aus der die "Kurbayerische Akademie der Wissenschaften" hervorgeht.

Erstaunlich ist, dass Kurfürst Max III. Joseph, der von 1745 bis 1777 regiert, für moderne Ideen aufgeschlossen ist und in vielen Bereichen des staatlichen Lebens Reformen einleitet. Selbst Lessing, einer der großen Aufklärer, rühmt die "helle Denkart" und den "gesunden Verstand" des Kurfürsten. Besonders bedeutsam ist die fortschrittliche Kodifikation des Rechts, bei welcher der Konferenzminister Wiguläus von Kreittmayr (1705 - 1790) die Feder führt. Aufklärung und Absolutismus gehen bei Max III. Joseph Hand in Hand, weshalb es kein Wunder ist, dass er die weltliche und wirtschaftliche Macht der Kirche zu beschneiden versucht. Dabei kommt ihm gelegen, dass der Papst selbst - wenn auch nicht aus freien Stücken - 1773 den Jesuitenorden aufhebt. Für die Münchner Aufklärer ist dies ein Triumph, denn die in der Stadt einflussreiche Gesellschaft Jesu gehört zu ihren härtesten Widersachern.

Unter Kurfürst Karl Theodor, dem Nachfolger Max III. Joseph, tun sich die Aufklärer schwerer, obwohl auch dieser Herrscher diverse Reformen in Gang setzt. Mit der Zeit aber, schreibt Knedlik, gerät "der tolerante und kompromissbereite, vor allem schöngeistige Fürst in zunehmendem Maße in ein reaktionäres Fahrwasser". Mit harter Hand geht er etwa gegen die Illuminaten vor, den von Adam Weishaupt in Ingolstadt gegründeten akademischen Geheimbund, der aufklärerische Gedanken pflegt und auch am Münchner Hof viele Mitglieder und Anhänger hat. Vor allem ihrer politischen Ansprüche wegen lässt Karl Theodor die Illuminaten verfolgen, wohingegen gemäßigte Aufklärer wie der Schriftsteller und Historiker Lorenz von Westenrieder weitgehend unbehelligt bleiben. Fraglos fortschrittlich und im Sinne der Aufklärung sind die Projekte, die Benjamin Thompson, der spätere Reichsgraf von Rumford, in München verwirklicht. Dazu zählen eine Reform des Heerwesen, soziale Reformen oder neue Wege in der Stadtplanung.

Denkmäler

Benjamin Thompson, der spätere Reichsgraf von Rumford.

(Foto: Florian Peljak)

Kurfürst Max IV. Joseph, der von 1799 an regiert und 1806 die Königswürde erhält, stellt den Staat auf eine neue Grundlage, die auf den aufklärerischen Vorstellungen seines Ministers Maximilian Graf von Montgelas (1759-1838) beruhen. Besonders spektakulär und von vielen Münchnern keineswegs begrüßt ist dabei die Zwangsauflösung der Klöster, die nicht nur als "Hort des Aberglaubens", sondern auch als Hindernis für die Modernisierung des Staates betrachtet werden. Vor allem aber bringt die Säkularisation der Klöster einen erheblichen materiellen Gewinn für die Staatskasse.

Wer Knedliks faktenreiches und sorgfältig recherchiertes Buch liest, erhält einen guten Überblick über die aufklärerischen und reaktionären Strömungen im München des 18. Jahrhunderts. Um tiefer in die Materie einzudringen, etwa in die geistesgeschichtliche Rolle der Illuminaten und anderer Geheimbünde, kommt man um weiterführende Literatur dennoch nicht herum. Bei Knedlik aber findet der Leser genug Beispiele, um die gern verbreitete These, an Bayern und seiner Hauptstadt sei die Aufklärung vorüber gegangen, als puren Quatsch zu entlarven. Resümierend schreibt der Autor: "Ungeachtet aller Gegenströmungen aber wirkte eine große Anzahl von regen Geistern in Bayern, im Glauben an die Vernunft und an die Veränderbarkeit der Welt, an einer spürbaren Modernisierung des Landes mit. Längst hatten die politischen, wissenschaftlichen und geistlichen Eliten im Kurfürstentum Anschluss an die geistige Weit im aufgeklärten Protestantismus gefunden, ihren Reformwillen und ihre Reformfähigkeit unter Beweis gestellt."

Manfred Knedlik: Aufklärung in München. Verlag Friedrich Pustet; 152 Seiten; 12,95 Euro.

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