Münchner Schulpreis:"Ich darf nicht aufgeben"

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Seit 17 Jahren werden an der Schlau-Schule junge Flüchtlinge unterrichtet, gerade hat die Bildungseinrichtung den nächsten Preis abgeräumt. Doch die Atmosphäre hat sich verändert: Immer mehr Schüler sollen Deutschland verlassen - und die Unsicherheit lähmt

Von Christina Hertel

Komm, schenk dir ein, und wenn ich dann traurig werde, liegt es daran, dass ich immer träume von daheim", steht auf dem Blatt, das vor Yasin Rahmati liegt. Griechischer Wein von Udo Jürgens. Es geht um das Heimweh der Gastarbeiter in Deutschland Anfang der 70er - lange her, aber Rahmati fühlt sich gar nicht so anders. Er kommt aus Afghanistan, ist Schüler an der Münchner Schlau-Schule, wo nur junge Flüchtlinge unterrichtet werden. Gerade ist Deutschstunde, die Schüler sollen in Gruppen den Liedtext besprechen. Mit Bleistift macht Rahmati Notizen. Seine Buchstaben sind schnörkelig, sehen eher nach Poesiealbum als nach Hefteintrag aus. Dann soll er seine Ergebnisse vor der Klasse präsentieren. "Ich denke auch an Afghanistan, an meine Familie dort", sagt er. "Ich denke: Wann wird es wieder sicher?"

Diesen Sommer macht die Klasse ihren Abschluss. Sie schreibt dann die gleichen Prüfungen wie andere Mittelschüler in München, obwohl viele erst seit ein paar Jahren in Deutschland leben, obwohl die Sprache, die Schrift neu sind. "Unsere Schüler wollen keine Extrawurst", sagt die Lehrerin Doris Olsen-Hildebrandt. Seit 13 Jahren arbeitet sie für die Schlau-Schule. Die Abkürzung steht für schulanalogen Unterricht und heißt, dass die Schüler das gleiche lernen wie an anderen bayerischen Mittelschulen. Nur die Betreuung ist intensiver.

Um jede Klasse kümmert sich ein Sozialpädagoge. Er hilft, wenn Post von den Behörden kommt, und er ist da, wenn die Schüler einfach mal jemand brauchen, der ihnen zuhört. Für dieses Engagement wurde der Schule am Dienstag der Münchner Schulpreis verliehen. Bereits zum dritten Mal suchte die Stadt innovative Schulen mit Ganztagesangebot. Die Schlau-Schule belegte dieses Jahr den ersten Platz und erhält dafür 12 000 Euro. Es ist nicht einzige Auszeichnung: Im Dezember hat die Schule bereits den Deutschen Engagementpreis gewonnen, 2014 den Deutschen Schulpreis. Was ist das Geheimnis der Schlau-Schule?

Schulleiterin Antonia Veramendi kann längst nicht alle Schüler aufnehmen. (Foto: Stephan Rumpf)

Die Schulleiterin Antonia Veramendi glaubt fest an das Sprichwort: So wie man in den Wald hineinruft, so kommt es auch zurück. In ihrem Fall heißt das: die Schüler wertschätzen, individuell fördern, ihnen die Anerkennung geben, die sie suchen. Hinzu kommt, dass die Pädagogen wissen, was sie tun. 17 Jahre ist es inzwischen her, dass Michael Stenger die Schlau-Schule gründete. Sein Ziel war, jungen Flüchtlingen die Chance auf Bildung zu geben, die sie sonst in einem regulären Schulbetrieb so nicht bekommen würden. Aus dieser Idee entstand folgendes Konzept: Maximal 18 Schüler sitzen in einer Klasse.

Nachmittags gibt es Hausaufgabenbetreuung und extra Kurse - Nähen zum Beispiel Schreinern oder Fußball. Und wenn die Schüler dann einen Ausbildungsplatz gefunden haben, werden sie weiter betreut, bekommen Hilfe beim Berufsschulunterricht. "Damals gab es so ein Angebot noch nicht", sagt Veramendi. "Und heute haben wir Erfahrung wie sonst keiner." Und das alles führt zu Erfolgen: 93 bis 100 Prozent würden den Abschluss schaffen.

Fast ebenso viele finden eine Ausbildung oder einen Platz auf einer weiterführenden Schule. Zahlen, angesichts derer eigentlich jeder Pegida-Demonstrant seine Plakate verbrennen müsste. Nur kann eben nicht jeder Flüchtling auf die Schlau-Schule. Momentan sind es 320, in 20 Klassen. "Gerade in den letzten beiden Jahren gab es viel mehr Anfragen als Plätze", sagt Rudolf Hillreiner, Mathelehrer und stellvertretender Schulleiter. Bevorzugt werden dann die Flüchtlinge aufgenommen, die an anderen Schulen nicht unterkommen würden. Am Ende entscheidet auch das Los.

Seit einiger Zeit hat sich die Atmosphäre an der Schule verändert - zum Negativen. Das liegt nicht an den Lehrern oder den Prüfungen, sondern an der Politik. Vor gut einem Monat bekam Hamid Husseini einen Brief. Er soll zurück nach Afghanistan, stand darin. Ein Schock. Das Land ist ihm fremd, nicht einmal die Sprache kann er richtig. Als Husseini noch ein kleines Kind war, flohen seine Eltern mit ihm in den Iran. Dort nähte er Taschen, eine Schule besuchte er nie. "Ohne Papiere im Iran", sagt er, "ist man nichts wert." Er machte sich auf nach Deutschland, am 5. Dezember 2013 kam er an. Husseini nennt das Datum, ohne auch nur einen Moment nachdenken zu müssen.

Seit fast drei Jahren besucht er die Schlau-Schule, darf lernen, wie er sagt. Im Sommer soll er seinen Abschluss machen. Er würde gerne in einer Bank arbeiten, eines Tages. Aber für Träume sind gerade keine Zeit. Jetzt muss er so schnell wie möglich eine Ausbildung finden. Denn damit bekommen auch abgelehnte Asylbewerber eine Duldung und danach zwei Jahre, um den Job auszuüben. Als der Brief kam, erzählt Husseini, hätte er am liebsten alles hingeschmissen. "Aber die Lehrer, die Sozialpädagogen haben gesagt: Ich darf nicht aufgeben." Er war schon bei einem Anwalt und will gegen den Bescheid klagen. Und jetzt schickt er überall Bewerbungen hin - Hauptsache, er darf bleiben.

So wie Husseini geht es zur Zeit einigen Schülern, besonders aus Afghanistan. "Klar ist es schwierig, sich zu motivieren, wenn man nicht weiß, wie es weitergeht", sagt Rudolf Hillreiner. Kurz vor Weihnachten bekamen einige Schüler Post von den Behörden. "Die Sozialpädagogen haben dann Notsprechstunden eingerichtet und Whatsapp-Gruppen", erzählt die Deutschlehrerin Olsen-Hildebrandt. Das Ganze ärgert sie. Schließlich bedeute ein negativer Bescheid nicht, dass man sofort das Land verlassen muss. "Einige könnten trotzdem noch einige Jahre bleiben", sagt die Lehrerin. Nur werde ihnen durch die Unsicherheit die Kraft zum Lernen geraubt. "Dabei bin ich fasziniert, welchen Willen die Schüler haben." Und was damit möglich ist.

© SZ vom 18.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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