Münchner Rathaus:Wo das Herz der Weltstadt schlägt

Das Neue Rathaus am Marienplatz ist so verschnörkelt - kaum ein Besucher kommt auf die Idee, dass es erst gut 100 Jahre alt ist. Ein Blick hinter die märchenhafte Kulisse.

Von Heiner Effern

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Wortgefechte im Sitzungssaal

Referentenwahlen im Münchner Rathaus, 2016

Quelle: Florian Peljak

Das Herz der kommunalen Demokratie schlägt im Rathaus, und wie es sich für ein Herz gehört, in mehreren Kammern. Im großen Sitzungssaal treffen sich die 80 Stadträte zu ihrer Vollversammlung, dort streiten und beschließen sie darüber, wie sie das Leben in der Stadt regeln wollen. An der Stirnseite präsidiert OB Reiter, rechts von ihm blickt Bürgermeister Schmid (CSU) in den Saal, links Bürgermeisterin Christine Strobl (SPD). Von ihren Plätzen aus gesehen sitzen rechts die CSU-Stadträte auf den Stühlen mit den hohen Lehnen, links die von der SPD. Dazwischen haben sie die Opposition eingeklemmt.

Vorbereitend agieren die Fachausschüsse, die im großen und im daneben liegenden kleinen Saal tagen. Auf eine mangelnde repräsentative Umgebung kann sich keiner bei seinen Entscheidungen berufen. Zwischen den beiden Sälen gibt es aber noch eine Kammer, die eine sehr wichtige Funktion hat. Im sogenannten Weißwurstzimmer können sich Stadträte während langer Vollversammlungen stärken. Vorwiegend tun sie das aber mit Brezen und Kaffee. Hier gibt es keine Sitzordnung und keinen Fraktionszwang, manche nutzen das zum Ratschen, andere, um die Arbeit in den großen Herzkammern informell anzuschieben.

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Bücherzauber in der juristischen Bibliothek

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Quelle: Alessandra Schellnegger

Die Macht der Bücher zeigt sich nicht nur in ihrer Wirkung auf den Leser, sie erstreckt sich auch auf Räume. Bücher machen schnöde Zimmer schöner, und sie verwandeln schöne Räume manchmal sogar in Zauberorte. Auch das Rathaus hat so einen Ort, die juristische Bibliothek im dritten Stock. Entworfen hat sie wie das gesamte Gebäude der Architekt Georg von Hauberrisser, sie verströmt heute noch das Flair einer alten Klosterbibliothek: ein mehrere Meter hoher Raum, viel Holz und Schnörkel. In der Ecke eine eng geschlungene Wendeltreppe, die auf eine Galerie führt, an den Wänden Regalen mit Büchern, die fast bis zur Decke reichen.

Seit 1906 residieren all die Gesetzeswerke, Kommentare und Verwaltungsvorschriften im Rathaus. Im Gegensatz zu den wissenschaftlichen Büchereien der Universitäten bietet die Stadt wenig Theorie und Historie, sondern praktische Hilfe zur konkreten Lösung von Rechtsfragen. "Bei uns ist nicht das älteste Buch interessant, sondern das neueste", sagt die Leiterin Christa Waltenberg.

10 000 Bücher stehen parat, jeder kann kommen, um sie zu nutzen. Hauptsächlich belegen die 50 Studierplätze Anwälte, Stadtmitarbeiter oder Studenten. Sie büffeln und arbeiten, aber manche spüren schon auch die besondere Wirkung des Raums. Er fühle hier einen Hauch von Hogwarts, sagte kürzlich ein Gast zur Bibliothekschefin.

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Am Bürgermeisterschreibtisch: Das Zentrum der Macht

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Quelle: Catherina Hess

Wenn der Chef von seinem Stuhl aus ins Büro blickt, sieht er links eine Grünpflanze und rechts einen sehr langen Besprechungstisch. Da müssen viele wichtige Menschen sitzen können, weil hier viele wichtigen Entscheidungen für die Stadt fallen. In diesem Eckzimmer im zweiten Stock regiert Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) die Stadt. Hier bespricht er mit seinen engsten Mitarbeitern, wie die Zukunft in München aussehen soll. Etwa wie die Stadt mit Flüchtlingen umgeht. Ob seine Regierung mehr sparen muss oder wie er eine Koalitionskrise mit der CSU löst. Oder eben auch nicht löst. Hier empfängt er Bittsteller und Menschen, die sich beschweren wollen. Manchmal erklärt der Oberbürgermeister in seinem Büro auch Grundschülern, was er eigentlich so macht. Nicht alle werden das Zentrum der Macht so glücklich verlassen wie diese Kinder.

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Die Katakomben im Ratskeller

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Quelle: Robert Haas

In einer so großen Verwaltung, wie sie Dieter Reiter vom Rathaus aus steuert, mag sich manch Bürger und Berichterstatter schon mal wie in einem Labyrinth vorkommen, aus dem er nicht mehr herausfindet. Viel größer ist die Gefahr des Verlaufens jedoch, wenn man arglos vom Marienplatz durch eine Treppe ins Untergeschoss hinabsteigt. Der Laie mag staunen über diese Orientierungslosigkeit, schließlich befindet sich dort mit dem Ratskeller lediglich eine Gaststätte. Doch darin sind über so viele Räume, Winkel und Gänge etwa 1100 Sitzplätze verteilt, dass man leicht den Überblick verliert.

Schon mancher erfahrene Rathausreporter soll verzweifelt das Personal um Hilfe angebettelt haben, als er den Weg vom Haupteingang zur Alten Küferei suchte. Der verläuft etwa so: vorbei an Bistro und Pub, durch die Hauberrisser Gaststätte, die Räume Arche Noah passierend, Sumpf und Ludwig den Ersten tangierend, diverse Weinstuben liegen lassend, und schließlich scharf links. Den Überblick über diese Räume und Gewölbe bewahrt in jedem Fall Wirt Peter Wieser mit seiner Familie, schließlich hat sie seit vielen Jahrzehnten den Ratskeller von der Stadt gepachtet.

Seine Gaststätte hat ebenso viele Gesicher wie Räume: Im Sommer fallen viele Touristen ein wie gerade die chinesische Gruppe, die wild entschlossen Schweinshaxen bestellt hat. Im Herbst und Winter, wenn draußen die Terrassen und Biergärten geschlossen sind, kommen mehr die Einheimischen. Und dann gibt es noch die, die Wirt Wieser besonders "stolz" machen: etwa 400 Stammtische. Im Monat. Von Keglern bis zu Schauspielern. Etwa 190 Angestellte versorgen die Gäste in diesem unterirdischen Labyrinth, und sie sorgen auch vorbildlich dafür, dass niemand verloren geht.

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Das Hauberrisser-Zimmer: Die Ehrenloge der Stadt

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Quelle: Robert Haas

Wenn ein kleiner Kreis von Bürgern geehrt wird, weil er sich zum Beispiel sehr für Mitmenschen engagiert, wird er von der Stadt möglicherweise ins Hauberrisser-Zimmer geladen. Da stimmt noch jedes Detail, hier lebt der Geist des Grazer Architekten, der vom Türbeschlag über die Verzierung jedes Treppengeländers bis zu den Schreibtischen einfach alles für das Rathaus entworfen hat: die dunklen Stühle mit den geschnitzten Lehnen, den Holztisch, das Gewölbe und dort oben einen riesigen Kronleuchter, der dringend nötig ist, damit man trotz des freudigen Anlasses nicht in Schwermut versinkt.

Tritt man hinaus auf den Balkon und blickt vom zweiten Stock auf den Marienplatz hinab, fühlt man sich schnell wie ein Deutscher Meister oder Champions-League-Sieger. Aber die Fußballer des FC Bayern, so lässt man sich sagen, stehen nach ihren Dauererfolgen auf einem der anderen Balkone. Sie werden ja auch nicht fürs soziale Engagement geehrt.

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Backstage im Glockenspiel: Der Rathausturm

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Quelle: Robert Haas

An 364 Tagen im Jahr muss einer aus der Truppe von Peter Suermann, Leiter vom Hausservice, hinauf ins fünfte Obergeschoss, um dem gefallenen Ritter wieder in den Sattel zu helfen. Im Turnier draußen in schwindelerregender Höhe wird der rote Reiter nach hinten gestoßen, wie Hunderte Besucher unten am Marienplatz gespannt verfolgen können. Dass im Turm jemand durch eine kleine Türe hinaus greift, den Ritter an der Lanze packt und wieder kräftig nach vorne ruckeln muss, um ihn fit für den nächsten Kampf zu machen, bemerkt niemand.

Die Lebenshilfe für den Turnierhelden ist seit dem ersten Tag Handarbeit. Das gilt auch für jeden Start des Glockenspiels mit Turnier, Schefflertanz und Hahnenschrei, täglich um elf, um zwölf und im Sommer auch um 17 Uhr. Trotz einer einst hochmodernen Automatik muss jeder Tanz von Hand gestartet werden. Der städtische Mitarbeiter drückt im Rückraum auf verschiedene grüne Knöpfe neben der historischen Schaltung. Dann setzt sich eine der Walzen in Gang, die über eine ausgetüftelte Seilzug-Mechanik die 43 Glocken melodisch zum Läuten bringt. Und draußen fällt der rote Ritter. Nur am Karfreitag darf er sitzen bleiben, dann schweigen auch die Rathausglocken.

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Stadtschätze im "Silberkammerl"

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Quelle: Robert Haas

Natürlich sind in einem Rathaus, dem die romantischen Erbauer Ende des 19. Jahrhunderts einen Gotik-Look mit Spukschloss-Faktor verpassten, Schätze verborgen. Der bürgerliche Name des Verstecks: "Silberkammerl". Das Goldene Buch wird darin aufbewahrt, auch die Präsente von Ehrengästen sollen sich dort stapeln. Die genaue Lage im Gebäude soll geheim bleiben, klar, wegen der Schätze. Man darf aber so viel verraten: Es lohnt sich nicht, danach zu suchen.

Das Silberkammerl besteht aus zwei einfachen Zimmern mit schmucklosen Einbauschränken aus den Achtzigerjahren. Das Silber liegt längst im Stadtmuseum, ebenso die meisten Geschenke. Die Kammerl-Chefin führt als Beispiel für Gastgeschenke einen Krautkopf aus Ismaning und einen Webstuhl aus Tibet vor. Bemerkenswert sind noch eine massive, dicke Holztür und die Gitter vor dem Fenster, die einzigen im Rathaus übrigens. Sollten die Silberkammerl-Hüterinnen mal eingesperrt sein, werden sie überleben: Sie verfügen auch über eine Einbau-Küchenzeile und ein paar Kisten mit Getränken.

© SZ.de/bhi
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