Münchner Rathaus:Öffentlicher Streit über Flüchtlingspolitik

Stadtratsabstimmung über Stolpersteine in München, 2015

Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) ist empört über die Äußerungen von Bürgermeister Josef Schmid (CSU) zur Flüchtlingspolitik.

(Foto: Robert Haas)
  • Die Flüchtlingspolitik sorgt immer wieder für Streit zwischen den Bündnispartnern im Rathaus.
  • In einem Interview mit dem Münchner Merkur hat Bürgermeister Josef Schmid (CSU) einen "Hilfeschrei" verschickt und falsche Zahlen genannt.
  • Von Seiten der SPD gibt es Kritik an Schmids Äußerungen. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) meldete sich sogar aus dem Urlaub zu Wort.

Von Dominik Hutter

In der Flüchtlingspolitik ist ein offener Konflikt zwischen den Bündnispartnern SPD und CSU entbrannt. Der im Urlaub weilende Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) reagierte empört auf einen "Hilfeschrei", den sein Stellvertreter Josef Schmid (CSU) wegen der hohen Flüchtlingszahlen im Namen der Stadt München verschickt hatte.

"Darum geht es nicht", betonte der Rathaus-Chef. "Das ist das Letzte, was ich jetzt tun würde." Schmid liege mit solchen Aussagen "komplett daneben". Für München sei es selbstverständlich, weiterhin Hilfe zu leisten - "für alle, die kommen". Wichtig sei aber, dass endlich die zuständigen Stellen auf Landes- und Bundesebene ihre Hausaufgaben machten. Auch Münchens SPD-Vize Roland Fischer wies Schmid harsch zurecht: "München schreit nicht um Hilfe, München hilft."

Der CSU-Bürgermeister hatte seine umstrittenen Aussagen in einem Interview mit dem Münchner Merkur geäußert und dabei vorgeschlagen, künftig verstärkt ostdeutsche Kommunen in die Pflicht zu nehmen, weil dort - anders als in München - Hunderte Wohnungen leerstehen. Als Beleg für die dringliche Lage hatte er die Zahl von 225 zusätzlichen Flüchtlingen pro Tag ins Spiel gebracht, die die Stadt München versorgen müsse. Nach Auskunft von Sozialreferentin Brigitte Meier (SPD) weist die Regierung von Oberbayern der Stadt tatsächlich derzeit 225 Flüchtlinge zu - allerdings nicht pro Tag, sondern pro Woche. Dieser Wert wird durch die neue Flüchtlingsprognose des Bundesinnenministeriums noch ansteigen.

"Bei einem so sensiblen Thema sollte er zumindest die korrekten Zahlen parat haben", wetterte SPD-Vize Fischer. "So bleibt leider nur der Eindruck, er wolle in bekannter CSU-Manier Ängste schüren, statt weiter für die Hilfsbereitschaft und Unterstützung zu werben." Ein Sprecher Schmids sprach am Mittwoch von einem Fehler, der beim Autorisieren des Interviews durchgerutscht sei. Der CSU-Politiker habe in Wahrheit Wochen-Werte gemeint.

Reiter, der sich wegen der Schmid-Aussagen eigens aus dem Urlaub meldete, kann auch dies nur schwer nachvollziehen. Schließlich hätte die von Schmid geäußerte Größenordnung zur Folge, dass München pro Monat fast 7000 zusätzliche Flüchtlinge betreuen müsste. Tatsächlich, darauf weist das Sozialreferat ausdrücklich hin, leben insgesamt nur knapp 9000 Flüchtlinge in der 1,5-Millionen-Stadt, mehr als 4100 davon sind minderjährig.

Flüchtlingssituation sorgt immer wieder für Streit im Rathaus

Für Irritationen sorgte Schmid, der eigentlich als liberaler Konservativer gilt, auch mit der Aussage, München gingen die geeigneten Bauten für Gemeinschaftsunterkünfte aus - und auch die erst am Mittwoch vergangener Woche erstmals beschlossenen Leichtbauhallen seien wohl irgendwann vom Markt verschwunden. Dann bliebe letztlich nur noch die Unterbringung in Zelten oder Turnhallen. Was Schmid erklärtermaßen nicht will.

Aus Sicht von Sozialreferentin Meier gibt es für eine solche Entwicklung jedoch "keinerlei Anhaltspunkte". Derzeit prüfe die Behörde "einige sehr interessante Gewerbeobjekte". Aber auch ein Mangel an Leichtbauhallen sei nicht zu befürchten. Die wetterfesten Konstruktionen könnten problemlos mit einem Vorlauf von etwa vier Wochen geliefert werden. Sie seien aber ohnehin nur als Übergangslösung gedacht, bis die beschlossenen Unterkünfte in festen Gebäuden fertig seien. Diverse befänden sich im Bau und stünden kurz vor der Fertigstellung. Andere seien geplant und könnten 2016 bezogen werden. Die Anzahl der Flüchtlinge, die täglich in München ankommen - aber zum Großteil nach ihrer Registrierung in andere Kommunen weitergeleitet werden -, hat derweil einen neuen Höchststand erreicht: von Dienstag auf Mittwoch waren es innerhalb von 24 Stunden 858 Asylsuchende. "Die Lage ist aber stabil", betonte Simone Hilgers, Sprecherin der Regierung von Oberbayern. Das Hauptproblem sei weiterhin, dass das bundesweite Computersystem "Easy" nicht 24 Stunden laufe, sondern um 20 Uhr abgeschaltet und erst um 6 Uhr wieder angeschaltet wird. Das führe "jede Nacht zu neuen, hundertfachen Rückstaus", beklagte Regierungspräsident Christoph Hillenbrand.

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