Münchner Philharmoniker:Der Paukenschlag des Intendanten

Neuanfang bei den Münchner Philharmonikern: Mit Chefdirigent James Levine wird auch der künstlerische Intendant Bernd Gellermann das Orchester zum Ende der Saison 2003/2004 verlassen. Gellermann hat seinen erst im vergangenen Jahr verlängerten Intendantenvertrag zum 31. August 2004 gekündigt. Im Gespräch mit der SZ nennt er die Gründe für seinen Rückzug.

Interview: Franz Kotteder

SZ: Kulturreferentin Lydia Hartl hat mittlerweile schon öffentlich vermutet, ein Grund für Ihre Kündigung sei die lange Autofahrt von Ihrem Wohnort Garmisch nach München ... Gellermann: (lacht) Nein, das war natürlich ganz und gar nicht der Grund, das macht mir überhaupt nichts aus. Der Grund für meine Kündigung liegt im Umgang der Politik in der Stadt mit den Philharmonikern. Wir sind an einer Grenze angekommen, wo ich als künstlerischer Intendant nicht mehr weitermachen kann. Die finanziellen Bedingungen erlauben es nicht mehr, das künstlerische Konzept durchzusetzen, das ich mir vorgestellt habe.

Münchner Philharmoniker: Sieht keine Chance mehr, sein Konzept umzusetzen: Bernd Gellermann verlässt die Münchner Philharmoniker.

Sieht keine Chance mehr, sein Konzept umzusetzen: Bernd Gellermann verlässt die Münchner Philharmoniker.

(Foto: Foto: Münchner Philharmoniker)

SZ: Nun muss die Stadt ja auch tatsächlich sparen. Gellermann: Das ist mir vollkommen klar, das hat ja auch nie jemand von uns bezweifelt. Wir haben auch unseren Beitrag geleistet und bisher schon auf sehr viel verzichtet. Aber ich habe das Gefühl, dass das überhaupt nicht anerkannt wird. Wenn man ein nationales oder internationales Spitzenorchester haben will, dann muss man das auch bei den Finanzen wollen. In anderen Großstädten, denken Sie an Berlin, wird das gerade in diesen Zeiten gemacht. Da wird bewusst zugunsten der großen Orchester umgeschichtet. Bei uns hingegen mussten Stellen abgebaut werden. Wir mussten auf die Kammerkonzerte verzichten, auf Kinder- und das Abonnentenorchesterkonzert, auf konzertante Opern. Weitere Einschnitte stehen durch die Tariferhöhungen an. Inzwischen geht es so an die Substanz, dass das Niveau nicht mehr zu halten ist. Und in der Politik dieser Stadt gibt es offenbar niemanden, der versteht, wie so ein Orchester funktioniert.

SZ: Ihr Ziel war, die Philharmoniker zu einem international anerkannten Spitzenorchester zu machen. Gellermann: Ich habe 1997 einen sehr schönen Job in Berlin aufgegeben, um in München künstlerischer Intendant zu werden. Die Aufgabe, ein Spitzenorchester mitzuformen, hat mich sehr gereizt, und dieses Potenzial war und ist bei den Münchner Philharmonikern vorhanden. Nur: Wenn man ein solches Spitzenorchester will, dann gehört dazu beispielsweise eine gewisse Breite im Repertoire, eine große Fähigkeit, unterschiedliche Werke aus verschiedenen Epochen sozusagen "parat" zu haben. Das ist heute der internationale Standard an der Spitze. Eine Reihe von Höhepunkten auf einem Gebiet während der Saison genügt nicht, wenn diese künstlerischen Höhepunkte nur wie einzelne Leuchttürme aus dem übrigen Programm ragen. Auch das übrige Programm muss zumindest sehr gut sein, um überhaupt an die Spitze gelangen zu können.

SZ: Schön für das Orchester, aber schlecht für einen Star-Dirigenten, der in der Regel dann doch lieber den Leuchtturm macht. Gellermann: Ein Dirigent von internationalem Rang verfolgt natürlich legitime eigene Karriereziele. Umso wichtiger ist es, dass sich jemand engagiert um die normalerweise übrigen zwei Drittel des Programms kümmert. Die Münchner Philharmoniker galten am Ende der Celibidache-Ära als das wohl beste Celibidache-Orchester. Das war es dann aber auch schon. In den vergangenen Jahren ist es uns gelungen, kontinuierlich weiter zur Spitze vorzustoßen. Wir sind ja nicht umsonst vom Verband der Musikverleger mit dem Preis für das beste Jahresprogramm ausgezeichnet worden und haben eine sehr hohe Auslastung erreicht.

SZ: Ihr Rückzug fällt aber auch nicht ganz zufällig mit dem Amtsantritt des neuen Chefdirigenten Christian Thielemann zusammen? Gellermann: Das war nicht der ausschlaggebende Punkt ... Es gibt auf manchen Gebieten große Übereinstimmung zwischen uns, es gibt aber auch unterschiedliche künstlerische Auffassungen. Das ist aber nun nichts Ungewöhnliches. Ich gebe allerdings zu, dass es mich schon gestört hat, dass Christian Thielemann Dinge zugesichert wurden, die eigentlich meinen Vertrag berühren und meine Kompetenzen beschneiden. Das fand ich offen gestanden schon auch verletzend. Ich bin sicher, dass Christian Thielemann hier wunderbare Konzerte geben wird. Aber, wie gesagt: Wenn das nur einzelne Leuchttürme im Gesamtprogramm sind, wird das nicht reichen.

SZ: Ihr Verhältnis zur Kulturreferentin ist auch nicht gerade das beste. War das für Ihre Entscheidung mit ausschlaggebend? Gellermann: Wie unser Verhältnis ist, ist ja nun stadtbekannt. Ich habe mich immer bemüht, ganz allein die Interessen des Orchesters im Auge zu behalten und mit den jeweiligen Referenten ein gutes Verhältnis zu haben im Sinne dieser Aufgabe. Bei Siegfried Hummel und bei Julian Nida-Rümelin ist mir das geglückt. Bei Frau Hartl anscheinend weniger. Ich wurde zwar angehört, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass das dann auch irgendwelche Konsequenzen hatte.

SZ: Wie sind denn Ihre weiteren beruflichen Perspektiven? Gellermann: Ich habe keine andere Position in Aussicht, wenn Sie das meinen. Dieser Schritt bedeutet für mich auch ein gewisses persönliches Risiko. Aber unter den gegebenen Umständen sehe ich keine andere Möglichkeit.

SZ: Würden Sie sich gegebenenfalls noch einmal umstimmen lassen? Gellermann: Unter den gegebenen Umständen sehe ich meinen jetzt vollzogenen Schritt als die einzig richtige Entscheidung.

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