Münchner Momente:Kuscheln im Kino-Zug

Lesezeit: 1 min

Die Bahn möchte 3,5 Prozent mehr von den Fahrgästen. Die zahlen das bestimmt gerne, wenn das Bordprogramm in den S-Bahnzügen noch ein bisschen erweitert wird

Von Andreas Schubert

Die Münchner lieben ihren öffentlichen Nahverkehr. Sie lieben es, an Haltestellen zu warten, und gemeinsam zu rätseln, was wohl hinter der Anzeige "keine Anzeige möglich" wieder stecken mag. Das kann sich zu einem wahnsinnig geselligen Spielchen entwickeln, bei dem sich die Leute näher kommen. Wer weiß, wie viele Ehen sich schon an Bushäusln angebahnt haben und Paare sich Jahrzehnte später noch erinnern: "Weißt du noch, damals, als wir uns kennenlernten und du zu spät zu Arbeit kamst?" Vielleicht hat so mancher seinen Job wegen un-MVV-freiwilliger Unpünktlichkeit verloren. Aber was ist das schon, wenn man dafür die große Liebe gefunden hat? Da zahlt man doch gerne alle Jahre wieder ein bisschen mehr für die Monatskarte, vielleicht bleiben den Verkehrsbetrieben ja irgendwann ein paar Euro übrig, die romantische Funktion der Wartehäuschen zu würdigen, sie rosa zu lackieren und ein paar Herzerl drauf zu pappen.

Die Münchner Verkehrsgesellschaft gibt sich noch bescheiden und wäre schon mit einer Tariferhöhung unter zwei Prozent zufrieden. Aber die Bahn, die hat Größeres vor. Sie will 3,5 Prozent, und deshalb gehen die Verhandlungen, was den Münchnern noch zumutbar ist, in eine weitere Runde. Aber was sind schon lächerliche 3,5 Prozent, wenn man daran denkt, was man künftig in den S-Bahn-Zügen geboten bekommt? Vor ein paar Monaten hat die Bahn das neue Innendesign der Züge vorgestellt. Und siehe da: In die Waggons sollen Eckbänke eingebaut werden, die vorab schon als "Kuschelecken" gepriesen wurden. Geht's noch herziger? Das sollte den Fahrgästen doch was wert sein! Die Bahn könnte in den zusätzlich geplanten neuen Bildschirmen in den Zügen romantische Komödien zeigen, wenn auf der Stammstrecke mal wieder nix vorwärts geht. Man stelle sich all die Morgenpendler vor, die nach anderthalb Stunden "Before Sunrise" verzückt ins Büro tapsen und sich schon auf die Fortsetzung "Before Sunset" auf dem Heimweg freuen. Kuscheln im Kinozug - wem würde das nicht gefallen? Sollte sich die S-Bahn mit ihren Forderungen durchsetzen, wären bestimmt ein paar Filmrechte drin und sie würde geliebt wie nie zuvor: Je verspäteter, desto heißer.

© SZ vom 19.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: