Rindermarkt:Wenn etwas krachend kaputt geht, ist der Mann glücklich

Rindermarkt: Schlagen hier nur Männerherzen höher? Bei der Baustelle am Rindermarkt schauen beide Geschlechter gern mal zu.

Schlagen hier nur Männerherzen höher? Bei der Baustelle am Rindermarkt schauen beide Geschlechter gern mal zu.

(Foto: Stephan Rumpf)

Der Abbruchbagger am Rindermarkt kann es locker mit einem Theaterregisseur aufnehmen. Und er bietet dabei nicht nur Männern eine gute Show.

Von Wolfgang Görl

Das beste Freilufttheater, das München derzeit zu bieten hat, findet am Rindermarkt statt. Das Schauspiel könnte "Der Abbruch" heißen oder, damit es cooler klingt, "Dekonstruktion 4.0". In der Hauptrolle ist ein Baggerführer zu sehen, der mit einem furchterregenden Gerät, das an eines dieser außer Kontrolle geratenen Stahlmonster aus Action-Filmen erinnert, zwei Häuser nach allen Regeln der Kunst demoliert. Erbarmungslos frisst sich die schnabelartige Abbruchzange ins Gemäuer, Wände bersten, Balken brechen, Baustahlknäuel krachen auf den Boden - kein Schauspielregisseur kriegt ein derart fulminantes Untergangsszenario hin.

Und das Münchner Theaterpublikum, versiert, wie es nun mal ist, weiß die Inszenierung zu schätzen. Vor allem Männer weiden sich am Zerstörungswerk, was natürlich Wasser auf die Mühlen feministischer Genderforscher und -forscherinnen ist. Das ist ja mal wieder typisch, lautet die wissenschaftliche Schlussfolgerung: Wenn etwas krachend kaputt geht, ist der Mann glücklich.

Okay, das kann man so sehen, aber wahr ist auch, dass Männer mitunter in eine Lebenskrise geraten, wenn etwas kaputt geht, zum Beispiel ihr Auto. Man darf sie nicht komplett verteufeln, sie haben auch ihre guten Seiten - sogar der Baggerfahrer vom Rindermarkt, der die Dinge ja nicht nur zerstört, sondern auch ihr Inneres freilegt. Beispielsweise die alten Inschriften an der bis dato verbauten Brandmauer des Nachbarhauses: Sie sind, mit einigen Abstrichen, so aufregend wie die Hieroglyphen in einem Pharaonengrab, und zudem leichter lesbar. Eine rote Schrift wirbt für die Firma "Strumpf Wein", die Firma "Stempel-Herbst" empfiehlt sich mit grünen Lettern. Soso, es gab also mal ein Strumpfgeschäft am Rindermarkt, und Stempel konnte man auch kaufen.

Wer weiß, vielleicht ist die mondäne Münchnerin seinerzeit zum Strumpf Wein gestöckelt, um sich mit feinsten Nylons einzudecken, und danach ging's zum Stempel-Herbst, der so herrlich flauschige Stempelkissen im Angebot hatte. Solche Geschichten, die der Anfang eines ergreifenden Liebesdramas sein könnten, entsteigen dem Staub der Abbrucharbeiten. Wer lieber ins Theater geht, ist selbst schuld.

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