Münchner Milliardenspiel:Die Mehrkanalarbeiter

Milliardenspiel

Dallmayr liefert im Internet bestellte Waren inzwischen auch nach Ladenschluss nach Hause aus. Auch Ludwig Beck hat sich eine Nische im Internet gesucht und verkauft im Webshop luxuriöse Kosmetik.

(Foto: SZ)

Obwohl immer mehr Passanten in die Münchner Innenstadt kommen, sinkt dort der Umsatz. Das zwingt die Händler zum Umdenken, auch Traditionshäuser wie Beck, Schuster und Dallmayr - mit Folgen für die City.

Von Varinia Bernau und Katja Riedel

Fast wirkt es wie das Portal zu einer Geheimgesellschaft, von außen ist allein das gebrochene "N" zu sehen, ein Schild, das man suchen muss. N wie Nespresso. Im Inneren empfängt den Besucher der Theatinerstraße 38 nicht weniger als eine perfekte Inszenierung. Edle Dunkelheit, die Spots setzen die bunten Aluminiumkapseln in Szene wie Exponate im Museum. Die Kapseln sollen in ebenso farbenfrohe Maschinen hinein, auch sie werden selbstverständlich angestrahlt.

All dies ist in eine architektonische Kombination aus Art Déco und Moderne hineindrapiert, von den Wänden leuchten streng sortierte und symmetrisch präsentierte bunte Quadrate. Überflüssig zu erwähnen, dass Nespresso diesen Kult nicht schnöde einen Laden nennt, sondern "Boutique", die Kaffeesorten "Grand Crus" und die Kaffeetheke "Carpe diem-Bereich". Es geht hier wie in den zehn anderen, identisch gestalteten Nespresso-Filialen in Deutschland mitnichten darum, möglichst viele Kaffeekapsel-Stangen in Tüten zu packen. Es geht darum, Menschen anzufixen: für den Club der Nespresso-Trinker. Denn bestellen sollen die Menschen die Kapseln lieber im Internet. Die Boutiquen in Toplagen nur weniger deutscher Städte sind wie hier in München vor allem eines: ein Showroom, aus dem man sich Souvenirs mitnehmen oder gleich nach Hause liefern lassen kann. Internet zum Reingehen.

Im Laden beraten, im Netz kaufen

Ist das die Zukunft unserer Innenstädte? Werden diese nur noch das ausstellen, was der Kunde im Netz bestellt? Sicher ist, dass das Internet die Händler zum Umdenken zwingt: Obwohl immer mehr Passanten in die Münchner Innenstadt kommen, sinkt dort der Umsatz. Der Handelsverband HDE befragte kürzlich bundesweit seine Mitglieder - und mehr als die Hälfte beklagte, dass immer weniger Kunden kämen. Zum Beispiel, weil mancher sich im Elektronikmarkt die beste Waschmaschine zeigen lässt, dann aber per Smartphone Preise vergleicht und sie anderswo ordert. "Beratungsklau" nennen das Händler, die sich bedroht fühlen.

Doch es gibt auch andere Händler. Diejenigen, die nicht über das Internet klagen, sondern es für sich und ihre Kundschaft zu nutzen wissen: den Optiker, in dessen kleinem Laden nur Platz für 20 Brillen ist, der aber noch einmal 30 000 virtuelle Modelle auf einem Tablet zeigt. Oder die Kette Butlers, die ihren Kunden anbietet, eine beim Bummeln entdeckte Kommode, die dieser ohnehin nicht mitnehmen kann, nach Hause zu liefern, auch in einer anderen Farbe. "Gewinnen werden die Händler, die online und offline so verknüpfen, dass der Einkauf für den Kunden möglichst einfach und bequem wird", sagt Kai Hudetz vom Institut für Handelsforschung in Köln. "Multichannel" nennt sich dieser Trend.

Georg Randlkofer gehört zu jenen, die sich vom Internet nicht direkt bedroht fühlen. Doch er nimmt es ernst, für ihn hat es "die größte Veränderung seit Einführung der Selbstbedienung" gebracht. Randlkofer ist geschäftsführender Gesellschafter von Dallmayr, sein Sohn führt das Geschäft mit. Und diesem ist der Vater sehr dankbar: "Vielleicht hätte ich die Entwicklung nicht erkannt. Aber mein Sohn hat mich immer in die Richtung geschoben, selbst was zu machen."

Herausgekommen ist ein kleiner blauer Dreiradlaster namens "Dallmayr Express". Im Internet wählen die Kunden aus München und Umgebung die Delikatessen aus, genauso wie den Liefertermin. Parmaschinken oder Lachsfilet werden von denselben Damen in Schürze aufgeschnitten, die dies auch bei einem persönlichen Besuch erledigen würden.

Multichannel-Handel mit Exklusivartikeln

Wie hoch der Online-Anteil am Umsatz ist, will Randlkofer nicht sagen - er spricht nicht über Zahlen. Sicher ist er sich aber, dass ohne das bekannte gelbweiße Haus, das selbst eine Touristenattraktion ist, und ohne die starke Marke vor Ort wenig ginge. Zudem sind die Produkte des Sortiments nur bei Dallmayr selbst zu bekommen. Wer hier Schokocantuccini kauft, erfährt, dass diese ein Bäcker aus einem Dorf nahe Siena handgemacht habe. Wo genau, bleibt ein Geheimnis. "Multichannel-Handel funktioniert nur in einem bestimmten Bereich", glaubt Randlkofer. "Mit sehr starken Exklusivartikeln. Mit Markenartikeln, die es überall gibt, ist man verloren."

Ähnlich sieht das auch Christian Greiner. Greiner ist Vorstand von Ludwig Beck, dem ehemals familiengeführten Kaufhaus, dessen Mehrheit seit 2009 die Unternehmerfamilie Wöhrl übernommen hat. Auch bei Ludwig Beck spüre man die Auswirkungen der Internetkonkurrenz, sagt Greiner. Doch auch sein Haus versucht das, wofür es bei Kunden steht, ins Internetzeitalter zu übersetzen. Allerdings nicht komplett. Denn das Kaufhaus, das mit seinen 500 Mitarbeitern jährlich gut 100 Millionen Euro Umsatz macht, bietet seit Herbst 2012 nicht einfach sein gesamtes Sortiment im Internet an.

Man konzentriere sich dort ausschließlich auf das luxuriöse Kosmetiksortiment. "Hier sind wir absolut unverwechselbar und haben tatsächlich eine Nische in der Onlinewelt gefunden, die so noch nicht besetzt war", sagt Greiner. Es sei interessant zu sehen, dass sich beide Vertriebswege, also online und Laden, "gegenseitig befruchten". Für das Kaufhaus der Zukunft sei es unverzichtbar, die Kunden für das stationäre Geschäft zu begeistern: mit allen Sinnen und mit mehr Service.

Greiner beobachtet, dass die Menschen immer weniger kommen, um Bedürfniseinkäufe zu erledigen, sondern aus Lust am Shoppen. Eine ähnliche Offensive hat zuletzt der Shoppingmall-Betreiber mfi aus Düsseldorf gestartet, der in München die Pasing-Arkaden zu einem "Vier-Sterne"-Center aufgerüstet hat, als erste ihrer deutschen Malls. In Pasing gibt es, um dem Internet die Stirn zu bieten, nun Wohlfühl-Ecken mit Wlan und Ladegeräten, Kinderspielbereiche, modernste Toiletten und große Parkplätze.

"Der Kunde, der automatisch zu einem kommt, stirbt aus"

Fast jeder zweite Einkauf wird inzwischen im Netz vorbereitet. Da sind die Händler im Vorteil, die ihren Kunden auch anbieten, vom heimischen Sofa aus zu prüfen, in welcher Filiale das gewünschte Kleid noch in der richtigen Größe vorrätig ist - oder die auch eine im Onlineshop bestellte Hose zum Umtausch annehmen. In den USA und in Großbritannien haben die Händler bereits vor fünf Jahren begonnen, die verschiedenen Vertriebswege miteinander zu verbinden. Und sie sehen nun erste Erfolge im Geschäft. Hierzulande experimentieren die Händler noch - und zeigen sich zumeist ziemlich ungeduldig.

"Der Kunde, der automatisch zu einem kommt, stirbt aus", sagt Hudetz. Deshalb müssten sich Händler heutzutage viel stärker ins Zeug legen, um ihre Kundschaft an sich zu binden. Amazon versuche das mit technischen Mitteln. Und der Einzelhändler müsse eben seine Stärke vor Ort ausspielen. Zwar tun sich die Großen dabei zunächst etwas leichter, die Investitionen zu stemmen. Die Kleineren seien aber wendiger. Hudetz kennt einen Buchhändler, der in einer Kleinstadt nach Ladenschluss mit dem Fahrrad die bestellten Bücher ausliefert - und so etwas schafft, was Amazon niemals schaffen kann: den persönlichen Kontakt zum Kunden.

"Stationär ist hier besser als das Internet"

Die Konkurrenz durch das Internet ist auch für Wolfgang Fischer "ein Phänomen, das die Stadt verändert". Fischer ist Chef von Citypartner, einer Vereinigung von Händlern und Gastronomen der Innenstadt. "Jeder Euro, der im Internet ausgegeben wird, steht für Besucher, die nicht kommen. Und das merkt auch der Kämmerer im Stadtsäckel." Auch Fischer glaubt, dass Einkaufen Erlebnis sein müsse. Und diese Aufgabe lösten derzeit die Sportartikelhändler am besten: Sport Scheck verbindet Versandhandel und Erlebniseinkauf. Der Schuster hat einen Webshop aufgebaut und lockt Kunden mit einem Indoor-Klettersteig. Und bei Globetrotter können Kunden im Untergeschoss Kanu fahren und beim Alpenverein ein Klettersteigset leihen. Auch in Kundenbefragungen hätten diese drei Häuser am besten abgeschnitten, sagt Fischer. "Die Sporthäuser sind ganz, ganz stark - und stationär ist hier besser als das Internet."

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