Münchner Kammerspiele:Lilienthal plant zehnstündiges Antikenprojekt

Matthias Lilienthal, Intendant der Münchner Kammerspiele

Intendant Matthias Lilienthal hat sich in der Vergangenheit schon mehrmals gegen Rassismus und Ausgrenzung engagiert.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)

Der Intendant führt in der kommenden Saison die erfolgreicheren Linien der vergangenen Jahre fort - und hat Lust auf Überforderung aller Beteiligten.

Von Egbert Tholl

Matthias Lilienthal erweist sich am Vormittag der Pressekonferenz als liebevoller Gastgeber, es gibt libanesische Frühstückspizza, ein freudenreiches Gericht. Derzeit, so Lilienthal, spielten die Kammerspiele so viel in München und auf Festivals, dass die Technik-Abteilung ihn gebeten habe, die Pressekonferenz nicht im Mal-Saal abzuhalten, weil sie zu viel zu tun habe, deshalb also Spielhalle. Ist eh schöner.

Überhaupt: In einem Moment, in dem dem Theater der Wind um die Nase wehe, habe man, so Lilienthal, Projekte gesucht, die alle Kräfte richtig überfordern und mit denen man richtig auf die Nase fliegen könne. So sei ihm schon vor fünf Monaten Hausregisseur Christopher Rüping "auf die Nerven gegangen", mit einem Antikenprojekt, das acht Stunden dauern müsse. Nun eröffnet "Dionysos Stadt", eine Nachahmung der antiken Dionysien, am 6. Oktober 2018 die kommende Spielzeit, dauert aber zehn Stunden - weil acht, das wäre ja wie ein normaler Castorf, dann also gleich richtig. "Meine Beliebtheit bei der Technik hat das nicht gesteigert. Aber die Technik ist sehr lieb hier", so Lilienthal.

Wenn man will, kann man auf dieser Pressekonferenz ein bisschen Wehmut heraushören. Inhaltlich und ästhetisch werden die erfolgreicheren Linien der vergangenen Jahre fortgesetzt. Vor Rüpings Antikenrausch, zu dem den Regisseur persönliche Erfahrungen und die mit ihnen einhergehende Erkenntnis drängten, dass im Leben längst nicht alles dem freien Willen unterliegt, gibt es ein eigenwilliges Projekt von Rimini Protokoll (4. Oktober) und eine choreografische Inszenierung von Trajal Harrell (5. Oktober).

Harrell hat in der laufenden Saison "Juliet & Romeo" inszeniert, nun macht er "Morning in Byzantium", inspiriert vom Fernsehfilm "Evening in Byzantium", der ihn als Kind faszinierte. Was dabei herauskommt, liegt offenbar irgendwo zwischen Weltuntergang, Rosengarten und Orpheus-Mythos. Bei Rimini Protokoll, genauer gesagt Stefan Kaegi, begegnet einem dann ein Roboter, der den Autor Thomas Melle nachahmt. Die empathische Maschine hat auch den Vorteil, dass man sie auf Gastspiele schicken kann, ohne auf die Verfügbarkeit von Schauspielern Rücksicht nehmen zu müssen.

Die Zukunft. Glaubt man Susanne Kennedy, ist das nichts, worauf man sich zu sehr freuen sollte. Sie inszeniert im April 2019 Tschechows "Drei Schwestern", auch weil es sie interessiert, weshalb man dieses Stück wieder und wieder sehen will; das Stück von der Unmöglichkeit, nach Moskau zu gelangen. "Gibt es eine Befreiung aus dieser Unmöglichkeit?" Kennedy macht weiter mit Nietzsche, dessen Idee, dass der Mensch etwas sei, was überwunden werden müsse - was einerseits auf ihre eigenen Arbeiten und das Verschwinden des Darstellers in maskenhafter Wesensart rekurriert, andererseits diese Pressekonferenz partiell zu einem Live-Essay über Dystopien macht. Sind wir nicht schon alle längst Avatare unserer selbst? Aber: Kann ein Avatar wissen, wie gut eine libanesische Frühstückspizza schmeckt?

Von Finanzmisere keine Spur

Lilienthal erzählt, es gebe vier neue Mitarbeiter in der Dramaturgie, drei Neuzugänge im Ensemble, Gro Swantje Kohlhof, Vincent Redetzki und Eva Löbau. Löbau! Voller Freude erzählt Lilienthal, er habe mit ihr am Berliner Hau gearbeitet, was toll ist, doch interessanter ist das, was Lilienthal vergisst zu erwähnen: Eva Löbau ist Teil der Bairishen Geisha, dem Performance-Trio, das vor 18 Jahren begann, München zu verzaubern. Vielleicht kann man dank der Kammerspiele daran nun wieder anknüpfen, da die idiosynkratische Förderjury für Münchens freie Szene es mit den eigenwilligen Damen aus Unverstand irgendwann nicht mehr gut meinte.

Denn die Kammerspiele bleiben natürlich offen für Gastspiele, nicht nur von morgen an für Edgar Selge und "Unterwerfung", nein, für freie Gruppen wie Forced Entertainment, Gob Squad und Florentina Holzinger. Im November ist das alle drei Jahre stattfindende Festival "Politik auf dem freien Theater" zu Gast. Selbst machen die Kammerspiele 13 Produktionen, darunter sieben Uraufführungen. Yael Ronen beschäftigt sich mit der "Genesis", Amir Reza Koohestani mit Shakespeares "Macbeth", Leonie Böhm mit Goethes "Faust", Stefan Pucher mit Virginie Despentes, Ersan Mondtag mit Lion Feuchtwangers "Erfolg". Philippe Quesne stellt mit "Farm fatale" das Landleben auf die Bühne, Felix Rothenhäusler Lars von Triers "Melancholia", und Christopher Rüping inszeniert den Roman "Hochdeutschland" von Alexander Schimmelbusch.

Übrigens: Von einer finanziellen Misere, so Geschäftsführer Oliver Beckmann, könne keine Rede sein, man gehe davon aus, die laufende Saison mit einer schwarzen Null abzuschließen, die Auslastung liege derzeit bei 64 Prozent. Lilienthal feixt: Seit der Ankündigung des Endes seiner Intendanz sei die Auslastung um zwei Prozent gestiegen.

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