Münchner Kammerspiele:Am Bedarf vorbei experimentieren

Eine Annäherung an das, was Theater soll und was nicht

,,Streiten erwünscht" vom 5./6. August über die Münchner Kammerspiele als Forschungszentrum:

Frau Lutz stellt einige Fragen und beantwortet sie dann. Wie: "Wozu braucht es ein Theater eigentlich? Zum Bewahren wichtiger Werke der Literatur? Zum Staunen über Schauspiel- und Regiekunst?" Sie schreibt dann, dass seit Lilienthal das Theater "aber noch jede Menge anderer Aufgaben" habe.

Ich versuche die Fragen etwas anders zu beantworten: Theater ist eine eigene Kunstform, seit der Antike. Diese Kunst immer wieder zu zeigen, zu adaptieren, auszuloten, auf die begrifflichen Endlichkeiten zu achten und diese zu aktualisieren, das alles sind Aufgaben des Theaters in einer Stadt. Immer schon gab es den Widerspruch von Bewahrendem und Neuem, man kann auch sagen, von These und Antithese, und daraus wurde immer eine kreative Form der Synthese. Nicht umsonst haben alle nennenswerten Theater Probebühnen, kleine Experimentierbühnen, aber auch die "großen Häuser" für Schauspiel- und Regiekunst, zeigen also beides, These und Synthese.

Fehlt aber ein Aspekt, ein Element, wie die Darstellung der Klassiker, mit ihren (echten oder vermeintlich ewigen Botschaften), also die These, was macht dann die Synthese?

Oder einfacher formuliert: Wo gehe ich denn hin, wenn ich Don Carlos oder einen Shakespeare oder Kleist oder griechische Klassiker sehen und hören will? Zum Kušej ins Resi - der auch viel Gehampel bietet und Klassiker gerne verfremdet, aber immerhin noch Schauspieler auftreten lässt? Oder zum Stückl ins Volkstheater? Ein bisschen wenig für eine Stadt wie München, finde ich.

Und was mich schon ein wenig ärgert, ist der Ansatz, dass nur durch Performance-artige Inszenierungen junge Menschen in das Theater zu locken sind. Das ist ein Irrtum in doppelter Hinsicht: Zum einen gibt es genügend junge Menschen, die offen für die Klassiker und auch neugierig sind, und zum anderen gibt es uns, die Nicht-mehr-Jungen, ja auch noch. Auch wir zahlen Steuern, wir leben in dieser Stadt und wir kannten die Kammerspiele als einen Ort der Schauspiel- und Regiekunst, und schätzten sie sehr.

Christiane Lutz schreibt am Schluss des Artikels: Man muss bereit sein, "keine Erwartungen zu haben". Aber bitte: Ich habe sehr wohl Erwartungen an ein Theater - und denke mit Freude an zum Beispiel die Uraufführungen von Kroetz-Stücken an den Kammerspielen zurück.

Damals sicherlich eine provokante Sache, aber eben auch Theater, mit Schauspielern und Regisseuren und Autoren. Das, Frau Lutz, war sehr spannend und "sehr, sehr schön". Eine Auslastung von 63 Prozent - mit weiter sinkender Tendenz - spricht eine deutliche Sprache, und die sagt, so spannend und so schön finden das immer weniger.

Aber wenn am Schluss der Ära Lilienthal noch zehn Prozent zuschauen, dann, ja dann kann er sagen, er habe seine Mission erfüllt, nämlich "Menschen einladen, die nie zuvor im Theater waren".

Nun waren sie dort und gehen nicht mehr hin. Auch ein Erfolg. Florian Fischer, München

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