Münchner im Exil:Der Himmel auf einem Fleckchen Erde

Katja Just ist in Ismaning aufgewachsen, aber schon als Kind hat sie sich in die Hallig Hooge in der Nordsee verliebt - und als junge Frau ist sie ganz an diesen sehr besonderen Ort gezogen. Die 43-Jährige hat jetzt ein Buch über ihr neues Zuhause veröffentlicht, das manchmal vom Meer überspült wird

Von Thomas Hahn

Hooge ist keine Insel. Darauf legt Katja Just wert. Hooge ist eine Hallig, ein Stück Marschland in der Nordsee, das so knapp über dem Meeresspiegel liegt, dass es bei Sturm unter Wasser verschwinden kann. Katja Just korrigiert jeden, der ihr Zuhause eine Insel nennt. Neulich zum Beispiel den Moderator Hubertus Meyer-Burckhardt, als sie in der Talk-Show des Norddeutschen Rundfunks zu Gast war. "Er hat immer Insel gesagt. Ich habe ihn immer wieder gepikst. Worüber reden wir?" Für Katja Just ist das ein Beitrag zum Heimatschutz. Die Menschen sollen diesen Flecken Erde, für den sie einst München verlassen hat, als das kennenlernen, was er wirklich ist: ein sehr besonderer Ort. Inseln gibt es so viele auf der Welt, dass sie keiner zählen kann - ständig bewohnte Halligen dagegen nur sechs.

Heimat. Großes Thema. Die Fragen dazu beantwortet jeder für sich selbst oder rätselt darüber ein ganzes Leben lang. Der Sir Quickly hat schon Recht gehabt, als er in der Kultserie "Irgendwie und Sowieso" sagte: "Dahoam is da, wo's Gfui is." Aber dieses Gefühl zieht eben manchmal weiter, wie am Ende von "Irgendwie und Sowieso" der Sepp erkennt, der Freund vom Sir, vom Effendi und der Christl. "Für mi is überall anders mehr dahoam als wia do", sagt er, bevor er für immer weggeht aus Zell im Landkreis Ebersberg. Und auch wenn Katja Just im Gespräch diesen Klang nicht anschlägt, den der Regisseur Franz Xaver Bogner damals mit seinen Hauptdarstellern Ottfried Fischer als Sir und Elmar Wepper als Sepp zum Schwingen brachte, diesen bairischen Zungenschlag, in dessen grober Schlichtheit eine tiefe, rührende Klugheit liegt. Auch wenn Katja Just ihre Geschichte also in einem klaren, ungefärbten Hochdeutsch vorträgt - auch sie erzählt von diesem Gefühl, das einen Ort, einen Menschen und manchmal auch eine Fremde zur Heimat machen kann.

Katja Just, 43, ist gerade eine der prominentesten Botschafterinnen von Hallig Hooge. Ihr Buch "Barfuß auf dem Sommerdeich" steht auf der Spiegel-Bestseller-Liste. Zeitungen berichten über sie, immer wieder ist sie in Talk-Shows zu Gast. Und das alles wäre wohl nicht passiert, wenn sie eine waschechte Hoogerin wäre, keine Auswandererin aus dem tiefen Süden. Eine Münchnerin in Nordfriesland - das klingt für viele nach einem unmöglichen Experiment. Das Land der Berge und das Land am Meer scheint so viel mehr zu trennen als die paar hundert Kilometer, die zwischen ihnen liegen: andere Mentalitäten, andere Lebensweisen. Und Katja Just hat den innerdeutschen Kultur-Bruch im Grunde sogar auf die Spitze getrieben.

Münchner im Exil: Katja Just ist keine Hoogerin von Geburt, aber vom Gefühl her. Ihr Buch „Barfuß auf dem Sommerdeich“ ist eine Liebeserklärung an die Weite, ans Meer und an den Himmel, der auf dieser Hallig riesig erscheint.

Katja Just ist keine Hoogerin von Geburt, aber vom Gefühl her. Ihr Buch „Barfuß auf dem Sommerdeich“ ist eine Liebeserklärung an die Weite, ans Meer und an den Himmel, der auf dieser Hallig riesig erscheint.

(Foto: Dirk Eisermann)

In Ismaning ist sie groß geworden. Das Isartal war als Kind ihr Spielplatz, seine bewaldeten Auen, die volle, zugewachsene Natur am Fluss. Auf Hooge dagegen gibt es keine Auen und keinen Wald. Die einzigen Erhebungen auf den 5,78 Quadratkilometern der Hallig sind die Warften, die künstlich aufgeworfenen Wohnhügel, auf denen bei Landunter die Häuser und die rund 100 Hooger geschützt sind. Der Blick geht über Salzwiesen und Priele zum Meer, der Himmel ist riesig. Es ist eine andere Welt.

Katja Just ahnte schon mit Anfang zwanzig, dass sie fort musste aus München. Sie hatte das Gefühl, die Stadt verändere sich, verliere ihre Beschaulichkeit an einen zunehmenden Verkehr und den geerdeten Freigeist, den sie aus ihrer Jugend kannte, an eine wachsende Gesellschaft des schönen Scheins. Als sie damals mit ihrem Lebensgefährten überlegte, ob sie Kinder wollten, sagte sie: "Wenn, dann nur auf Hooge." Auf der Hallig, die sie schon als Kind in den Ferien kennengelernt hatte. Ihre Mutter und ihr Stiefvater waren im Januar 1996 nach Hooge gezogen. Sie hatten das gemütliche, 300 Jahre alte Reetdachhaus auf der Ockenswarft gekauft und bewirtschafteten die beiden Ferienwohnungen darin. Katja Just war damals so oft dort, wie sie konnte, und mit ihrem Lebensgefährten fasste sie einen Plan. Sie würde ihren Job in der Azubi-Betreuung bei Lufthansa Technik am Flughafen aufgeben, er sich als selbständiger IT-Fachmann auf Hooge niederlassen. Alles war fix. "Dann kamen Ängste auf bei ihm", erzählt Katja Just, "der Traum verlor an Leichtigkeit." Die Beziehung ging in die Brüche. Sie zog allein nach Hooge. Sie war 25.

So ein Umzug aus der Großstadt auf die Hallig ist keine Kleinigkeit. Das Leben dort ist sehr anders. Ebbe und Flut bestimmen den Rhythmus. Man kann nur weg, wenn ein Schiff geht, im Winter also seltener als im Sommer, und bei Landunter gar nicht. Es ist auf der Hallig, als wären Weite und Enge ineinander verschränkt, und das führt dazu, dass es dort so gut wie keine Anonymität gibt für die Bewohner. In der Stadt kann man untertauchen im Meer der Menschen. Auf den Warften stehen die Häuser so dicht, dass die Nachbarn fast jeden Mucks voneinander mitkriegen. Wer wiederum auf den schmalen Asphaltwegen durch die unverstellte Weite der Hallig geht, dem folgen oft die Fernglasaugen hinter den Fenstern der Häuser. Zwischen manchen Familien liegen jahrzehntealte Konflikte wie unaufgeräumter Ballast. Und wer nicht von der Hallig stammt, nicht sein eigenes Haus aufgebaut hat oder die Krisen nach den großen Sturmfluten von 1962 und 1976 durchgestanden hat, der bleibt in den Augen der Hooger für immer ein Fremder.

107 Menschen

leben auf der Hallig Hooge, die im schleswig-holsteinischen Wattenmeer zwischen den Inseln Föhr, Amrum und Pellworm liegt. Hooge ist etwa 5,78 Quadratkilometer groß. Eine Hallig ist keine Insel, sondern ein Stück Marschland, das aus angeschwemmten Sedimenten besteht. Auf Hooge leben ein Pastor, ein Lehrer und ein Krankenpfleger. Einen Arzt gibt es nicht. Nach Angaben des Tourismusbüros auf Hooge gab es im vergangenen Jahr "45 500 Übernachtungen bei 466 Gästebetten". Und 90 000 Tagesbesucher kamen auf die Hallig Hooge.

Katja Just kann von alldem viel erzählen. Wer von außen kommt, sieht manchmal mehr als jene, die immer da waren. Und gerade deshalb muss dieses Buchprojekt, das der Verlag Eden-Books bei ihr bestellte, eine besondere Prüfung gewesen sein für sie. Was schreibt man über das Leben als Münchnerin auf Hooge? Die Wahrheit? Doch nicht etwa die Wahrheit, von der es pro Warft gleich mehrere Versionen gibt.

"Doch", sagt Katja Just, "die Wahrheit muss ich erzählen. Aber ich habe nicht alles erzählt. Ich habe darauf geachtet, dass ich niemanden bloßstelle." Sie weiß selbst nicht, ob sie nicht doch irgendjemanden getroffen hat mit ihrer Darstellung. "Hallig-Leute sind da nicht gerade extrovertiert." Aber eigentlich kann das nicht sein. Das Buch ist eine Liebeserklärung an die Weite, ans Meer, an die Farben des Sonnenuntergangs, an die blühenden Salzwiesen, an die Vögel, die auf Hooge Rast machen.

Und es ist auch eine Liebeserklärung an die Friesen selbst, die dort leben. Die es ihren Nachbarn nicht immer leicht machen mit ihren kantigen Charakteren und ihrem felsenfesten Stolz, die aber in der Not jedem ihre helfende Hand reichen. "Ich habe Respekt vor der Kraft, die sie für das eigene Überleben und den Wiederaufbau von Haus und Hof aufbrachten, wenn Stürme alles zerstört hatten." Vielleicht ist das der wichtigste Satz in Katja Justs Buch. Eine Münchnerin hätte auf Hooge keine Chance, wenn sie keine Achtung vor den Lebensleistungen der Einheimischen hätte. Das weiß sie. Und diese Achtung ist ihr wichtiger als die einzelnen schlechten Geschichten, die sie auf Hooge durchaus auch schon erlebt hat.

2003 hat Katja Just die Ferienwohnungen der Eltern übernommen, bald danach engagierte sie sich auch politisch wie ihr Stiefvater Dieter Nebendahl, der lange stellvertretender Bürgermeister auf Hooge war. Sie wollte mitgestalten, zum Beispiel die Hallig als Tourismus-Standort stärken. Aber ihre Zeit als parteiloses Mitglied in der SPD-dominierten Gemeindevertretung ging vor zwei Jahren mit einer Enttäuschung zu Ende. Vom agilen Bürgermeister Matthias Piepgras und dessen Genossen fühlte sie sich ausgebootet.

Hallig Hooge in der Nordsee

Die Menschen auf Hooge leben auf Warften, das sind künstlich aufgeworfene Wohnhügel.

(Foto: dpa)

Die Geschichte dazu in Kurzfassung: Die Gemeindevertretung wollte ein Haus kaufen, um Wohnraum für Gemeinde-Angestellte zu schaffen. Katja Just sagte als einzige, so schnell könne man das nicht durchziehen, es brauche erst eine Machbarkeitsstudie und ein Wertgutachten, zumal es vorher Pläne für ein anderes Objekt gegeben habe. Es war bekannt, dass Katja Just besagtes Haus selbst mal hatte kaufen wollen, aber dann davon abgesehen hatte. "Nach Rücksprache mit der Verwaltung in Husum", wie Piepgras sagt, erklärte die Gemeindevertretung sie deshalb für befangen. Für Katja Just war das ein Affront. Sie trat zurück. Später erklärte die Kommunalaufsicht, Katja Just sei in der Sache nicht befangen gewesen, aber da war es natürlich zu spät.

"Blöd gelaufen", sagt Piepgras, "aber die Abstimmung ging damals mit 5:0-Stimmen für den Hauskauf aus, eine Gegenstimme hätte nichts geändert." Katja Just sagt: "Dass ich aus einem aktuellen Thema wegen angeblicher Befangenheit ausgeschlossen wurde, war für mich eine tiefe Verletzung, weil ich immer versucht habe, Persönliches und Politik zu trennen."

Sie lächelt. "Unser Leben ist nicht nur barfuß auf dem Sommerdeich." Als waschechte Münchner Hoogerin hat sie mittlerweile eben auch die eine oder andere Narbe von den kleinen Streitigkeiten, die im winzigen Kosmos der Hallig riesengroß werden können. Trotzdem bleibt sie, ihre Liebe zu diesem seltsamen Ort im Wattenmeer ist zu groß. Sie hat hier ihren kleinen Betrieb. Ihre Gäste. Ihre Freunde. Ihren Garten. Die Weite vor dem Haus. Seit ihrem 40. Geburtstag sogar eine eigene Kuh, Schmusi, ein bayerisches Fleckvieh. Und auch so etwas wie eine neue Heimat?

So einfach ist das nicht bei Katja Just. In München hat ihr Leben angefangen, auf Hooge ist sie angekommen. Das eine ist Heimat, das andere Zuhause. Den Unterschied findet sie wichtig. Neulich war sie mal wieder in München. "Es war eine wunderbare Woche daheim. Und daheim habe ich von Zuhause erzählt."

Ein alter Hooger hat sie mal gefragt: Warum ist dir das so wichtig, dass Hooge keine Insel ist? "Das fand ich sehr spannend." Katja Just hat darüber nachgedacht, ob man wirklich beharren muss auf den kleinen Wahrheiten, die Menschen vom Festland arglos durcheinander bringen. Und sie ist zu dem Entschluss gekommen: Doch, das muss man, sonst verliert sich das Besondere im Beliebigen. "Wenn wir es zulassen, dass Leute Hooge eine Insel nennen, dann geht die Achtsamkeit verloren, die die Hallig verdient", sagt Katja Just mit der friedlichen Entschlossenheit, die für Hallig-Leute typisch ist.

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