Münchner Fotokunst:Visionen der Schöpfung

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"Schönheit der Natur" statt Laufsteg-Schick: Nach einem schweren Unfall macht Nomi Baumgartl ein zweites Mal Karriere als Fotografin.

Christina Warta

Als sich der Elefant umdreht und mit schwer stampfenden Schritten auf sie zurennt, bleibt ihr nichts anderes übrig, als einfach nur ruhig zu verharren. Nomi Baumgartl hat ihre Kamera in den Händen, sie steht in der kalifornischen Wüste, der Boden bebt, in Schwingung gesetzt von einem fünf Tonnen schweren Elefanten - und sie wartet. "Ich habe einfach meine Augen zugemacht und tiefes Vertrauen gehabt", erzählt sie. Dann Stille. Sie öffnet die Augen wieder - gerade noch rechtzeitig, um den riesigen Rüssel zu sehen, der sich auf sie zubewegt und sich über ihr ganzes Gesicht stülpt. "Es wurde dunkel", sagt Nomi Baumgartl, "dunkel und sehr nass."

Fotografie als "stiller Dialog": Nomi Baumgartl hält mit ihrer Kamera Momente fest. (Foto: Foto: Robert Haas)

Es ist ein trüber Tag in München, sehr dunkel, sehr nass. Nomi Baumgartl sitzt in einem Lokal in der Karlstraße. Florian Wagner, ein Kollege und Freund von ihr, hat hier Tierfotos aus Afrika ausgestellt, auch deshalb hat sie dieses Restaurant ausgesucht. An der Wand ranken sich Efeublätter empor wie im Dschungel, und auch Nomi Baumgartl trägt feste Kleidung, so als würde sie in der nächsten Minute zum Fotografieren in eine unwirtliche Gegend aufbrechen. Doch vor dem Fenster liegt nur die Karlstraße, Passanten eilen vorbei. Es ist nicht unbedingt die Art von Motiven, die Nomi Baumgartl sucht.

Die Geschichte der Münchner Fotografin besteht im Grunde aus drei Kapiteln. Nomi Baumgartl ist aufgestiegen und hat Karriere gemacht, sie hatte einen Unfall und dabei nicht nur ihre Gesundheit verloren, und sie hat eine zweite Karriere begonnen. "Jetzt will ich die unsichtbaren Zusammenhänge zeigen", sagt sie.

Als Nomi Baumgartl mit 21 Jahren zum ersten Mal eine Kamera in den Händen hält, wird schnell klar, dass ihr Leben künftig der Fotografie gehört. "Ein Jahr lang habe ich nur fotografiert", sagt sie. Sie probiert, sie lernt. Ihre erste Reportage reicht sie bei der Messe Photokina in Köln ein: "Gesellschaft 1972", ein Fotoporträt über türkische Auswanderer in Düsseldorf, gewinnt auf Anhieb den ersten Preis - und Nomi Baumgartl ist der neue Shootingstar unter den Nachwuchsfotografen. Sie studiert in Düsseldorf visuelle Kommunikation, ist häufig für Reportagen in den armen Ländern der Welt unterwegs und bald eine international gefragte Fotografin.

Ein Leben auf der Überholspur

Zu Beginn liegt ihr Schwerpunkt auf der Reportage, sie porträtiert den Zeichner Horst Janssen, den Schriftsteller Wolfgang Koeppen, den Fotografen Andreas Feininger, Papst Johannes Paul II. und die Pianistin Mitsuko Uchida; ihre Auftraggeber sind Magazine wie Geo und Stern. Anfang der Neunziger kennt man ihren Namen schließlich auch in der Modewelt. Sie fotografiert für Designer wie Missoni, Yamamoto, Jil Sander, ihre Bilder erscheinen in der Vanity Fair und der Vogue. "Es war ein Leben auf der Überholspur", sagt sie. Sie lebt jetzt in New York, jettet durch die Welt, lichtet Supermodels wie Linda Evangelista, Nadja Auermann oder Tatjana Patitz ab.

Doch von einem Tag zum nächsten ist alles anders. 1996, nach einer Imagekampagne für eine große Modefirma, kehrt Nomi Baumgartl nach München zurück: Sie will die Fotos ausarbeiten, Verwandte und Freunde besuchen. Da passiert es: ein Filmriss, ein Autounfall. Er verändert das Leben der energiegeladenen Fotografin von Grund auf. Nomi Baumgartl wird nicht nur körperlich stark verletzt - sie verliert auch ihre Erinnerung. Die Reportagen, die Fotoshootings? "Ich kann mich nicht mehr erinnern", sagt sie langsam, "aber ich habe wenigstens mein Fotoarchiv." Wie Bausteine hat sie sich ihr Langzeitgedächtnis wieder zusammengesetzt.

Mit geschlossenen Augen fotografieren

Der Verlust der eigenen Vergangenheit ist schon dramatisch genug, doch auch die Zukunft scheint für Nomi Baumgartl nun verloren zu sein. Sie kann ohne Hilfe nicht laufen, kann nicht mal alleine stehen. Es gibt Tage, an denen erscheint ihr, durch die Lähmung ihrer Augenmuskeln, die Welt wie durch ein Kaleidoskop: doppelt gespiegelt, chaotisch aufgesplittert, anstrengend bunt.

Ausgerechnet sie, die gefragte Fotografin, kann sich nicht mehr auf ihre eigenen Augen verlassen. Der Unfall bricht ihr Leben, doch sie will es nicht wahrhaben. Nach jahrelanger Rehabilitation versucht sie trotzdem, wieder anzuknüpfen an ihre Karriere als Modefotografin. Aber: "Ich habe es nicht geschafft." Die riesigen Studioproduktionen gehen über ihre Kräfte, sie hat immer noch Probleme mit ihren Augen. "Irgendwann hab ich mir gesagt: Lass es los."

Sie lässt los. Kümmert sich um ihre Gesundheit. Versucht, ihre Schwächen in Stärken umzumünzen und beginnt, so nennt sie es, "mit geschlossenen Augen zu fotografieren". Das Chaos vor ihren offenen Augen sperrt sie aus. "Ich wollte wieder eine Ordnung", sagt sie, "ich habe sie mir selber geschaffen." Eine Rehabilitation folgt der nächsten. Schließlich reist sie nach Hawaii zu einem Gehirnforscher. Im Ozean schwimmt sie mit Delfinen. Es ist für sie ein "magisches Erlebnis", plötzlich schreitet auch ihre Genesung voran, sagt sie. Schon bald weiß sie auch, was sie künftig tun möchte: "Ich will Menschen berühren. Ich will die Schöpfung zeigen." Die Frau, die früher Models in einer Kunstwelt inszeniert hat, begibt sich auf die "Suche nach Schönheit und Wahrhaftigkeit". Mit ihren Fotos will sie zeigen, wie schön die Natur ist - und damit auch, wie bewahrenswert.

Der Aufwand, den sie fortan betreibt, ist immens: 2000 und 2001 organisiert Nomi Baumgartl große Unterwasserproduktionen vor den Bahamas. Hauptdarsteller sind das Topmodel Tatjana Patitz - und eine Reihe von Delphinen. Es entstehen melancholische, der Zeit entrückte Schwarzweiß-Fotografien, die auf dem Fotokunstmarkt begehrt sind. Immer noch fotografiert Nomi Baumgartl hauptsächlich analog: mit Filmen, Entwicklung und Vergrößerung. "Digital kann ich die Ergebnisse, die ich haben möchte, noch nicht erreichen", sagt sie. 2003 reist sie nach Kalifornien, hier macht sie Fotos von Chris Gallucci - einem ehemaligen Biker, der nach einer Lebenskrise seinen Alltag mit einem Elefanten teilt. Die Bilder, die später in einem Buch erscheinen werden, porträtieren ein durchaus ungewöhnliches Paar.

"Ich will die Schöpfung zeigen."

Nomi Baumgartl will mit ihren Fotos ihre Wertschätzung gegenüber Menschen und Tieren ausdrücken, wie sie es nennt. "Meine Fotokunst ist eine Hommage an die Schöpfung mit all ihren komplexen Zusammenhängen", sagt sie, "ich sehe meine Arbeit als Bewusstseinsarbeit." Sie ist Botschafterin bei "Dolphin Aid" und träumt davon, eine eigene Stiftung zu gründen. Anstrengend ist die Verwirklichung dieser Projekte. "Ich trauere der körperlichen Kraft manchmal schon nach", sagt sie, "aber dafür habe ich heute geistige und spirituelle Kräfte, die ich früher nicht hatte."

Die Fotos von Nomi Baumgartl finden sich heute - unter anderem - in den Sammlungen der Bibliothèque Nationale de Paris oder von "Camera Work". Und die 58-Jährige ist trotz aller Hindernisse noch nicht am Ende ihrer Kräfte. Sie plant bereits die nächsten Projekte - auch wenn die Finanzierung immer schwieriger wird. "Die Projekte haben eine Größenordnung, dass ich sie nicht mehr allein finanzieren kann und dafür eigentlich Partner brauche", sagt sie. "Aber ich weiß einfach, dass das meine Lebensaufgabe ist." Mit ihren Fotos, die sie selbst als "realisierte Visionen" bezeichnet, will Nomi Baumgartl "der Natur mehr Gewicht verleihen" - und damit "die Balance wiederherstellen".

Jene Balance, die sie, wie sie sagt, auch in ihrem eigenen Leben wieder geschaffen hat. "Ich brauchte diesen Einschnitt damals vielleicht", sagt sie heute. "Er war ein Unglück, doch ich habe ihn ins Glück transformiert." An manchen Tagen kämpft sie noch immer mit den Folgen des Unfalls. Trotzdem hat sie nie mit dem Gedanken gespielt, aufzuhören. "Es geht um Werte in dieser Welt, nicht um Entwertung", daran hält sie fest. "Denn schließlich", fügt sie noch an, "sind wir alle ein Teil des Ganzen."

© SZ vom 20.04.2009/sus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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