Es begann 1955 mit den Digedags. Sie waren Johannes Hegenbarths geistige Kinder und die Helden des Bildergeschichtenheftes Mosaik. Von Comic sprach man damals nicht in der DDR. Von 1960 an gehörte Lona Rietschel zum dem Zeichnerkollektiv. Die Berlinerin hatte Modegrafik gelernt und wollte Trickfilme machen, stattdessen wurde sie die Mutter der Abrafaxe, drei knubbelnasige Kobolde in Mittelalter-Kluft. Hegenbarth hatte sich von Mosaik getrennt, von 1976 an bis heute reisen Abrax, Brabax und Califax durch Jahrhunderte und ferne Länder. Rietschel, die im September 80 Jahre alt wird, erhält am Donnerstag, 21.15 Uhr, im Amerikahaus den Peng!-Preis für ihr Lebenswerk.
SZ: Die Digedags und die Abrafaxe sind Weltenbummler. Haben Sie zu DDR-Zeiten damit das Fernweh gestillt?
Lona Rietschel: Wir haben unsere Figuren nicht reisen lassen, weil wir es selber nicht durften. Wir sind immer verreist, wir hatten unsere Länder: Bulgarien, Rumänien, Tschechoslowakei, die große Sowjetunion. Wir sind nicht ganz doof geblieben. Wir waren ein sozialistisches Kollektiv, da gehörten solche Bildungsreisen dazu. Denken Sie jetzt nicht, dass ich 'ne rote Socke bin, mit der Parteipolitik wollten wir nichts zu tun haben, das war uns zu dusselig.
Sie mussten also nicht SED-Mitglied sein?
Nein, nein, nein. Wäre ich auch nie geworden.
Wie frei konnten Sie arbeiten?
Wir hatten einen Chefredakteur, der aufzupassen hatte. Wir haben schon so gearbeitet, dass uns keiner am Zeug flicken konnte. Wir wussten doch, wo wir leben. Unser Kniff war, dass wir unsere Geschichten nicht in der Gegenwart spielen ließen, wir haben auf vergangene Zeiten zurückgegriffen. Der Zentralrat der FDJ hatte Hegenbarth erklärt: Wir sollen Wissen vermitteln. Kulturgeschichte als Comic aufzuarbeiten, das war der Weg, nicht irgendwie Quatsch zeichnen.
Sie hatten Erfolg damit. In den besten Zeiten hatte Mosaik eine Million Auflage monatlich.
Wir haben Kulturgeschichte umgesetzt, haben James Watt durchgearbeitet, die Halbkugeln von Otto von Guericke. Ein bisschen Orientierung bekamen wir vom Schulfunk des SFB. Durften wir zwar nicht hören, aber jedes Wissen hat uns weitergebracht. Kennen Sie Bill Brysons "Eine kurze Geschichte von fast allem"? Diesen Titel könnte man über Mosaik stellen.
Hatten Sie Zugang zu anderen Comics?
In den 50er Jahren habe ich mir noch Micky-Maus-Hefte gekauft, als es dann die Mauer gab, wussten wir nicht so richtig, was draußen läuft. Hegenbarth durfte sich noch die Hefte abholen, die den Besuchern an der Grenze abgenommen wurden, die habe ich aber nicht zu sehen bekommen. Ich hatte von den Belgiern gehört und spanischen Zeichnern. Es dauerte aber, bis ich den ersten Asterix in Händen hatte. Mein Mann hat mir eines Abends freudestrahlend Anfang der 70er ein Heft mitgebracht. Das war "Asterix und die goldene Sichel".
Und wie fanden Sie das?
Ich hab' damals die halbe Nacht gelesen und die Zeichnungen angeguckt mit der Lupe. Asterix gefällt mir sehr, ist ja auch ein bisschen vom Strich her in unserer Richtung. Später, als ich dann mal rüberdurfte, um meinen Bruder zu besuchen, habe ich mir noch mehr Hefte gekauft. So richtig Zugang zu Comics aus allen Ländern hatten wir aber erst nach der Wende.
Zeichnen Sie noch?
Ja, muss ich, im Moment die Titelbilder für die Sammelbände der Abrafaxe.
Interview: Sabine Buchwald