Münchner Abendzeitung:"Herr Strauß, jetzt gibt's Ärger"

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Der Journalist Michael Graeter mit Schauspieler Curd Jürgens 1982 in München mit einer Wochenendausgabe der Abendzeitung. (Foto: Otfried Schmidt)

Boulevardesk und trotzdem immer politisch: Die Abendzeitung hat ihre "lieben Leser" überall mit hingenommen, sich auf schwierige Debatten eingelassen - und sich mit manchem Titel unsterblich gemacht.

Von Karl Forster

Über Jahrzehnte hin stand auf der ersten Seite des AZ-Lokalteils eine kleine Kolumne, die den Titel trug "Lieber Leser". Eine lapidare Anrede, sicherlich, aber dann doch viel mehr: Der "Liebe Leser" war Programm der Münchner Abendzeitung. War Gerüst der journalistischen Arbeit und Aufbereitung. Man nahm den "Lieben Leser" nicht nur ernst, man nahm ihn mit zur täglichen Arbeit; ob zur Politik im Rathaus oder Landtag; zum Sport bei der Beurteilung der Leistungen der Bayern oder Sechziger; und - wohl am revolutionärsten im deutschen Blätterwald - in die Kultur, wo er mitten drin und dabei war bei den großen Diskussionen. Und so das Gefühl hatte, über "sein" München mitreden zu dürfen.

Diese journalistische Grundeinstellung hatte AZ-Gründer Werner Friedmann seiner Redaktion natürlich nicht nur aus reiner Freude an der Bürgeranwaltschaft auferlegt, er sah darin auch wirtschaftliches Potenzial auf einem eigentlich damals schon gesättigten Zeitungsmarkt in München. Aber sie entsprach durchaus seinem politischen Impetus. Und auch lange nach Friedmanns Tod hatten die AZ-Journalisten Friedmanns Geist und Haltung hochgehalten.

Legendär ist in diesem Zusammenhang der AZ-Kulturstammtisch geworden. Schon 1958 diskutierten hier vor und mit dem "Lieben Leser" Fachleute aus Wissenschaft und Politik das damals höchst brisante Thema "Ist die Atombombe unmoralisch?" Sollten Künstler in die Gewerkschaft? Bürger in Angst bei den Schwabinger Krawallen. Pro und Contra Ladenschluss. Umwelt in Gefahr. Und: Ist die Liebe noch zu retten? Das sind ein paar Themen, die damals, in den goldenen Sechziger- und Siebzigerjahren, hier verhandelt wurden.

Sprachgewaltiger Architekturkritiker

Und man kann getrost davon ausgehen, dass es ohne die AZ keinen Kulturreferenten Jürgen Kolbe gegeben hätte, der die Restauration der verstaubten Szene vehement vorangetrieben hat. Gut, die Staatskanzlei hat auch die AZ nicht verhindern können. Doch schärfte die AZ gerade mit ihren Feuilletonchefs Karsten Peters und dann Helmut Lesch bei den hochkarätig besetzten Bürgeraktionen den Blick auf manche politische Verkommenheit. Wozu bald auch der berühmte in AZ-Rot lackierte Bürgerbus diente, von dem aus Peter M. Bode, sprachgewaltiger Architekturkritiker der Zeitung, das Gespräch zwischen Politiker und Bürger (mehr oder weniger) moderierte.

So war die AZ bei allem Boulevardesken eine durch und durch politische Zeitung. Noch viel mehr aber in den politischen Ressorts für Landtag und Rathaus. In letzteren zeigte der legendäre politische Reporter Alois Segerer die hohe Kunst scharfer politischer Journalistenarbeit, die aber immer ohne Beleidigungen auskam, was Segerer in der Zeit der CSU-Kiesl-Regentschaft manchmal schwer gefallen ist. Ein Problem, das für die Landtagsreporter der AZ von Rolf Henkel über Dietrich Kühnel bis (heute) Angela Böhm Alltag ist. Aber man hätte mal Herrn Streibl fragen sollen, warum er nicht in der schönen Rotkreuz-Villa an der Waisenhausstraße wohnte? Das hatte ihm die AZ vermiest. Und noch heute zitiert man in Journalistenschulen beim Thema Überschrift die herrliche Zeile nach der Rückkehr das damaligen Landesvaters aus dem Urlaub: "Grüß Gott, Herr Strauß, jetzt gibt's Ärger."

Strauß war es auch, der eine seiner großen Fehleinschätzungen nach einem der schlimmsten Tage für München der AZ verdankte. Am 26. September 1980 starben 13 Menschen beim Oktoberfestattentat. Schon einen Tag später erschien die Abendzeitung mit einer Sonderausgabe und der Nachricht, es gebe eine Spur zu Neonazis. Strauß jedoch beharrte darauf, linken Terroristen die Schuld zu geben. Ein großer Irrtum.

Die Kolumne "Lieber Leser" übrigens gibt es nicht mehr. Sie fiel schon vor Jahren einem Relaunch zum Opfer. Eigentlich schade.

© SZ vom 07.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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