Stadtkämmerer Ernst Wolowicz:Ein Mann, der gerne den Haushalt macht

Stadtkämmerer Ernst Wolowicz: Der 62-jährige Ernst Wolowicz ist seit 2004 Kämmerer der Landeshauptstadt München; seit 1975 ist er SPD-Mitglied.

Der 62-jährige Ernst Wolowicz ist seit 2004 Kämmerer der Landeshauptstadt München; seit 1975 ist er SPD-Mitglied.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Warum der schwierige Job des Stadtkämmerers für Ernst Wolowicz eine Erfüllung ist - und warum er nicht Oberbürgermeister werden will.

Von Dominik Hutter

Auf einmal ist alles anders: Plötzlich muss sich der Mann, den auch die Opposition mitgewählt hat, für seine Arbeit rechtfertigen. Wie es denn sein könne, dass München in so kurzer Zeit vom Krösus zum Sanierungsfall wurde, fragen nicht nur Oppositionsparteien und CSU, sondern auch die Sozialdemokraten, denen der Stadtkämmerer seit 1975 angehört. Ernst Wolowicz nimmt die Kritik gelassen, er genießt die neue Herausforderung sogar. "Gerade in diesen Zeiten macht der Beruf richtig Spaß", sagt der 62-Jährige. Jetzt, wo die Finanzpolitik in den Mittelpunkt gerutscht ist.

Wolowicz hat kein Problem, den Stadträten die akut verschlechterte Finanzlage zu erklären. "Die Welt hat sich innerhalb von zwei Monaten verändert", betont er. Die Welt, das ist der ziemlich komplizierte Kosmos eines Sechs-Milliarden-Haushalts. In dem eine nicht mehr zu ignorierende Lücke klafft, seitdem Stadtwerke-Chef Florian Bieberbach eine Art Gewinnwarnung verkündet hat - die für Wolowicz eine Mindereinnahme von stolzen 200 Millionen Euro bedeutet.

Keine Zeit zum Schreibtisch-Aufräumen

Dazu kommen der Stadtratsbeschluss, die klamme Tochter mit einem Grundstückskauf zu stützen, eine Vielzahl neu zu schaffender Stellen, die weitreichenden Entschuldungswünsche der CSU und eine Reihe nachträglich angemeldeter Sonderwünsche der städtischen Referate. Fertig ist das Millionenloch.

Seitdem stapeln sich die Papiere in Wolowiczs Eckbüro im ersten Stock des Rathauses. Der komplette Haushalt muss überarbeitet werden, da bleibt keine Zeit mehr zum Schreibtisch-Aufräumen. Schon im fertigen Zustand umfasst das gelb eingebundene Zahlenwerk so viele Bände, dass für den Transport ein kleiner Wagen vonnöten ist. Da kann man sich ausmalen, wie viele Zwischenschritte es gibt, bis das Machwerk endlich an die Stadtratsfraktionen verschickt werden kann.

Was gerade passiert, ist ein "Ausnahmefall", das ist Wolowicz ganz wichtig. Es gehe nicht darum, eine Show abzuziehen - etwa, um den ausgabefreudigen Stadtrat mit drastischen Schilderungen zur Räson zu bringen. Auch das ist dem Kämmerer schon unterstellt worden. Der aber versichert: "Ich trickse nicht, ich lüge nicht, ich male nicht schwarz." Alles lasse sich mit Zahlen belegen. Die Wolowicz auswendig heruntersagen kann.

Ein Mann der Verwaltung, nicht der Politik

Für den gebürtigen Aschauer ist Kämmerer erklärtermaßen ein Traumjob. "Ich habe mit dem gesamten Spektrum einer Verwaltung zu tun", schwärmt er. Sämtliche Themen laufen über seinen Tisch - ob die Politiker auch auf den Berufspessimisten und Vielmahner Wolowicz hören, ist freilich eine ganz andere Frage.

Der Kämmerer sieht sich als "Teil der Verwaltung an der Schnittstelle zur Politik". Für einen Politiker hält sich der überzeugte Sozialdemokrat nicht. Um etwa Oberbürgermeister werden zu können, brauche es ein gewisses Maß an "Eitelkeit und Selbstdarstellungsdrang". Das konnte der eher stille Wolowicz in seinem Charakter bislang nicht entdecken. "Deshalb bin ich ungeeignet".

So ganz unpolitisch ist Wolowicz trotz aller Beteuerungen nicht. Der bärtige Brillenträger, der an der Ludwig-Maximilians-Universität Politik studiert hat, war in den Achtzigerjahren Münchner Juso-Chef und später Büroleiter sowohl von Georg Kronawitter als auch bei Christian Ude. Später übernahm er zusätzlich das Direktorium, die Schaltzentrale des Oberbürgermeisters.

Der Strippenzieher im Rathaus

Von diesen Jobs her stammt wohl sein Ruf als einer der einflussreichsten Strippenzieher im Münchner Rathaus. Wolowiczs Expertise ist überall gefragt, seine Kompetenz unumstritten. "Ich schätze seine Fachkenntnis", sagt etwa Michael Kuffer, der Finanzsprecher der CSU. "Ich weiß aber, dass er auch Politiker ist. Wenn es darum geht, traue ich ihm nicht. Aber das ist normal für mich und okay."

Wolowicz, der seit 2004 Kämmerer ist, kam 1985 als Linker ins Rathaus, zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter der SPD-Stadtratsfraktion. Dass er ins OB-Büro berufen wurde, hatte laut Wolowicz einen ganz einfachen Grund: Kronawitter habe keine Ja-Sager gewollt, sondern Mitarbeiter, mit denen man sich auseinandersetzen muss.

Zwei Jobs auf einmal

Typisch für Wolowiczs Karriere ist die Doppelbelastung. Zwei Jobs für eine Person. Der Kämmerer kokettiert gerne damit, wie viele Millionen er dem Steuerzahler durch seine Personalunionen bereits erspart hat. In der Ude-Zeit war er neun Jahre lang Büroleiter und Direktoriums-Chef gleichzeitig. Später griff Ude erneut auf seine Geheimwaffe zurück - als es bei den städtischen Kliniken Spitz auf Knopf stand.

Es war Wolowicz gewesen, der bei jener denkwürdigen Aufsichtsratssitzung im Sommer 2010 als Erster bemerkt hatte, welche Bombe sich in einem Gutachten über Hygienemängel beim Operationsbesteck verbarg. Dass die Zustände in Bogenhausen und Neuperlach für die Stadt juristische Folgen haben könnten. Ude schaltete die Staatsanwaltschaft ein, es folgten der Hygieneskandal, zahlreiche Rücktritte und ein Sanierungsprozess, an dessen Ende das Klinikum nicht mehr das gleiche sein wird.

Seit damals spielt Wolowicz beim Klinikum eine Schlüsselrolle, vor knapp zwei Jahren übergab Ude die schwierige Tochter komplett in die Verantwortung des Kämmerers. Und der hatte erneut seinen Zweitjob. Krankenhausreferent.

Ein bisschen Privatleben bleibt

Besonders viel Zeit für Privates bleibt da nicht mehr. Wolowicz, der verheiratet ist, arbeitet nach eigener Auskunft täglich von 8 bis 20 Uhr. Wenn er mal zu Hause ist, schnappt er sich gerne eines seiner zahllosen Bücher, Belletristik vor allem. "Ich habe kaum noch Platz für neue Bücher", bedauert Wolowicz, es stehe schon alles voll. Musikalisch wurde der Kämmerer von den Siebzigerjahren geprägt.

"Ich höre gerne gute Rockmusik." Led Zeppelin, Cream, Deep Purple, The Who. Oder Hendrix und die Stones, "aber nur die frühen". Gelegentlich besucht der Wahlmünchner auch noch seinen Stammtisch, der im Laufe vieler Jahre von Unter- nach Obergiesing umgezogen ist. Ein "Rest Privatleben" sei noch vorhanden, scherzt er.

Mit Dieter Reiter hat Wolowicz inzwischen seinen früheren Stellvertreter als Chef. Sehr gut sei das, findet er, dem "kann man im Finanzfragen nichts vormachen". Kämmerer und OB knöpfen sich derzeit gemeinsam die städtischen Referenten vor, die im Interesse des Haushalts auf einige ihrer millionenteuren Projekte verzichten sollen.

Beim Thema Sparen ist Wolowicz ein ebenso knallharter wie nüchterner Kalkulierer. Theoretisch ließen sich sogar die Ausgaben für die städtischen Pflichtaufgaben kürzen, im Bürgerbüro des Kreisverwaltungsreferats etwa. Die Folge wären möglicherweise längere Wartezeiten.

Andere Städte kommen mit weniger Personal aus

Es gebe viele deutsche Städte, die ihre Pflichtaufgaben mit deutlich weniger Personal bewerkstelligten. Überhaupt, das Personal: Wolowicz wünscht sich, dass der Stadtrat bei künftigen Entscheidungen sehr viel intensiver darüber nachdenkt, ob sich die Stadt die Ausgaben auch noch "in fünf, zehn oder zwanzig Jahren" leisten kann.

Dass er bei der aktuellen Haushaltskrise nicht rechtzeitig gewarnt hätte, weist der Kämmerer empört zurück. In seinem Büro liegt eine Zitatensammlung bereit, aus der sich die zahlreichen Warnungen nachlesen lassen. Kämmerer gelten als Berufspessimisten, und Wolowicz erfüllt dieses Klischee voll und ganz.

Vor allem, wenn es um die Einnahmen geht, ist Wolowicz vorsichtig. Niemand könne verbindlich voraussagen, wie viel Gewerbesteuern die großen Unternehmen im kommenden Jahr einzahlen. Schmilzt dieser Posten in nennenswertem Umfang ab, hat München ein Problem. Ein ziemlich großes sogar.

Wolowicz betont gerne, dass er Schulden nicht für Teufelswerk hält. In einer rasch wachsenden Stadt stiegen ganz logisch auch die Aufgaben an, die es zu erfüllen gelte. Wenn derzeit über das Sparen gesprochen werde, gehe es deshalb nicht um ein echtes Minus. Es gehe nur darum, das Haushaltsvolumen nicht ganz so stark aufzublähen wie von vielen gewünscht. 2016 kommt München wohl noch ohne neue Schulden aus. Wolowicz hat vorgesorgt und Geld auf die hohe Kante gelegt. Das aber kann man bekanntlich nur einmal ausgeben. München wird sparen müssen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: