Münchens Ärzte:Ich lasse Sie nicht durch - ich bin Arzt!

Sie sollten sich in München nicht von einer Zecke beißen lassen und ernsthaft erkranken. Es könnte sein, dass Ihnen nicht geholfen wird. Ein Spießrutenlauf durch die Welt der Halbgötter.

Ruth Schneeberger

Zugegeben: Ich bin medizinischer Laie. Wie gefährlich es ist, wenn Bakterien das Herz oder Viren das Hirn angreifen, kann ich nicht zweifelsfrei beurteilen. Ist das aber Grund genug, mich gar nicht zu behandeln?

Münchens Ärzte: So hatte ich mir das eigentlich vorgestellt: Von Dr. Brinkmann geheilt und danach vom Sohnemann im Cabrio nach Hause chauffiert zu werden.  Stattdessen: Kein zuständiger Arzt, nirgends.

So hatte ich mir das eigentlich vorgestellt: Von Dr. Brinkmann geheilt und danach vom Sohnemann im Cabrio nach Hause chauffiert zu werden. Stattdessen: Kein zuständiger Arzt, nirgends.

(Foto: Foto: dpa)

Am Anfang war ein Sommerabend im Englischen Garten. Der Feierabend wäre gemütlich ausgeklungen, wenn meine Begleiterin mich nicht darauf hingewiesen hätte, dass die kleinen schwarzen Punkte, die über die Haut krabbelten, keine Gewitterwürmchen, sondern Zecken seien - und hätte ich am nächsten Tag keine melonenartig angeschwollene Hüfte mit Einstich gehabt.

Ich habe einen Stich

"Damit müssen Sie nicht zum Arzt, das ist bestimmt kein Zeckenbiss, wir hätten hier diese wunderbare Salbe für Sie ....", riet man mir in der Apotheke. "Damit musst du nicht zum Arzt, da habe ich aber schon ganz andere Stiche gesehen. Wenn da jeder mit seinem Mückenstich ankäme ....", polterte der Unfall-Chirurg, den ich zufällig bei einem Abend-Termin traf.

Weil meine Hüfte weiter anschwoll, ohne sich von Salben und gesalbten Worten beeindrucken zu lassen und der rote Kreis um die Einstichstelle stetig wuchs, beschloss ich, nun doch gegen jeden Rat zum Arzt zu gehen. Natürlich war inzwischen Mittwoch, und alle Praxen waren geschlossen.

Ich ging zum Notarzt. Wenigstens die Sprechstundenhilfe zeigte sich von der inzwischen auf Elefantengröße angeschwollenen Hüfte beeindruckt - ich durfte bleiben. Ich durfte sogar ziemlich lange bleiben. Geschlagene drei Stunden saß ich im Wartezimmer der Bereitschafts-Praxis der Münchner Ärzte am Hauptbahnhof.

Der Notarzt

Dafür ging im Behandlungszimmer dann alles ganz schnell: Das sei in der Tat ein Zeckenbiss, die Zecke sei aber schon raus, und es habe sich das Borreliose-typische Merkmal, der runde Kreis, gebildet. "Wir" würden nun drei Wochen lang Antibiotikum nehmen, danach sei alles wieder gut, sagte die Ärztin. Eine Blutabnahme sei nicht nötig. Ob ich zur Nachkontrolle kommen solle? Nicht nötig. Ob ich nach der Antibiotikum-Gabe noch mal einen anderen Arzt konsultieren solle? Auf gar keinen Fall. Du sollst keine Halbgötter neben mir haben. Ich solle mir keine Gedanken machen, ich sei ja nun behandelt worden. Ich beschloss, der Ärztin zu glauben. Schluckte 21 Tage lang Pillen und vergaß danach die Borreliose.

Ein paar Wochen später erkrankte ich so schwer an Grippe, dass mein Hals-Nasen-Ohren-Arzt Probleme hatte, ihrer Herr zu werden. Meinen Jahres-Sommer-Urlaub verbrachte ich im Bett.

Später kamen Gelenkschmerzen hinzu. Freunde erinnerten sich: "Hattest du nicht mal Borreliose? Vielleicht ist die nicht richtig ausgeheilt. Du solltest dich noch mal untersuchen lassen. Das kann gefährlich werden. Ab einem bestimmten Zeitpunkt ist das unheilbar." Ich konterte mit der Gelassenheit der Notärztin - nahm mir aber vor, die Sache zu beobachten.

Kafka 2008

Schließlich schmerzte mein Handgelenk unerträglich, ich konnte es kaum noch bewegen. Ich telefonierte alle Orthopäden in der Münchner Innenstadt ab, um einen zeitnahen Termin zu bekommen - ohne Erfolg. Die Schmerzen vergingen ohne Behandlung.

Am vergangenen Samstag konnte ich meine Finger nicht mehr bewegen. Die Mittelknochen waren stark geschwollen und schmerzten, eine Krümmung war nicht mehr möglich. Am Sonntag ging ich zur Notarztpraxis. Sie sollten mir erklären, ob sie vielleicht damals doch den falschen Rat erteilt hatten.

"Das ist wahrscheinlich so - beziehungsweise: Das ist möglich", beeilte sich die Notärztin zu erklären, nachdem ich zweieinhalb Stunden auf dem Praxisgang verbracht hatte. Es war eine andere Ärztin als beim ersten Mal, doch sie stellte die selbe Diagnose: vermutlich Borreliose. Mehr als diese Vermutung und eine Überweisung zu einem anderen Arzt war für zehn Euro Notaufnahmegebühr nicht möglich. Man könne kein Blut abnehmen, dies sei eine Notfallpraxis. Die Blutabnahme sei aber für die Diagnose nötig. Man könne nichts für mich tun, ich solle am nächsten Tag direkt zu einem Arzt gehen, und zwar dringend zu einem Neurologen.

"Seien Sie froh, dass Sie nicht das Virus haben, das wäre auf die Hirnhaut gegangen, das hätten Sie aber inzwischen bemerkt", wurde noch angemerkt. Es sei wohl doch das Borreliose-Bakterium von der Zecke übertragen worden. "Das kann alle Organe befallen", bekam ich mit auf den Weg.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wie viele Ärzte es in München gibt, und welche Ausreden ihnen einfallen, damit sie mich nicht behandeln müssen.

Ich lasse Sie nicht durch - ich bin Arzt!

Am Montag telefonierte ich sämtliche Neurologie-Praxen in der Innenstadt durch - und bekam eine Absage nach der anderen. Frühestens in vier Wochen wäre ein Termin möglich. Am Dienstag versuchte ich es erneut: "Sind Sie Privatpatient?" Kassenpatienten müssten für die Sprechstunde 40 Euro zahlen, wurde mir bei einem Neurologen in der Sendlinger Straße unwirsch mitgeteilt. Es hagelte Absagen, als bewürbe sich Gina-Lisa für ein FAZ-Volontariat. In der letzten Praxis ließ ich mir einen Termin für Juli geben - und den Rat, es fürs Erste in einer Klinik-Ambulanz zu versuchen.

Am Mittwoch nahm ich mir den Vormittag frei. Das hätte ich besser nicht getan. Im Klinikum rechts der Isar, das eine neurologische Ambulanz sein Eigen nennen darf, traf ich auf eine verständnisvolle Empfangsdame. "Wieso hat Sie denn bisher niemand drangenommen - es geht doch nur ums Blutabnehmen?" "Das frage ich mich auch", sagte ich und freute mich über die erste Ansprechpartnerin, die fühlte wie ich. Es sollte die einzige bleiben.

Der rote Buzzer

"Probieren Sie es hier in der Ambulanz, vielleicht nehmen die sie zwischendurch dran." Hoffnungsvoll und freundlich gestimmt, drückte ich auf den roten Buzzer (ja, so ein Ding wie es Stefan Raab bei "Blamieren oder Kassieren" benutzt) an der Wand, unter dem zu lesen war: "Bitte klingeln und dann warten". Nichts regte sich. Beim dritten Buzzerdrücken kam endlich eine Ärztin, um mir höflich auszurichten, dass man hier für Borreliose nicht zuständig sei. Ich sollte in die Außen-Dependance der Dermatologie, die sei mit dem Auto in 20 Minuten ganz leicht...

"Ts, ts, ts", machte die freundliche Dame am Empfang, und verwies mich kopfschüttelnd in einen anderen Teil des Hauses, zur Ambulanz der Neurochirurgie.

Von diversen Pförtnern auf verschlungene Wege gelotst, fand ich schließlich die richtige Tür - und wurde aufgenommen. "Sie müssen nur noch diese vier Seiten ausfüllen, dann können Sie dort warten", wies man mich freundlich in die Reihe. Um mich herum nur Notfälle mit Termin. Ja, so etwas gibt es wirklich: Leute mit Weitblick planen wohl auch ihren Blinddarmdurchbruch im Voraus. Ich schrieb geduldig meine Krankengeschichte auf, erleichtert, endlich am Ziel angelangt zu sein.

Ich wartete über eine Stunde lang - und vertrieb mir die Zeit mit dem Lesen von Artikeln über die Freundlichkeit der Klinikbelegschaft und die Überbewertung von Zeckenbissen durch Patienten. Herausgeber der Broschüre: die Klinik. Erfreut sprang ich auf, als der Arzt meinen Namen rief. Auf dem Gang sollte ich ihm meine Krankengeschichte erzählen - die hätte ich auch sonst fast vergessen. "Da sind Sie aber hier falsch", belehrte er mich. Die Neurologie sei für solche Fälle nicht zuständig. "Ich bin aber hierhin verwiesen worden", insistierte ich. Dann sei das ein Fehler des Notarztes gewesen, erwiderte er. Meine Beschwerden seien kein Fall für den Neurologen.

"Ich bin hier der Arzt"

"Ich bin aber hier aufgenommen worden, und ich warte seit über einer Stunde." Ich fühlte, wie ich langsam innerlich zusammensackte. Das seien eben keine Ärzte, die mich aufgenommen hätten, das Empfangspersonal würde das Krankheitsbild leider nicht kennen. Es täte ihm leid, dass ich so lange auf die Absage hätte warten müssen, aber die Ambulanz sei voll, ich müsse in die dermatologische Außenstation am Englischen Garten, die sei ganz leicht mit dem Auto in 20 Minuten ....

"Es soll aber doch nur Blut abgenommen werden!", rief ich, der Verzweiflung nahe. Ich schilderte ihm meine Odyssee, dass ich seit vier Tagen versuchte, einen Termin zu bekommen, dass ich bereits beim Notarzt, in zwei Klinik-Ambulanzen und bei diversen niedergelassenen Neurologen vorgesprochen hätte, und dass es mir inzwischen egal sei, wer dafür zuständig sei, mir müsse nun einfach nur dieses Blut abgenommen werden, ich könne es ja nicht selbst. "Ich bin hier der Arzt, und ich nehme Sie auf dieser Station nicht auf", lautete die barsche Abfuhr.

Ich riss ihm die Überweisung aus den Händen und stapfte wütend von dannen. Ich rannte zur Tram, um in letzter Sekunde doch noch den Hausarzt zu konsultieren - obwohl mir geraten worden war, einen Experten aufzusuchen, weil es gerade bei dieser Krankheit mit den falschen Tests schnell zu einer falschen Diagnose kommen könne. Ich hatte die Nase voll von "Experten". Der Tram-Fahrer schloss die Tür vor meiner Nase. Die nächste Bahn sollte erst in einer Viertelstunde kommen - für den Hausarzt war es damit zu spät. Mittwochnachmittag - Götterdämmerung auf dem Golfplatz.

Ich setzte mich niedergeschmettert in die U-Bahn, die mich in diese ominöse Klinik am Ende der Welt bringen sollte, wo alles besser werden sollte. Und überlegte: Hatte sich der Ärzte-Streik im Geheimen zu einer gemeinschaftlichen Vereinbarung der Arbeitsniederlegung ausgeweitet? Waren die Sprechstundenhilfen nur noch dazu da, ahnungslose Patienten abzuwimmeln? Ich komme doch sonst an jedem Türsteher vorbei. Stehe ich auf einer schwarzen Blutspendeliste? Vor Wut erwischte ich die falsche Bahn. Schließlich an der richtigen Haltestelle angekommen, schlug ich mich durch weites, unbekanntes Niemandsland nahe der Autobahn.

Bei Rotlicht geschlossen

Endlich angekommen am Hort der Glückseligkeit, fand ich zwei geschlossene Schalter vor - und einen Wartemarken-Automaten, auf dem geschrieben stand: "Bei rotem Licht geschlossen." Es brannte: ein rotes Licht. Der Pförtner gab mir freundlich Auskunft, dass das gesamte Personal sich gerade in der Mittagspause befinde. "In einer Stunde und einer Sekunde" seien alle wieder da.

Ich gab es auf. Weitere Stunden untätigen Herumsitzens, um wieder Formulare auszufüllen, und dann doch wieder weggeschickt zu werden, erschienen mir inzwischen recht sinnlos.

Deshalb weiß ich immer noch nicht, ob ich Borreliose habe, ob inzwischen schon Organe angegriffen wurden oder gar die Hirnregion, und ob sich die Bakterien unauslöschlich und therapieresistent ins Bindegewebe gefressen haben, wie es die Krankheit angeblich mit sich bringt, wenn sie nicht behandelt wird.

Sie hat jetzt noch ein bisschen Zeit, sich auszubreiten. Mein Termin beim Neurologen ist am 2. Juli. Vermutlich wird er mich wegen Unzuständigkeit weiterverweisen.

Hatten Sie ähnliche Probleme mit Münchner Ärzten? Schildern Sie uns Ihre Erlebnisse aus Praxen und Ambulanzen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: