Wozu noch Kirche? SZ-Leser schreiben:"Damit Gemeinschaft nicht verfällt"

In der SZ hatten Menschen aus Bayern Stellung bezogen, ob die Kirche nach den Missbrauchsfällen ihren Anspruch verspielt habe. Die Zuschriften nach dem Artikel zeigen, wie sehr das Thema die Leser bewegt.

Die Frage war provokant, und sie hat ihr Ziel erreicht: In der Weihnachtsausgabe der SZ hatten mehr als zwanzig Menschen aus ganz Bayern - gläubige Christen wie Atheisten - Stellung bezogen, ob die Kirche nach all den ans Licht gekommenen Missbrauchsfällen ihren Anspruch in der Gesellschaft verspielt habe. Die Süddeutsche Zeitung wollte damit eine Debatte über die Zukunft der Kirchen anstoßen. Die vielen Zuschriften, die uns erreicht haben, zeigen, wie sehr das Thema unsere Leserinnen und Leser bewegt. Was kann sich verändern, was muss passieren? Die Statements, die wir hier in Auszügen dokumentieren, künden vor allem von einem: dem Wunsch, dass sich Kirche von innen her reformiert.

Lange Schatten

Grelles Licht und dunkler Schatten. Die Aufnahme der Kapelle St. Alban im Allgäu kann symbolisch für den augenblicklichen Zustand der Institution Kirche stehen.

(Foto: dpa)

Kirche ist kein Ort zum Rechthaben

Hanns Peters, München:

Jesus Christus hat zu seinen Lebzeiten ganz klar allem, was mit Hierarchie, Strukturen und vor allem Einstufungen menschlicher Daseins- und Entscheidungsberechtigung in von Menschen wiederum zum eigenen persönlichen Vorteil erdachten Kategorien zu tun hat, eine klare Absage erteilt. Diese Absage haben die religiösen Führungseliten seiner Zeit natürlich ahnen lassen, was auf sie zukommt, wenn dieser Jesus entsprechenden Zulauf erhält. Und deswegen haben sie seiner Botschaft dadurch eine klare Absage erteilt, indem sie verkündeten: "Wir haben ein Gesetz, und nach diesem Gesetz muss er sterben." Und dazu kam es.

Seine von ihm gegründete Kirche ist aber als Gemeinschaft von Menschen gegründet worden, die ihm in Umsetzung dieser Botschaft nachfolgen. Diese Botschaft lautet klar und unmissverständlich: "Du sollst den Herrn Deinen Gott lieben und Deinen Nächsten, wie Dich selbst." Dies ist das Gesetz in der Nachfolge Jesu Christi und es gibt kein anderes. Von alleiniger Entscheidungsmacht, die nur in den Händen von auf einer Weihe basierenden zölibatär lebenden Männern ruht, war nie die Rede.

Und deswegen brauchen wir "Kirche". Aber nicht als Gegengesellschaft zur Welt oder Ort zum Rechthaben.

Den Missbrauch ehrlich aufarbeiten

Bertold Graf, Freiburg:

Wozu noch Kirche? Auch ich habe mir in den vergangenen Monaten mehr als einmal diese Frage gestellt. Aber was würden wir gleichzeitig verlieren, wenn es keine Kirche(n) mehr gäbe?

- die Christinnen und Christen, die sich an vielen Orten der Welt aus innerer Überzeugung für andere Menschen engagieren,

- die um Jesu Willen still und unauffällig Hilfsbedürftigen helfen,

- die eben auch Kindern vorbildliche Erzieher waren und sind, um nur einige Beispiele zu nennen.

Sollen wir wegen derjenigen, die sich in übelster Weise an Kindern vergingen, all das über Bord werfen? Neben der mich wütend machenden Aussage eines Bischofs, der einen Missbrauchsfall öffentlich als "verjährt" bezeichnete und "keinen weiteren Handlungsbedarf" sah, habe ich auch Priester, Ordensleute und Bischöfe wahrgenommen, die auf mich den Eindruck machen, dass sie ehrlich und offen, die Fälle aufarbeiten wollen, auch wenn es das Bild der Kirche verdunkelt. Diese Leute will ich mit meinem Verbleib in der Kirche unterstützen.

Frohbotschaft statt Drohbotschaft

Pfarrer Dieter Nesselhauf, Karlsruhe:

Braucht es Kirche? Viel wichtiger als die Kirche ist die Botschaft von Jesus, die ja eine Frohbotschaft ist. Gerade deshalb aber braucht es auch Kirche, damit diese Botschaft nicht verlorengeht. Aber:

dazu braucht es Menschen,

- die Visionen haben und dafür kämpfen

- die sich nicht als Manager verstehen

- die sich nicht mit dem Reformstau in der Kirche abgefunden haben (Zölibat, Diakonat der Frau, Umgang mit Wiederverheirateten, Geschiedenen usw).

Wesentlich scheint mir zu sein, dass die Frohbotschaft Gottes niemals mehr umgewandelt wird zu einer "Drohbotschaft" und die Kirche vor lauter Dogmatik und Recht erstarrt und abstirbt. Es darf niemals sein, dass Leben abgewürgt wird in der Ökumene, bei Menschen, die in Scheidung leben, bei Menschen, die anders leben als es die Kirche gerne hätte; es ist unbiblisch und unchristlich, dass die katholische Kirche anderen Konfessionen von oben herab begegnet und ihnen das "Kirche sein" abspricht;

Und so hoffe ich doch immer noch und immer wieder, dass das Leben stärker ist als alle Fesseln und die Freiheit Gottes stärker ist als die Angst und Bevormundung. Ich hoffe, dass die Weite und die Lebenskraft des Meeres (für mich ein Bild des Hl. Geistes) unsere Kirche erfüllt und neu belebt. Ich hoffe, dass diese Kraft des Geistes Gottes alles Unfreie und Belastende, alles Enge und Lebensverhindernde an Land spült wie Strandgut. Und so wie das Meer Länder mit den Kindern, Frauen und Männern der unterschiedlichsten Religionen, Nationen und Hautfarben verbindet, so hoffe ich auf einen "neuen Frühling" in der Kirche, die für alle Menschen, die nach Jesus Christus suchen, da ist und somit wirklich allgemein und christlich, also katholisch im ursprünglichen Sinn (nicht römisch-katholisch) ist.

Ich träume von einer Kirche, die befreit ist von Selbstsüchtigkeit und Stolz, befreit von devotem Duckmäusertum, befreit von unguten Abhängigkeiten, befreit von blindem Festhalten an der Tradition, befreit von Engstirnigkeit und falscher Intoleranz, Ich träume von einer Kirche, die befreit zur Freiheit der Kinder Gottes, die befreit von Herzenshärte und Herzenskälte, befreit zur Liebe und zum Mut. Ich träume von einer Geist-erfüllten Kirche, in der der Geist Gottes sich frei entfalten kann und nicht abgewürgt wird. Ich träume von einer Kirche, in der Frauen und Männer, Kinder und Jugendliche, Glaubende und Suchende und sog. Nichtglaubende ernst genommen werden und sich frei entfalten dürfen. Ich träume von einer Kirche, in der das Evangelium wirkliche Frohbotschaft ist und nicht zu einer Drohbotschaft verdreht wird. Ich träume von einer Kirche, in der die Menschen lernen, aufrecht und ohne Angst zu gehen. Ich träume von einer Kirche, in der Gottesdienste lebendige Feste und keine sterilen Feiern sind, die das Leben unmöglich machen. Ich träume von einer Kirche, in der man an Jesus Maß nimmt und nicht am rigiden Kirchenrecht und einer engherzigen Moralvorstellung. Diesen Traum will ich nie aufgeben.

Das Haus Gottes braucht es nicht

Sebastian B., München:

Die Kirche schafft vieles Gute. In Anbetracht der Unsummen, die sie durch staatliche Transfers und natürlich der Kirchensteuer einnimmt, könnte sie jedoch deutlich mehr für die Menschen dieser Welt in Angriff nehmen.

Die Missbrauchsfälle sind eine schreckliche Tragödie für die Opfer. Der Umgang der Kirche mit den Tätern ist eine Offenbarung. Dass es nur 2000 zusätzliche Kirchenaustritte gibt, zeigt, dass die Kirche - unberechtigter Weise - einen viel zu hohen Stellenwert in den Köpfen der Menschen besitzt. Wer an etwas Übersinnliches glaubt, kann dies jederzeit tun. Dazu ist kein Haus Gottes von Nöten; keine Institution, die den Tagesablauf, die Gedanken und die Erziehung vorschreibt; keine ignorante Unternehmung, die horrende Steuergelder kassiert, um seinem Oberhaupt ein Ornat zu finanzieren. Die vielen Missbrauchsfälle sollten die Gesellschaft endlich wach rütteln, den Glauben eines jeden Einzelnen zu seinem Eigenen machen, um sich von der unsinnigen Kircheninstitution befreien zu können.

Bildet Pfarrer besser aus!

Bildet Pfarrer besser aus!

Götz von Egloffstein, Pfarrer i. R., München:

Kirche predigt Menschenliebe. Wie kommt sie dann immer wieder zu so menschenverachtendem Missbrauch? Nach vierzig Pfarrersjahren meine ich, einen der vermutlich vielen Gründe besonders gut zu kennen, nämlich schlechte Ausbildung. Hätte ich, bitte, Grammatik und Poesie, Botschaft und Stimmung eines Menschen- oder Familienlebens, einer Schulklasse oder KonfirmandInnengruppe, eines Kinderzeltlagers oder Krankenbesuches, eines Pfarramtsbüros oder Kirchenvorstandes so gründlich lesen gelernt wie Hebräisch, Griechisch und Latein. Nach allen Regeln der Kunst, mit allen Übungen, Prüfungen und Weiterbildungen! Ich hätte mich nicht so oft im Ton vergreifen zu brauchen. Viele Verlegenheiten und Peinlichkeiten wären mir und den mir Anvertrauten oder Zugemuteten erspart geblieben.

Als Ruheständler an einer Münchner Grundschule bewundere ich, nicht ohne Neid, wie LehrerInnen ihrer Menschenliebe ganz natürlich und unbeschwert freien Lauf lassen. Sachbezogen und einfallsreich, herzlich und kraftvoll. Sie können was. Haben, was und wen sie brauchen. Von ihren Schützlingen aber brauchen sie nichts und niemand, missbrauchen schon gar nicht. Sie sind besser ausgebildet, reden offener miteinander, helfen sich gegenseitig, besuchen Fortbildungen und haben Tausend kleine, mittlere oder große Empfehlungen für alle möglichen Sorgenkinder. Vielleicht auch für die Kirche. Wahrscheinlich würden sie ihr sagen, sie soll mal ihre Hausaufgaben machen: Ausbilden!

Der Personenkult nimmt Überhand

Walter Hürter, Ingolstadt:

Die katholische Kirche ist zu einer Amtskirche entartet, in der selbst gesetztes Kirchenrecht und eine äußere Macht stabilisierende Dogmatik dem Willen ihres Gründers häufig widersprechen. Mit einer Machtanmaßung ohne gleichen herrscht ein Amtsapperat, der von Dienen spricht, nicht aber danach handelt. Kirche muss sich viel stärker wieder am Wollen und Wirken Jesus Christus und dem sensus fidelium (Glaubenswillen des Volkes) orientieren und nicht am Personenkult fördernden und Rechte anmaßenden Kirchenfürsten. Nur so kann Glaubwürdigkeit wieder gewonnen werden, in dem es nicht um Ränge und Titel geht, sondern um schonungslosen Dialog auf Augenhöhe. Das Vorbild Jesus zwischen Krippe und Kreuz muss oberste Richtschnur sein und nicht Machthaber auf Papst- oder Bischofsthronen!

Ohne kirchliche Institutionen geht es nicht

Norbert Scholl, Wilhelmsfeld:

Wozu noch Kirche? Ganz einfach: Um die faszinierende, für alle Menschen zu allen Zeiten gültige und wegweisende Botschaft des Mannes aus Nazaret weiterzutragen.

- Diese Kirche begegnet mir im Engagement vieler Christinnen und Christen in aller Welt, die sich selbstlos einsetzen für Gerechtigkeit und für ein menschenwürdiges Leben.

- Diese Kirche begegnet mir in Christinnen und Christen, die mit ihrem Leben vor aller Welt ein glaubwürdiges Zeugnis geben von einem Gott, den Jesus als "abba", als lieben Vater bezeichnete.

- Diese Kirche begegnet mir in den sozial eingestellten Christinnen und Christen, die im Verborgenen Gutes tun. Die in aller Stille dort helfen, wo Hilfe nötig ist. Die sich dorthin gesandt fühlen, wo niemand mehr hingehen will.

- Diese Kirche begegnet mir in den Christinnen und Christen, die sich trotz aller Widerstände ehrlich und fair um die Weitergabe der Botschaft Jesu bemühen. Die sich einsetzen für Freiheit und Würde, für Recht und Gerechtigkeit, für Frieden und Wohlstand.

Der Papst, viele Episkopen und Pfarr-Herren sind mit ihrem hierarchischen Machtanspruch, ihrer theologischen Besserwisserei und ihrem klerikalen Gehabe nicht selten eher ein Hindernis für die Erfüllung dieser Aufgabe. Aber es geht leider nicht ganz ohne eine institutionalisierte Kirchenleitung. Sonst verfällt die Gemeinschaft der Christinnen und Christen der Beliebigkeit und bricht auseinander.

Welche Kirche wollen wir?

Gisela Forster, Berg:

Es gilt zu differenzieren.

Nicht: Wozu noch Kirche, sondern wozu noch welche Kirche. Wollen wir die Kirche des Mittelalters, der Inqusition, der Hexenverbrennung, der Kreuzzüge, die ihre Fortsetzung findet im Missbrauch von Kinder und Jugendlichen, der Diskriminierung der Frau, der Nichtanerkennung der evangelischen Kirche und anderer Kirchen, der Exkommunikation von Frauen, die die Pille nehmen, der Ausgrenzung Homosexueller und des Verbots der Kondome, egal, ob dadurch Menschen an einer Seuche sterben? Brauchen wir diese Gewalthandlungen, die sich in verschiedenen Formen durch die Geschichte der Kirche ziehen? Diese Kirche brauchen wir nicht.

Wollen wir die Soziale Kirche, die Schulen, Krankenhäuser und Kindergärten betreibt, aber sich hierfür enorm vom Staat finanzieren läßt, obwohl sie dessen Gesetze nicht achtet und z.B. Angestellten keine Arbeistschutzrechte gibt und sie dadurch existentiell und in ihrer Lebensplanung schädigt? Diese Kirche brauchen wir nicht.

Wollen wir die Kirche der Hierarchie, vieler engstirniger und selbstherrlicher Bischöfe, die sich jeder demonkratischen Ordnung widersetzen, sich aber vom Staat fürstlich entlohnen lassen? Diese Kirche brauchen wir nicht.

Wollen wir in einer globalisierten Welt eine Kirche, die sich fortlaufend als die alleinig wahre bezeichnet und damit die anderen Religionen diskiminiert? Diese Kirche brauchen wir nicht.

Die Kirche, die gebraucht wird, ist die Kirche der gegenseitigen Achtung, des Respekts vor Menschen und anderen Kirchen, der Integration und der Gleichberechtigung für alle Menschen und alle Religionen, die Kirche, die ihre Verwalter und Mitarbeiter nicht unterdrückt und ausgrenzt, die Kirche, die demokratische Regeln einführt und die Kirche, die ihre kunsthistorischen Bauwerke als Versammlungsorte für Musik, bildende Kunst und Literatur erhält und für alle Menschen und Religionen öffnet.

Kein modernes Gottesbild

Geländer im Leben

Klaus Hofbauer, Cham:

Ihre Aktion hat mich tief beeindruckt, ja begeistert. Die Aussage von Menschen zu diesem Thema waren erfrischend (ob positiv oder auch negativ zur Kirche) und für mich eine wichtige Lektüre an den Feiertagen. Diese Art, sich mit dem Thema Kirche auseinanderzusetzen, ist beispielgebend. Die persönlichen Bekenntnisse von Menschen wie Du und Ich waren eine große Bereicherung. Deshalb ein herzliches Vergelt's Gott für diese Idee.

Für mich persönlich ist die Institution Kirche wie ein Geländer im Leben, an dem man Halt findet, das einen nach oben bringt, auch wenn man manchmal wieder Stufen zurückfällt. Es hilft, die Tiefe des Glaubens nicht nur zu verstehen, sondern vielmehr mit dem Herzen zu erfassen. Man erlebt in der Kirche Gemeinschaft, Gleichgesinnte und v.a. dass der Tod nicht das Ende bedeutet.

Kranke besuchen, Aufmerksamkeit entwickeln, Brot brechen

Erwin Seifried, Heitersheim:

"Was gut ist, gehört denen, die dafür gut sind" (Brecht)

Gut an Kirche ist ihr Ursprung und dessen Auswirkungen: das Brotbrechen in den Häusern.

Mein Traum:

Menschen einer Straße oder eines Wohnviertels sind eingeladen, in einem Haus zusammenzukommen, wo sie zu Tisch sitzen, miteinander reden, austauschen, was sie bewegt, Notleidenden, die auch unter ihnen sind, zu Hilfe kommen, sehen, wo Konflikte zu lösen sind, Kranke zu besuchen, Aufmerksamkeit entwickeln, Brot brechen zum Gedenken an den, der Brot für viele war, Mitgebrachtes am Tisch miteinander teilen, für ein Projekt in der einen Welt sich einsetzen, einen neuen Termin ausmachen bei einer anderen Familie, auch mal einen geistlichen Begleiter einladen und auch mal eine Grußkarte zum Bischof schicken aus dem Brothaus Bethlehem und anderswo... Schalom!

Kostspielige Kirche

Barbara Andreae:

Also natürlich Kirche als Ort der Begegnung, der Gottesdienste, der Feiern (Taufe - Trauung - Abschied nehmen -Kommunion - Konfirmation ). Es wäre aber neu zu deffinieren: Kirchenaustritte = Kirchensteuer verweigern versus Glaube im christlichen Sinne. Kirchenaustritte als Protest gegen begangenes Unrecht sind eine Möglichkeit, Kirchenaustritte pecuniae causa ein weiterer Grund.

Wer weiß denn schon wo die Kirchensteuer, abgesehen von Verwaltungsaufwand und das Kirchgeld in den Gemeinden in Bayern landet?

All die kostspieligen Ausstattungen der höheren und hohen Katholischen Geistlichen, die Reisen, die großen und größten Aufritte des Papstes und seine teuren Reisen in weite Länder, d.h. mit dem teuren Aufwand für Prunk vor Ort abgesehen von den Ausstattungen der vielen besonderen Messen, das widerstrebt den meisten Gläubigen. Auch die Kollekten, trotz vorhergehender Hinweise von der Kanzel, nach jedem Gottesdienst, erscheint den Meisten wenig überschaubar .

In den meisten christlichen Ländern gibt es überhaupt keine Kirchensteuer! Da sind Spenden und Kollekten die tragenden Elemente der Finanzierung der Kirchen und ihrer Institutionen . Auch hier in Deutschkand ist die Kirchensteuer noch garnicht so sehr lange etabliert. Will sagen der Christliche Glaube sollte keiner Steuer unterlegen sein, der Kirchenaustritt macht den Menschen nicht zu einem Atheisten.

Den Gläubigen die aus der Kirche ausgetreten sind sollten die Kirchen oder Gotteshäuser (die sie mit finanziert haben) weiterhin immer zur Verfügung haben, d.h. offen stehen ohne Einschränkung . Das Abwandern in Sekten oder andere Religionen ist sonst vorprogrammiert!

Sollten denn die Brautpaare nur noch standesamtlich heiraten? Sollen die Toten ohne Abschiedssegen bleiben? Und die Taufen völlig entfallen? Keine Kommunion - keine Konfirmation? Nur wegen der Verweigerung der Kirchensteuer?

Sicher - so meine ich - würden die Spenden bei den Kollekten sehr viel großzügiger ausfallen weil es aus innerster Überzeugung und nicht aus Zwängen geschieht!

Kein modernes Gottesbild

"Wie eine große Familie"

Henno Heintz, Ismaning:

Seit jeher glauben die meisten Menschen, die Kirche könne ihnen in ihrem Bedürfnis nach Schutz und Geborgenheit Beistand leisten. Viele haben in der Tat durch die Kirche Kraft geschöpft. Dass nun immer mehr Menschen ihrer, der katholischen, Kirche den Rücken kehren, hat nicht nur mit den Missbrauchsfällen der letzten Jahre zu tun. Viele wenden sich enttäuscht ab, weil es die Kirche nicht geschafft hat, ihr Gottesbild - wie Luise Kinseher so schön sagt - der Moderne anzupassen. Dies gilt aus meiner Sicht ganz entscheidend für ihre seelsorgerische Aufgabe. Weil die Kirche und viele ihrer Pfarrer auf diesem Gebiet in alten Ansichten verharren, haben im Lauf der Jahre andere Institutionen diese Aufgabe übernommen. Als eine der wertvollsten und hilfsreichsten Möglichkeiten habe ich persönlich die moderne Psychotherapie kennen gelernt, der es mit mehr und mehr verfeinerten Methoden gelingt, viele Betroffenen anzuleiten, den Weg einzuschlagen, auf dem sie durch den Glauben an sich selbst die Orientierung und den Halt finden, um im weiteren Leben besser zurecht zu kommen.

Wir sind Kirche

Peter Wanitschek, München:

Die Kirche ist die Gemeinschaft aller Gläubigen. Jeder Einzelne ist ein wichtiger und unabdingbarer Teil seiner Kirche. Und jeder Einzelne sollte sich auch selbst mit all seinen Talenten einbringen. Wir sind - jeder für sich alleine - durch die Taufe auf Jesus Christus verpflichtet. Insofern ist die Kirche nicht nur die Organisation (mit all ihren menschlichen hellen und dunklen Seiten), sondern wir alle gemeinsam. Vielleicht auch wie eine große Familie, die man auch nicht einfach verstößt, wenn ein Familienmitglied fehlt. Ich bedauere jeden einzelnen Austritt zutiefst und wünsche mir, dass sich jeder Ausgetretene selbst wieder die Chance für einen lohnenden Neuanfang gibt.

(Un)Freiwillige Gemeinschaft

(Un)Freiwillige Gemeinschaft

Gerd Gaumer, Erding:

Martin Kusej irrt, wenn er schreibt, "wer sich für sie entscheidet, entscheidet das freiwillig". Der zur Taufe gebrachte Säugling kommt entscheidungsunfähig in eine "Zwangsgemeinschaft", erst nach 14 Jahren kann er dort austreten, wo er eigentlich nie eintreten wollte. Auch beim Staat muß man sich von der "Zwangsabgabe" Kirchensteuer durch Antrag abmelden. Jahrtausende lang wurden Leute, die sich nicht "freiwillig" unterwarfen durch Druck und Terror "katholisch" gemacht, die Zerstörung anderer Kulturen und Identitäten nannte man dann Christianisierung. Speziell die katholische Kirche braucht man erst dann, wenn sie die pompöse Selbstinszenierung ablegt und die Bescheidenheit lebt, die sie immer von anderen einfordert.

Menschenrechte aus Zeiten der Französichen Revolution

Horst Prem, Ottobrunn:

Die Missbrauchsskandale vor allem in kirchlichen Einrichtungen führen m.E. zu Recht zu immer mehr Kirchenaustritten. Sie resultieren aus der Reformunfähigkeit der Kirche, die in verschiedenen Grundsatzpositionen zum Ausdruck kommt. Einmal ist es die völlig abartige Sexualmoral. Wenn das Zölibat nicht fällt und Frauen weiterhin als nicht gleichwertige Menschen angesehen werden, dann wird trotz aller Beteuerungen der zukünftige Missbrauch nicht vermieden.

Viel grundlegender ist aber der Widerstand gegen Vernunft und die Vertröstung auf das Jenseits, was treffend in dem Film "Agora" dokumentiert ist. Auch die Überheblichkeit, aus der Taufe unmündiger Kinder eine Mitgliedschaft abzuleiten, die dann in Indoktrination mündet, trägt nicht zur Vermeidung von Missbrauch bei. Denn der, der sich zu Indoktrination berufen fühlt, ist ja der über Alles Erhabene und durch Nichts zu Erschütternde. Die Überheblichkeit führt auch direkt in den Missbrauch. Wann wird endlich in Deutschland erkannt, dass unser Gemeinwesen nicht auf der christlich / jüdischen Tradition fußt, zu der nun auch noch der Islam gehört? Die Menschenrechte und deren Gültigkeit sind gegen den Widerstand der Kirchen und angestoßen durch Thomas Paine und Olympe de Gouges im Rahmen der Französischen Revolution festgeschrieben worden. Erst wenn dies in Deutschland neben der Begrenzheit unserer Welt wirklich Gegenstand unserer Werteerziehung wird, werden wir einen Weg beschreiten, der beiträgt, Missbrauch in der kindlichen Erziehung zurückzudrängen.

Es sind die demokratischen Prinzipien, die eben nicht gottgegeben sind, zu stärken. Der Respekt vor anderen, eigenständigen Menschen wird leider nicht durch die überkommenen Religionen gestärkt, sondern die Unterwerfung unter Leergebäude steht im Mittelpunkt der Machterhaltung. Wenn es nicht gelingt die Menschenrechte, die Begrenztheit unserer Welt und die Erziehung zur Weltbürgerlichkeit auch in der frühkindlichen Erziehung in den Mittelpunkt zu stellen, dann wird Deutschland und auch Europa keine Zukunft haben. Mit Ungarns EU-Ratspräsidentschaft sind wir jetzt auf dem besten Wege, den europäischen Wertekonsens zu verlassen. Die Kirche ist offensichtlich reformunfähig. Dies ermöglicht auch künftigen Missbrauch. Die Kirche wird aber durch Konkordate und Staatsverträge gestützt. Diejenigen, die sich für den europäischen Wertekonsens verwenden, werden nicht gleichbehandelt zu den Kirchen. Dies ist das Dilemma, das auch zu falschen Wertsetzungen in der kindlichen Erziehung führt. Nicht nur die Kirche auch die Politik fördert diese falschen Wertsetzungen in Deutschland.

Christentum ist freiwilliger Lebensstil

Ulrich Freiherr von Arnim:

Die Kirche hat eine zentrale Funktion, nämlich die Repräsentanz Gottes auf Erden. Zugegeben, die Übergriffe haben diesem Ruf ungeheuer geschadet. Jedoch ist das unter keinen Umständen Gottes Schuld. Ist die Straßenkreuzung daran Schuld, dass der junge Autofahrer betrunken ist und nicht anhält? Wir Menschen machen Gott ständig Vorwürfe wenn wir Übeltaten begehen, dass er nicht gut sei, weil er soviel Übel in der Welt erlaube. Gott hat uns einen freien Willen gegeben, Gutes oder Übel zu tun. Es ist unsere Aufgabe, zu wählen. Allerdings sind wir dann auch für die Konsequenzen unserer Wahl verantwortlich. Die Kirche kann die Repräsentanz Gottes klar darstellen, wenn sie erkennt, dass Christentum nicht menschengemachtes Regelwerk ist sondern ein freiwilliger Lebensstil.

Wir alle wissen wir sollen

- nicht lügen

- nicht morden

- nicht stehlen

- kein falsches Zeugnis reden

- keine außereheliche Beziehungen haben

- Gott ehren und achten

- keine Gerüchte verbreiten

- nicht verdunkeln

- Liebe und Gnade walten lassen

etcetera

Leider sieht die Realität völlig anders aus. Wie die Missbrauchsskandale gezeigt haben. tun wir als Menschen alles was wir nicht tun sollen und nichts von dem was wir tun sollen. Die Kirche hat es nie verstanden, dass sie Jesus - das permanente Oberhaupt - mit Menschen - die wechselbaren Oberhäupter - ersetzt hat.

Die primäre Aufgabe der Kirche ist es, Jesus wieder zum permanenten Oberhaupt zu machen, alle menschengemachten Zusatzregeln abzuschaffen und dem Geist Gottes freies Reformationsregime zu geben. Glaube kann Berge versetzen.

Kontakt mit Gleichgesinnten

Gottfried Hahn, Dachau:

Die Antwort auf die Frage ist ganz einfach: Jeder Mensch muss sich doch mindestens einmal in seinem Leben die Frage stellen, ob es einen lebendigen Gott gibt, der Himmel und Erde geschaffen hat und mit seiner Schöpfung in Kontakt treten will. Wenn man das bejahen kann, ist es äußerst sinnvoll mit Gleichgesinnten in Kontakt zu treten, um gemeinsam nach dem Sinn des Lebens zu suchen. Dann braucht man die Kirche!

Missbrauch hat viele Gesichter

Mündige Laien

Christine Maier, München:

Kirche ist für mich eine Gemeinschaft von Menschen, die Gottes Liebe an Mitmenschen weiter und damit an Gott zurückgibt. Die Gemeinschaft der Christen ist natürlich auch heute nicht fehlerlos, ist aber für viele, viele Menschen ein Schatz. Wie viel Dienst am Menschen wird bei uns und in aller Welt von Profis und Ehrenamtlichen in der Kirche geleistet, wie viel Liebe, Zeit, Kraft, Geld usw. wird da investiert!

Schade, dass viele Mitbürger aus Desinteresse, bösen Erlebnissen mit der Kirche oder wegen des Machtgehabes und der Unwahrhaftigkeit der Kirchenleitung die Kirche verlassen. In Sachen Missbrauch mag sie ja ehrlicher geworden sein, nicht aber an anderen "Baustellen". Zwar hängen mir die folgenden Stichworte auch schon zum Hals heraus, immer und immer wieder müssen sie aber aufgezeigt werden: Ökumene, Zölibat, Priesteramt für Frauen, Bischofsernennungen, Finanzen, Sexualität, Personenkult, Titel und Insignien, Umgang mit Leuten wie Hans Küng und vieles mehr.

Es wird zwar Dialog und Änderung versprochen, nur, es geschieht nichts. Im Gegenteil, durch neue Strukturen entfernt sich die Kirche noch mehr von den Menschen. Und wenn in zehn Jahren die heutigen "Priester im Ruhestand" nicht mehr aushelfen können, hoffe ich nur noch auf mündige Laien, die immer mehr Kirchenvorschriften ignorieren. Die Nichtbefolgung der Pillenenzyklika ist da ein gutes Vorbild.

Abschließend noch ein Lob für die Presse: Selbstverständlich lese ich ungern die x-te Wiederholung von irgendwelchen Verfehlungen in der Kirche. Leider ist dies aber schon fast die einzige Möglichkeit, der Wahrheit die Ehre zu geben.

Missbrauch hat viele Gesichter

T. Meyer, München:

Missbrauch hat viele Gesichter - wie ich leider selbst festgestellt habe. Als gläubige Christin ist für mich Engagement in der Kirche selbstverständlich gewesen. Ehrenamt in allen Variationen, Lektorendienst, Mitglied im Pfarrgemeinderat etc. Auch meinen Arbeitgeber habe ich nach diesem Gesichtpunkt ausgewählt - ich wollte Gott dienen. Dann kam der Tag des Abschiedes - der Pfarrer verließ auf eigenen Wunsch die Pfarrei. Leider fiel der Tag der Verabschiedung auf den "Tag der offenen Tür" in der Einrichtung, in der ich arbeitete. Trotz vorheriger Absprache, dass ich an der Verabschiedung des Pfarrers teilnehme, weil es für mich wichtig sei, wurde ich vom Ordinariat abgemahnt (und ich wurde daraufhin gewiesen, dass das Ordinariat auch über eine Kündigung bzgl. Arbeitsverweigerung nachgedacht hat. Sollte ich mich nun für die Abmahnung bedanken?)!

Es wurde weder beim Pfarrer nachgefragt, ob ich tatsächlich aktiv in der Pfarrei tätig bin, noch wurde das Pfarramtliche Zeugnis - das man vorlegen muss - gelesen. Den Job habe ich daraufhin geschmissen, denn in diesem Unternehmen geht es nicht um den Glauben an Gott, sondern um Macht und Karriere. Ausgetreten bin ich bis heute nicht, da es meine Mutter zu sehr verletzen würde und ich respektiere dies. Ansonsten sehe ich Kirchen von außen - denn glaubwürdig sind die "Gottesdiener" für mich nicht mehr. Genau solches Machtgehabe bzw. Missbrauch lässt diese Organisation langfristig kaputtgehen, was für die sozialen Stationen und auch für die Gesellschaft - die keine Werte mehr kennelernt - eine Katastrophe ist.

(K)eine Dynamische Einrichtung

Egon Weiß, Fraunberg:

Als kritischer katholischer Christ möchte ich mich erst einmal herzlich für die vielen interessanten Beiträge bedanken, welche die SZ unter der Überschrift "Wozu noch Kirche?" veröffentlicht hat. Gerne bin ich deshalb bereit, mich ebenfalls an der Diskussion über deren Zukunft zu beteiligen.

Was meine Kirche, die katholische, zunächst einmal dringend bräuchte, das wäre eine ganz neue Offenheit, Aufgeschlossenheit und Lebendigkeit, mit welcher sie aus einem statischen Denkmal, dem sie zur Zeit meiner Meinung nach gleicht, eine dynamische Einrichtung machen würde, bestehend aus den unterschiedlichsten Individuen mit all deren bereichernden Charismen und Eigentümlichkeiten. Alleine die hier vorliegende Auswahl an Leserbriefen müsste in jeder Pfarrgemeinde, anstelle langweiliger Predigten z.B., gelesen und diskutiert werden.

Ein weiterer Punkt scheint mir aber wichtiger. Die Kirche Jesu Christi muss sich auf Jesu Christus besinnen lernen. Zu sehr scheint sie mir nicht dessen Erbe zu verwalten, sondern das der Ältesten, Schriftgelehrten und Pharisäer, die Jesus letztlich ans Kreuz haben schlagen lassen. Jesus hat keine Kirche gegründet, er hat keine Lehre geschaffen, er hat, ganz von Gott erfüllt, der die Liebe ist, die verzeihende und befreiende Liebe Gottes zu den Menschen (vor-)gelebt. Dieser Jesus hat in seinem Wirken nicht einmal Gott in den Mittelpunkt gestellt, sondern den gebrochenen, kaputten und bedürftigen Menschen (zu denen wir alle gehören), der - um Gottes Willen - geheilt, getröstet und aufgerichtet werden soll.

Wo dieses Anliegen Jesu auf Resonanz stößt, praktiziert wird und erinnernd feierlich zelebriert wir, dort hat Kirche Zukunft. Sie hat Zukunft, wo sie nicht ständig sich selbst, ihre Lehre, ihre Dogmen und ihre Tradition in den Mittelpunkt stellt, sondern die vielfältige Gemeinschaft derer, die "mühselig und beladen" auf dem (Lebens-)Weg sind. Wo sie mit diesen real existierenden - nicht den idealisierten - Menschen den Dialog und die fruchtbringende Auseinandersetzung sucht, um sie mit Gott, d.h. mit der Fülle des Lebens in Berührung zu bringen, da hat sie Zukunft. Wo dieses Bemühen geschieht, da ist sie authentisch, da hat sie Kraft und Leben. Denn nur: "Ubi caritas et amor, ibi deus est"; wo die Güte ist und die Liebe, da ist Gott.

Sand ins selbstgerechte Getriebe

Antonius Rabung, München:

Zunächst unterscheide ich zwischen Kirche als Institution mit ihren Amtsträgern und Kirche als Volk Gottes unterwegs. An der Institution Kirche habe ich vieles auszusetzen: Ihr Pracht- und Machtgehabe, ihre Ungleichbehandlung von Frauen und Männern bei der Ämtervergabe, ihr Streben nach kulturübergreifender Uniformität, die Unterdrückung der Meinungs- und Gewissensfreiheit - für Papst Benedikt bedeutet Freiheit im kirchlichen Raum "Diktatur des Relativismus" - , die Ausgrenzung von unbequemen Kritikern usw.

Als Mitglied des Volkes Gottes bin auch ich Kirche, kann sie mitgestalten, kann im Bewusstsein der Freiheit der Kinder Gottes Sand in ihr bisweilen selbstherrliches und -gerechtes Getriebe streuen, kann mich vorallem über die Heilsbotschaft, die sie verkündet, mitfreuen. Diese überzeugt und berührt mich - auch wenn wir Menschen sie immer wieder missdeuten, missbrauchen oder missachten. Sie gibt uns die Chanse zur Umkehr, Versöhnung und Mut zu Ehrlichkeit, Offenheit und Neubeginn.

Ich bekenne mich zur Kirche, weil sie das Andenken an den historischen und ewig in Gott weiterlebenden Jesus wahrt und lebendig hält und mich in mystischer Weise am Leben und an der Liebe Jesu teilhaben lässt . Das hindert mich nicht daran, den Dialog mit anderen Glaubensgemeinschaften oder Atheisten auf gleicher Augenhöhe zu pflegen in der Überzeugung, dass der bedingungslos liebende Gott für alle da ist und alle gleich liebt.

Als Homosexueller ausgestoßen

Befreiende Botschaft

Wolfgang Böhm, Füssen:

Wozu noch Kirche? Für unser ureigenstes Heil!

Ohne die Kirche wäre die befreiende Botschaft vom Leiden, Sterben und der Auferstehung Jesu Christi längst dem Vergessen anheim gefallen. Was für ein Europa, welches Deutschland hätten wir dann? Was wären unsere uns bewußten Wurzeln, welches unsere Identität? Wer würde uns trösten in dieser trostlosen Welt. Wer würde uns Hoffnung vermitteln, wo alle Hoffnung zu schwinden scheint? Warum weitermachen, wenn uns kein ewiges Leben vermittelt würde?

Es ist also geradezu ein Akt der Vernunft, den Fortbestand der Kirche zu fordern, ja, die Kirche in jeder nur denkbaren Art und Weise zu unterstützen. Dazu muß man nicht Christ sein; dazu muß man nicht an das göttliche Erlösungswerk glauben. Die reine Selbsterhaltung treibt uns dazu.

Als Homosexueller ausgestoßen

Thomas Liebhart, München:

Als Homosexueller bin ich nun schon seit 10 Jahren von der katholischen Kirche ausgetreten. In meinen Augen begeht die Kirche selbst die größte Sünde, indem sie mich von ihrer Gemeinde ausstößt und mir mit ihren Aussagen gegenüber meiner Lebensweise den Krieg erklärt. Sie tut so, als würde es in meiner Entscheidungskraft liegen, ob ich nun schwul oder hetero lebe, und wenn ich mich für schwul entscheide bin ich selbst schuld. Eine Frechheit, denn wenn ich es mir tatsächlich aussuchen könnte, würde ich wahrscheinlich hetero leben, da es nicht einfach ist sich mit der Homosexualität abzufinden. Letztendlich habe ich mich damit abgefunden und kämpfe nun für die Anerkennung meiner Sexualität, da ich genau weiß, dass es nicht in der eigenen Entscheidungskraft liegt.

Es ist nicht einfach für mich, einer Gemeinschaft den Rücken zu kehren, deren Gebete mich bis zum Erwachsenwerden prägten und ich mich heimisch und geborgen fühlte. Die Gebete bete ich noch heute, da ich an Gott glaube und mir sicher bin, dass Gott auch Homosexualität erschaffen hat. Wenn er es nicht gewollt hätte, wäre ich nicht schwul. Unter den gegebenen Umständen gibt es kein Zurück und somit hat die Existenz der katholische Kirche für mich keinen weiteren Sinn mehr. Belügen können sie sich selbst.

Im Glauben erzogen

Tanja Kühnast:

Es ist schon erschreckend, was in der katholischen Kirche passiert... Doch kann man dafür, was Einzelne gemacht haben, alle Priester der katholischen Kirche verantwortlich machen? Sicher ist es überhaupt nicht zu entschuldigen, dass Priester oder Leute, die bei der Kirche angestellt waren, sich an Kindern vergangen haben. Dies muss auf jeden Fall auf das Schärfste verurteilt werden, diese Personen sollten am besten rausgeworfen werden.

Aber zu der Frage: Wozu noch Kirche?

Es gibt viele Leute, die ihre Kraft aus ihrem Glauben schöpfen, die an Gott und somit auch an die katholische Kirche glauben. Es gibt zwar mittlerweile viele verschiedenen Religionen, aber können wir es wirklich zulassen, dass unser Glaube bzw. unser Glaube an die katholische Kirche durch Menschen erschüttert wird, die diese nur ausgenutzt haben? Kann man die katholische Kirche dafür verantwortlich machen, was der Einzelne gemacht hat? Wenn die Kirche diese Personen streng bestraft und auch mit der Polizei und Staatsanwaltschaft zusammenarbeitet, zeigt es dann nicht, dass sie alles versuchen, damit so etwas nicht mehr passiert?

Ich persönlich gehe nicht oft in die Kirche, bin aber doch der Meinung, dass wir sie brauchen. Wir sind in diesem Glauben erzogen worden, damit aufgewachsen und irgendwie hat uns das doch auch geprägt.

Egoistischer Humanismus

Alexander Kolb, München:

Wir haben noch nie eine Kirche gebraucht. Schon immer wurden Religionen mit Ihren Tempeln durch einige wenige Menschen ins Leben gerufen und haben sich in der konsequenten Zusammenarbeit mit den politischen Herrschersystemen erfolgreich entwickelt. Andere weniger erfolgreiche Religionen (Naturreligionen) wurden durch die Missionare verdrängt und fristen heute ein Schattendasein.

50 Jahre meines Lebens waren notwendig, um mich von der katholischen Erziehung zu lösen. Zwangstaufe, katholischer Unterricht und Klosterschule haben über Jahrzehnte seine Spuren hinterlassen. Heute bin ich ein freier Mensch und lebe in einer Welt ohne Teufel und diese geistige Freiheit habe ich meinen Kindern weitergegeben. Zu verdanken habe ich die gewonnene Freiheit meiner extremistischen katholischen Mutter.

Eine Welt ohne Religionen und Kirchen ist mit Sicherheit eine friedlichere Welt als wie wir sie heute erleben. Der Grund der Auseinandersetzungen mit religiösem Hintergrund würde komplett entfallen. Humanismus und Ethik war auch schon vor der katholischen Kirche da. Die Existenz der Kirchen blockieren die Entwicklungen im humanistischen Bereich, da die vielen Steuergelder weltlichen Organisationen mit gleichem menschlichem Auftrag nicht zu Gute kommen.

Die Hilfe der Kirchen im menschlichen Bereich haben klare Hintergründe. Im Gegensatz zu weltlichen humanistischen Organisationen geht es den Religionen um den Ausbau von Macht und Einfluss und die Missionierung der "Ungläubigen" erweitert die Anhängerschaft. Dabei wird besonders viel Zeit in die Jugendarbeit investiert. Meiner Meinung nach sollte die Gesellschaft alle Kinder bis zum 18. Lebensjahr vor den Religionen schützen. Mit der Volljährigkeit kann jeder Mensch selbst für sich entscheiden, ob Religionen eine wirkliche Alternative für ihn darstellen.

Entscheidendes Wertebild

Markus Heller:

Jede Kultur der Menschheitsgeschichte hat Gottheiten hervorgebracht. Interessanterweise haben sämtliche Gottheiten menschliche Eigenschaften. Ich folgere daraus, daß es bei Religion gar nicht um die Anbetung von Gott geht, sondern dass eine Gottheit immer ein idealisiertes Spiegelbild menschlicher Eigenschaften ist. Ich behaupte, wir Menschen brauchen dieses idealisierte Bild des Allmächtigen Menschen. Ohne ein derartiges Ideal können wir keine Werte definieren, ohne ein derartiges Leitbild gibt es keine Kultur.

Die Kirche ist eine Organisation, die das für unsere Kultur entscheidende Wertebild geprägt hat: Das umfassende Ideal der allgegenwärtigen Liebe, vor allem zwischen den Menschen. Das Ideal, nicht nur auf Rache zu verzichten, sondern auch seinem schlimmsten Feind zu verzeihen. Gerade deshalb ist das Christentum gut für uns.

Die Verfehlungen von Priestern und anderen Funktionsträgern bringen die Organisation in Misskredit, aber nicht die Botschaft.

Ort für Trauer und Schmerz

Annette Habert:

Einer meiner Grundschüler fragte mich vergangenes Jahr: "Wenn es einmal entdeckt wird, dass es Gott nicht gibt - werden die Kirchen dann abgerissen?"

Meine Antwort: "Wenn es Gott nicht gibt, werden die Menschen einen Ort brauchen, an dem sie darüber weinen können, dass es Gott nicht gibt. Unsere Welt braucht Orte, an denen wir Trauer und Schmerz zeigen können. Darum bin ich dafür, dass die Kirchen trotzdem erhalten bleiben."

Von Menschen gemacht

Ingrid Scholz, Fürstenfeldbruck:

Angeregt durch Ihre Frage: "Wozu noch Kirche", brauchen wir die Kirche noch? Nach langer Überlegung sage ich: nein. Die Kirche ist wie alle Ideologien von Menschen gemacht. Sie alle wollen den guten, den anderen Menschen, sie alle versprechen die tiefe Sehnsucht der Menschheit nach Frieden, nach Harmonie zu verwirklichen, sie versprechen uns, uns in Demut zu dienen. Wie sieht das in der Realität aus?

Seit Jahrtausenden bringen die Menschen sich unter dem Vorzeichen vorgespiegelter Wahrheiten in blutigen Kriegen bis auf den heutigen Tag um. Die Kirche hat nicht nur ihre eigene blutige Vergangenheit mit Folter und Tod, sie unterstützt indirekt bis heute Folter und Krieg. Als ausgerechnet die SPD und die Grünen den Aufschrei und das Gelöbnis von 1945 "Nie wieder Krieg" brachen, wo hat da die Kirche ihre Stimme erhoben? Im Gegenteil, Bischof Mixa war Militärbischof. Sicher gibt es einen Nachfolger. Die Kirche hat mitgeholfen, dass ein Herr von Guttenberg uns, wie auch schon seine Vorgänger, erklären können, unsere Freiheit werde am Hindukusch verteidigt, Kriege werden noch lange Zeit zu unserem Leben gehören.

Von einer Kirche, die einen Gott Vater nennt, der seinen Sohn ans Kreuz schlagen lässt, kann ich wohl nichts anderes erwarten. Die Kirche sieht dem tausendfachen Sterben allein durch Hunger zu; im Gegenteil, sie verbietet jegliche Verhütung, sie mauert weiterhin den Zölibat ein, sie ist so frauenfeindlich wie eh und je. So sehr hat mich daher die Missbrauchs-Affäre nicht gewundert. Es ist für mich nur einmal mehr der Beweis, dass auch die Kirche nur von Menschen gemacht wurde und wird.

Eine noch so gute Ideologie, die von Menschen erdacht wird, wird von ihnen durch Machtgier und was immer auch wieder zerstört. Mein Credo ist das Brechtzitat: "Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit, konnten selber nicht freundlich sein."

Etliches ist nicht geklärt

Clemens Matthias Wunderle, Laubach:

Zu dieser interessanten Fragestellung kann ich sagen, dass sich die Kirche keineswegs so negativ darstellt, wie vielfach berichtet. Die katholische Kirche betriebt unzählige Einrichtungen zur Kinderbetreuung, Internate, Schulen, Kindergärten etc. Der verschwindend geringe Anteil an Missbrauchsfällen steht in keinem Verhältnis zur negativen Berichterstattung in den Medien.

Natürlich ist im Raum der Kirche auch etliches nicht geklärt worden und vielen Bischöfen war der äußere Schein wichtiger als eine notwendige Aufklärung. Auch wiegt ein einzelner Missbrauch in der Kirche sehr schwer. Dennoch darf dieses Thema nicht beschränkt werden auf die Kirche. Der derzeitige Aktionismus mit welchem die ideologische "Verfolgung" der Kirche aufgenommen wird, ist Ausdruck einer laizistisch-beliebigen Gesellschaft, die moralische Maßstäbe nur bei anderen einfordert, jedoch statt humanistischer Paradiese nur eine menschliche Hölle bringt (Euthanasie, Abtreibung...)

Unsere Gesellschaft wird durch die Kirche immer wieder von einer überzeitlichen Komponente genährt, die vielen erdverhafteten und selbstverliebten Individuen eine andere Seite des Menschseins präsentiert. Gerade heute braucht es die Kirche, wenn wir nicht wieder in DDR-, Kommunismus- und Nazi-Ideologien denken sollen.

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