Vertragsende von Kent Nagano:Was ist da los?

Suche nach dem Sinn: 2013 wird Kent Naganos Vertrag möglicherweise nicht verlängert. Nun rätseln Münchner Opernfreunde, warum der Chefdirigent gehen soll.

Egbert Tholl

Wenn doch immer alles so klar wäre wie bei der "Don Giovanni"-Aufführung am vergangenen Wochenende. Als habe das Publikum auf nichts anders gewartet, brandet Applaus auf, als Kent Nagano im Dunkel durch den Graben zu seinem Pult eilt. Vereinzelte Bravo-Rufe sind zu hören, lange bevor das Staatsorchester den ersten Ton gespielt hat. Nagano verbeugt sich, höflich, keineswegs demonstrativ, greift zum Taktstock und wendet sich zum Orchester. Doch bevor er die Ouvertüre einsetzen lassen kann, schwillt der Beifall erneut an. Nagano kommt nicht umhin, sich abermals dem Publikum zuzuwenden. "Bravo Maestro."

Rehearsal 'Alice In Wonderland'

Auf die Zwischentöne achten: Kent Nagano bei einer Probe mit dem Staatsorchester.

(Foto: bildextern)

Entsprechend sind die Gespräche in der Pause: Spricht man nicht über Fußball, dann darüber, wie es überhaupt jemanden in den Sinn kommen könnte, auch nur den kleinsten Gedanken daran zu verschwenden, dass die Möglichkeit bestünde, Nagano, der Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper, könnte diese im Jahr 2013 verlassen. Nach Beendigung der Vorstellung kommt der Dirigent auf die Bühne, schüchtern wie stets, wenn er sich zu weit von seinem Pult entfernen muss. Das Publikum im Parkett steht auf. Für ihn. Und jubelt. Ausgerechnet nach seinem "Don Giovanni", nicht unbedingt die Partitur, in der er sich am besten zu Hause fühlt.

Tags zuvor im Opern-Pavillon muss man den Besuchern erst einmal erklären, worum es eigentlich geht, wenn man sie nach ihrer Meinung zu dem möglichen Weggang Naganos im Jahr 2013 fragt. Gezeigt wird ein schwedischer Stummfilm mit Live-Musikübermalung - eine Veranstaltung, die nicht unbedingt die genuinen Opernfeunde anlockt. Ob die Besucher jener Veranstaltung, ein Pars pro toto des reichhaltigen Rund-um-die-Oper-herum-Programms im Pavillon, sich überhaupt zwischen Nagano und dem Intendanten Nikolaus Bachler entscheiden könnten, sei dahingestellt. Die Frage danach führt meist zu einem enigmatischen Schweigen.

Überhaupt Schweigen: Die meisten der Premium-Circle-Mitglieder, Vertreter von Sponsoren oder prominente Opernfans, die man seit Bekanntwerden der möglichen Nichtverlängerung von Naganos Vertrag auf die Causa anspricht, sind ganz offenkundig froh darüber, dass es sich noch um eine Wahrscheinlichkeit unbestimmten Grades handelt - und sie deshalb leicht eine Antwort verweigern können.

Schwieriges Publikum

Wenn überhaupt, äußern sie sich diplomatisch wie Mini-Markenchef Wolfgang Armbrecht: "Wir schätzen Maestro Nagano als einen exzellenten, menschlich sehr angenehmen und insbesondere international versierten Partner." Daneben gibt es ein bisschen politisches Geplänkel der Landtags-SPD, die freudig Kunstminister Heubisch angreift. Oder auch so lustige, weil einfach ungehemmt spontane Reaktionen wie die des Architekten und Opern-Dauergast Stephan Braunfels: "Tun Sie mir das nicht an, dass ich mich dazu äußern muss. Dieser Fall ist so kompliziert, und ich will es mir nicht andauernd mit allen verderben."

Ja, es ist kompliziert, weil man nichts Genaues weiß (oder das, was man weiß, nicht sagen darf), und weil das Publikum kompliziert ist. Den einen ist wurscht, wer dirigiert, Hauptsache Jonas Kaufmann singt; die anderen wissen nicht genau, wozu man einen Intendanten überhaupt braucht - in der Reibung zwischen Nagano und Bachler scheint ja die Crux der ganzen Angelegenheit zu liegen. Sehr viele schätzten Nagano sehr - und verstehen die Welt nicht mehr.

Eine nicht unbedeutende Zahl kann mit Naganos intellektuellen Analysen nichts anfangen und hält seinen Erfolg lediglich für eine Erfindung des Feuilletons. Aber Naganos Verehrer werden sich noch stärker formieren als in jenem "Don Giovanni". Und dann könnte es ein richtig lustiger Münchner Opernsommer werden.

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