Stadtführung "Tatort München":Von DNS-Spuren und Po-Abdrücken

Wie ein Gesäßabdruck einen Dieb überführt und warum ein 16-Jähriger seine Eltern erschießt - das und noch vieles mehr erklärt eine besondere Stadtführung durch Münchens Kriminalgeschichte.

Verena Schälter

Es ist bereits dunkel. vor dem Orlando am Platzl. Auf einmal erscheint eine Dame in einem edlen grauen Kleid, gefolgt von einer jüngeren Frau, die eine ärmliche rote Bauerntracht trägt. Die junge Frau hält einen schwarzen Beutel in der Hand. Er enthält all ihr Erspartes. Die Bäuerin bittet die Dame in grau das Geld an sich zu nehmen.

Stadtführung München: Themenführung Tatort München Veranstalter: Weis(s)er Stadtvogel

Kurt Eisner wollte am 21. Februar 1919 eigentlich sein Amt als Ministerpräsident von Bayern aufgeben. Doch soweit kam er nicht mehr. Bevor er im Bayerischen Landtag seinen Rücktritt verkünden konnte, wurde er von dem nationalistischen Attentäter Anton Graf von Arco auf Valley erschossen.

Im Bild: Szene aus der Stadtführung "Tatort München".

(Foto: Verena Schälter)

Zehn Prozent Zinsen im Monat für 100 eingezahlte Gulden, die ersten beiden Zinsraten werden sofort ausbezahlt. Dieses Geschäftsmodell betrieb Adele Spitzeder mit ihrer "Spitzeder'schen Privatbank" und wurde damit innerhalb kürzester Zeit zur Großunternehmerin. Doch als sich mehrere Gläubiger zusammmentaten und sich gleichzeitig ihr Geld ausbezahlen lassen wollten, brach die Bank zusammen. Übrig geblieben sind 31.000 Geschädigte und acht Millionen Gulden, von denen niemand weiß, wohin sie verschwunden sind.

Das Orlandohaus, in dem sich heute das Restaurant des Sternekochs Alfons Schuhbeck befindet, ist der erste Tatort an diesem Abend. Fremdenführerin Beate Lichtenauer führt durch Münchens Kriminalgeschichte. Was sich zuerst nach einem neuen Finanzskandal von der Wallstreet anhört, spielte sich in Wirklichkeit vor über hundert Jahren in München ab. Unterstützt wird Lichtenauer von zwei professionellen Schauspielerinnen, die manche der Kriminalfälle nachspielen.

Raub wegen teurer Freundinnen

Vom Orlandohaus geht es weiter die Pfisterstraße entlang, bis zur Pfistermühle. Die Gruppe biegt um die nächste Ecke und steht vor dem ehemaligen Hauptmünzamt, wo heute das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege steht. Vor dem Gebäude der ehemaligen "Münze" knien zwei Frauen auf dem Boden und streiten lauthals, während sie in einem großen Sack wühlen. Plötzlich springen sie auf und verschwinden in der Dunkelheit.

Dort wo sich heute die Pfisterstraße befindet, floß 1919 noch der Pfisterbach. Wie jedes Jahr wurde das Wasser für die Bachauskehr abgelassen. Am Tag darauf erlebten die Mitarbeiter des Hauptmünzamtes dann eine böse Überraschung: 130.000 Goldtaler fehlten. Die Täter sind durch eine morsche Holztür in das Gebäude eingedrungen, die durch die Bachauskehr freigelegt wurde. Schnell fiel der Verdacht auf einen kleinen, schmächtigen Soldaten. Er konnte für die Tatzeit kein Alibi aufweisen und seine Uniform war von Schlamm verdreckt. Außerdem kannte er einen Angestellten der "Münze", der sich später als sein Komplize herausstellte.

Was die beiden aber schließlich überführte war ein Abdruck. Kein Fingerabdruck, sondern der Abdruck eines menschlichen Hinterteils - eines sehr schmalen Hinterteils - im Schlamm des Flussbettes. Auch das Motiv wurde schnell klar: Die zwei hatten sehr kostspielige Freundinnen. Unter deren Betten fand man dann auch einen Teil des Geldes, den Rest hatten sie im Englischen Garten vergraben.

Von der Pfisterstraße geht es direkt weiter in die Maximilianstraße. Dort befindet sich zwar kein Tatort, aber das ehemalige Geschäft eines der berühmtesten Mordopfer Münchens, nämlich die Boutique Rudolph Moshammers. Er war 2005 von dem 25-jährigen Iraker Herisch A. in seinem Haus in Grünwald mit einem Kabel erdrosselt worden. Auch Herisch A. wurde mittels "Abdruck" überführt. In seinem Fall handelte es sich um den etwas zuverlässigeren Nachweis des genetischen Fingerabdrucks.

Doppelmord wegen Schokolade

Beate Lichtenauer führt die Gruppe weiter zum Schokoladengeschäft Eilles in der Residenzstraße. Auch das ist kein richtiger Tatort. Allerdings ist Schokolade die Ursache für einen Doppelmord im Jahr 1919.

Der sechzehnjährige Jakob Apfelböck bat seine Eltern jeden Tag um Geld für Schokolade. Als sich seine Mutter eines Tages weigerte, erschoss er sie kurzerhand mit einer kleinkalibrigen Pistole. Weil der Junge nicht wusste, wohin mit der Leiche, legte er sie ins elterliche Ehebett. Als sein Vater nach Hause kam und nach der Mutter fragte, wurde auch er von seinem eigenen Sohn erschossen. Die Leiche legte er ebenfalls in Schlafzimmer.

Dann wartete er - bis der Leichengeruch derart penetrant wurde, dass sich die Nachbarn beschwerten. Erst als Apfelböck die sterblichen Überreste seiner Eltern doch endlich aus dem Haus schaffen wollte, flog alles auf und er wurde zu 15 Jahren Jugendhaft verurteilt. Nach seiner Entlassung heiratete er und lebte als unbescholtener Bürger in München.

Von der Eilles-Filiale geht es durch enge Gässchen und die Salvatorpassage in den Fünf Höfen, zu einer ehemaligen Filiale der Bayerischen Hypotheken- und Wechsel-Bank in der Salvatorstraße. Auf einmal stürmt eine blonde Frau mit einer Waffe in der Hand auf die Gruppe zu. "Hände hoch", ruft die Frau. Als keiner reagiert, hält sie einer Frau die Waffe direkt vor das Gesicht und schreit noch einmal: "Runter auf den Boden und Hände hoch!"

Das klingt sehr überzeugend und obwohl die Frau allen Anwesenden schon von den bisherigen Kriminalfällen - mal als Bäuerin, mal als gewiefte Münzräuber-Komplizin - bekannt war, strecken einige brav die Hände nach oben. Stadtführerin Beate Lichtenauer ist jedes Mal froh, wenn der Teil der Führung vorbei ist. Denn einmal hätten aufmerksame Anwohner schon die Polizei gerufen - wegen einer Frau, die eine Gruppe Menschen mit der Waffe bedrohe.

Bei der dargestellten Übeltäterin handelt es sich um Margit Czenki. Die Kindergärtnerin überfiel 1971 mit drei Komplizen eine Bankfiliale der Bayerischen Hypotheken- und Wechsel-Bank am Frankfurter Ring. Ihr Markenzeichen: ein weißer Knautschlackmantel. Sehr skuril ist die Motivation der Räuber. Mit dem erbeuteten Geld wollte das Quartett antiautoritäre Kindererziehungsmethoden finanzieren.

Erschossen auf offener Straße

Dann geht es weiter mit einem Toten auf offener Straße. Am 21. Februar 1919 wollte Kurt Eisner, der erste Ministerpräsident des damals neu gegründeten Freistaates Bayern, offziell zurücktreten. Auf dem Weg in den Bayerischen Landtag, wo er seine Abschiedsrede halten wollte, wurde er von einem kronloyalen Studenten hinterrücks erschossen. Am Tatort in der Promenadenstraße, der heutigen Kardinal-Faulhaber-Straße, erinnert eine in den Gehsteig eingelassene Reliefplatte an den Mord.

Die Streifzug durch Münchens Kriminalgeschichte endet dort, wo auch die meisten Verbrechen enden: am Polizeipräsidium. Vor dem Eingang sitzt eine schwarz gekleidete Frau auf einem Holzstuhl. Sie hält ihre Tasche umklammert, während sie vom Staatsanwalt verhört wird.

Bei der Beschuldigten handelt es sich um die berühmte Vera Brühne. Sie wurde 1961 angeklagt mit ihrem Bekannten Johann Ferbach den Arzt Otto Praun, sowie dessen Haushälterin umgebracht zu haben. Brühne hatte als Chauffeurin für Praun gearbeitet. Sie geriet in Verdacht, weil ihr laut Testament des Ermordeten eine Finca in Spanien zugesprochen wurde.Trotz sehr schwacher Indizienlage wurden Brühne und Ferbach zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.

Im Laufe der Zeit entstanden immer mehr Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Urteils. Die vom Gericht unterstellte Tatzeit stimmt nicht mit dem tatsächlichen Zeitpunkt des Todes von Praun überein. Außerdem kam es im Umfeld der Getöteten und der Angeklagten zu einer Reihe weitere mysteriöser Todesfälle, deren nähere Umstände bis heute ungeklärt sind.

Auch an diesem Abend ist es nicht ruhig im Münchner Polizeipräsidium: Während die beiden Schauspielerinnen die Geschichte Vera Brühnes erzählen, führen Polizisten einen Mann in Handschellen in das Gebäude.

Die Stadtführungen finden immer Donnerstags ab 20 Uhr statt. Anmeldung unter http://www.muenchen-stadtrundfahrt.de.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: