Stadtführung für Fitnessfans:Die Schauläufer

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Sport treiben und dabei die Sehenswürdigkeiten der Stadt kennenlernen? Kein Problem mit dem neuen Konzept des "Sightjogging". Eine sportliche Spurensuche im Nymphenburger Schlosspark.

Daniel Peitz

Am Anfang habe er immer ein wenig gebraucht, um das permanente Reden mit seinem Atemrhythmus in Einklang zu bringen, erklärt Christoph Engels, als er vor dem Nymphenburger Schloss losjoggt. Doch als Schauläufer lerne man das schnell. 1662 sei endlich der kleine Kurprinz Max Emanuel von Bayern geboren worden, beginnt Engels und überholt ein paar Touristen, die Schwäne fotografieren. Max Emanuels Eltern hatten lange auf den Thronfolger gewartet, Anlass genug, um aus Dankbarkeit eine neue Sommerresidenz mit einem Garten vor den Toren Münchens zu bauen.

Christoph Engels ist Kunsthistoriker und arbeitet bei der Agentur Kunst Tour, seit April bieten er und sein Team das so genannte Schau-Laufen an. Diese Kombination aus Joggen und einer Führung zu Münchens Sehenswürdigkeiten kommt ursprünglich aus den USA und heißt dort "sightjogging". Gestresste Manager, die bei ihren Geschäftsreisen in der fremden Stadt nur wenig Zeit haben, buchen sightjogging-Touren, um die Stadt ein wenig kennenzulernen und gleichzeitig Sport zu treiben.

Das Problem an der neuen Sommerresidenz der Wittelsbacher sei allerdings die große Entfernung zur Stadt gewesen, erklärt Engels weiter und wischt sich die erste Schweißperle aus dem Gesicht. Kurfürst Karl Albrecht, aber hatte große Pläne mit der neuen Sommerresidenz, eine richtige kleine Stadt, die Karlstadt, sollte daraus entstehen.

"Da hat der Monarch einen Teil seiner Lieferanten und sein Hofpersonal einfach dazu gezwungen, sich hier um die Residenz anzusiedeln", sagt Engels und deutet mit den Armen in Richtung der Gebäude am Rand des Ehrenhofs. Vorbei am alten Marstall biegt Engels ab in den Schlosspark.

Das Schaulaufen habe sich in München leider noch nicht durchgesetzt. "Die Leute wissen einfach nichts mit dem Namen 'Sightjogging' anzufangen", sagt der Läufer. Große Gruppen sind eher die Seltenheit, manchmal joggt Engels nur mit ein oder zwei Leuten.

Am Kronprinzengarten entlang erzählt Engels von dem großen Gartenplaner Friedrich Ludwig Sckell, der auch den Englischen Garten angelegt hat. Der Nymphenburger Schlosspark war zu Beginn nach dem französischen Vorbild von Versailles angelegt worden. Symmetrie und die Beherrschung der Natur durch den Menschen stand im Vordergrund. Ende des 18. Jahrhunderts veränderte Friedrich Ludwig Sckell den Park zu einem Englischen Landschaftspark.

Als die Amalienburg in der Ferne auftaucht läuft Engels plötzlich ein wenig schneller und erzählt, dass Kurfürstin Amalia dort oben auf dem Dach immer mit einem Gewehr gestanden habe, um ihrer Jagdlust zu frönen.

Außer Reichweite der Schießwütigen beginnt Engels mit der Geschichte von François Cuvilliés. Der hatte 1708 zunächst als Hofzwerg in Diensten Maximilians II. Emanuel von Bayern angefangen. Als der König sein architektonisches Talent bemerkte, schickte er ihn zum Studium nach Paris. Zurückgekehrt baute er unter anderem die Amalienburg, "in feinstem Barock", schwärmt Engels.

Auf einem Waldweg biegt Engels ab und läuft einen langen baumfreien Korridor entlang. Das sogenannte Löwental ist eine der Durchblicksachsen des Parks und vermittelt dem Besucher die scheinbare unendliche Weite der Anlage. Während der gesamte Park von einer Mauer umfasst ist, fehlt die Begrenzung am Ende des Löwentals. Vor einem Graben bleibt Engels zum ersten Mal während der ganzen Tour stehen. "Die haben die Mauer hier einfach in einen Graben tiefergelegt", erklärt Engels.

Durch den Überraschungseffekt, den der Besucher bei der Entdeckung dieses Gestaltungsmittels erfährt, heißen die tiefergelegten Mauern in der Fachsprache "Ahas". "Der Überraschungseffekt war für die Parkgestalter ein sehr wichtiges Element", fügt Engels hinzu, als er schon wieder auf dem Weg zur nächsten Sehenswürdigkeit ist.

Engels reibt sich das Knie, bei einer Kissenschlacht mit seinem neunjährigen Sohn vor einer Woche hat er es sich verdreht, aber die Tour ist fast zu Ende. An alten Orangerien vorbei geht es zurück zum Schloss. Am Ausgangspunkt angekommen sagt Engels: "Man kann natürlich kritisieren, dass die Wittelsbacher hier Unsummen an Geld in diesem Park verprasst haben, aber als Kunsthistoriker finde ich, dass es die beste Investition war, die sie für München machen konnten, die Stadt wurde dadurch zum Isar-Athen."

© SZ vom 14.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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