Solln-Prozess:Gutachter: Brunner hätte ohne Herzkrankheit überlebt

Das rechtsmedizinische Gutachten im Solln-Prozess: Wäre das Herz von Dominik Brunner nicht vergrößert gewesen, hätte er den Angriff überleben können. Dennoch belastet der Bericht die Angeklagten.

Tobias Dorfer

Es schien alles so eindeutig. Bevor die Bluttat von Solln vor Gericht verhandelt wurde, war für die meisten klar: Sebastian L. und Markus Sch., die beiden Angeklagten, haben mit ihrer brutalen Attacke am S-Bahnhof Solln den Geschäftsmann Dominik Brunner getötet. Doch während der Verhandlung am Landgericht München I kam heraus, dass der 50-Jährige gar nicht direkt durch die 22 Fußtritte und Faustschläge zu Tode kam - sondern an einem Herzstillstand starb.

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Neunter Verhandlungstag im Prozess um die Bluttat von Solln: Dominik Brunner starb an einem Herzstilltand. 

(Foto: AFP)

Fortan stellten sich viele Fragen: War der Manager herzkrank? Hat sein vergrößerter Herzmuskel dazu geführt, dass der Organismus dem Stress der Attacke nicht mehr standhalten konnte? Und könnte diese Tatsache die Angeklagten Sebastian L. und Markus Sch. womöglich entlasten?

Diese Fragen sind an diesem neunten Verhandlungstag vor dem Landgericht München I der Rechtsmediziner Wolfgang Keil mit einem medizinischen Gutachten beantwortet worden. Keil kommt zu einer klaren Aussage: Ja, Brunner sei seit langer Zeit herzkrank gewesen. Sein Herz sei stark und krankhaft vergrößert gewesen, das Gewicht lag dem Gutachten zufolge bei 538 Gramm - normal seien 300 bis 350 Gramm. Problematisch sei in diesem Fall, dass die Blutgefäße nicht wachsen würden, so Keil. Für die zusätzliche Muskelmasse sei somit zu wenig Sauerstoff vorhanden, das Herz würde schneller schlagen.

Nun muss selbst ein so stark vergrößertes Herz kein Todesurteil sein. Viele Menschen könnten damit jahrelang problemlos leben, sagt Keil. Und auch Brunner selbst habe keinerlei Komplikationen gehabt. Er hat regelmäßig Sport getrieben, kurz vor seinem Tod war er noch im Müllerschen Volksbad schwimmen. Der Manager sei allerdings kein Profisportler gewesen - der Verdacht, das Herz sei aufgrund der regelmäßigen sportlichen Belastungen gewachsen, lasse sich nicht bestätigen.

Die Außenwelt - und auch Brunner selbst - haben von der Herzkrankheit wohl nichts bemerkt. Zeugen hatten während der vergangenen Verhandlungstage zu Protokoll gegeben, dass Brunner nicht krank gewesen sei. "Vom Herzen her war alles in Ordnung bei ihm", sagte der Arzt Josef Bauer, sein langjähriger Internist, am Dienstag. Dies sei auch durch EKG-Tests bestätigt gewesen.

Zwar sei das Herz des 50-Jährigen "grenzwertig groß" gewesen - Herzklappen und Pumpleistung seien jedoch völlig in Ordnung gewesen. Auch Brunners ehemalige Lebensgefährtin ist sich sicher: "Er hatte keine gesundheitlichen Probleme." Oskar Brunner, der Vater des Verstorbenen, sagte, sein Sohn sei "kerngesund" gewesen.

Angeklagte voll schuldfähig

Für Brunner war sein vergrößertes Herz dennoch fatal. Bei der Attacke am Bahnsteig von Solln hätten sich erhebliche Stressmomente ergeben, so Keil - vor allem durch die Schläge und Fußtritte, doch auch durch die psychische Belastung, die Dominik Brunner an jenem Samstag im September erfuhr.

Bei der Attacke hat der Körper Brunners demnach das Stresshormon Adrenalin ausgeschüttet, wodurch das Herz noch mehr Sauerstoff benötigt hat als ohnehin. Das Herz hätte darufhin noch stärker gepumpt, zusätzliche Herzschläge - sogenannte Extrasystolen - seien aufgetreten, so Keil. Diese wiederum hätten zu einem Kammerflimmern geführt - das Todesurteil. Klar ist deshalb auch: Brunner hatte offenbar bereits beim Eintreffen der Mediziner am Tatort kaum eine Chance mehr. Trotz der "Tritte mit hoher Intensität" habe er wie durch ein Wunder keine schweren Kopfverletzungen gehabt, sagte Keil.

Das Herz war zu groß, einerseits. Ohne die Krankheit, so formuliert es Gutachter Keil, hätte Brunner die Attacke überlebt. Und dennoch seien es vor allem die Schläge und Tritte gewesen, die - mehr noch als die psychische Belastung - dafür gesorgt haben, dass der 50-Jährige unter Stress geriet. Dies würde die Angeklagten schwer belasten und die Argumentation der Staatsanwaltschaft stützen. "Herr Brunner ist infolge der Schläge und Tritte daran gestorben, dass das Herz stehengeblieben ist", hatte Oberstaatsanwältin Barbara Stockinger am Samstag gesagt. Damit sei die Kausalität klar. Brunner hätte ohne die Gewalteinwirkung keinen Herzstillstand erlitten.

Drei Tritte seien mit Sicherheit erfolgt, heißt es in dem Bericht des Sachverständigen Keil - einer gegen den Kopf, einer gegen den Arm und einer gegen den Bauch. Bei den restlichen 19 Verletzungen geht der Gutachter von Faustschlägen aus. Es sei aber auch möglich, dass darunter einige Tritte seien, die nicht so gut getroffen hätten.

Am Donnerstagvormittag sagte Brunners Lebensgefährtin Claudia M. vor Gericht aus. In ihrer gemeinsamen Zeit habe die 30-Jährige keine gesundheitlichen Auffälligkeiten bemerkt. "Er hat definitiv keine Medikamente genommen", sagte sie. In den Monaten vor dem Tod des Managers hat sie mit Brunner zusammengewohnt. Sie seien morgens zusammen aufgewacht und abends zusammen eingeschlafen - "da wäre mir das auf jeden Fall aufgefallen". Gutachter Keil kommt zu einem anderen Ergebnis: Wäre sein Herz nicht so groß gewesen, hätte Brunner den Angriff überlebt.

Zuvor hatte sich ein weiteres Gutachten mit dem Zustand von Markus Sch. und Sebastian L. während und vor der Tat befasst. Vor allem Sch. soll bei der Tat um 16:12 Uhr stark alkoholisiert gewesen sein. Gutachter Wolfgang Keil kommt in seinem Papier auf einen theoretischen Höchstwert von 2,09 Promille, als die beiden um 15:50 Uhr an der Donnersberger Brücke in die S-Bahn einstiegen, könnten es sogar 2,16 Promille gewesen sein. Markus Sch. soll zuvor Bier sowie Vodka mit Orangensaft getrunken haben. Zudem wurden im Blut des inzwischen 19-Jährigen Wirkstoffe von Marihuana gefunden.

Allerdings sagt Keil auch, dass Markus Sch. an Alkohol und Marihuana gewöhnt sein muss. Beide Angeklagte seien "situativ voll orientiert gewesen". Beide seien "ganz schnell über die Gleise geflüchtet, das ist nicht ganz einfach". Bei ihrer Festnahme nach etwa einer Stunde zeigten sie keine Ausfallerscheinungen. Somit seien Markus Sch. und Sebastian L. voll schuldfähig.

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