Redner Michael Lerchenberg:"So macht der Nockherberg keinen Sinn mehr"

Wegen eines KZ-Vergleichs musste Michael Lerchenberg als Nockherberg-Redner abtreten. Ein Gespräch über beleidigte Politiker, falsche Freunde und die Nachwehen des Eklats.

Michael Ruhland

Der politische Druck nach der Fastenpredigt Anfang März war zu groß: Wegen des von vielen Seiten als missglückt empfundenen Vergleichs Guido Westerwelles mit einem KZ-Wärter zog Michael Lerchenberg alias Bruder Barnabas die Konsequenz und trat von der Predigerrolle zurück. Die Paulaner-Brauerei ist noch auf der Suche nach einem neuen Nockherberg-Redner. Sie will aber laut Geschäftsführer Andreas Steinfatt auf jeden Fall an der Tradition des Politiker-Derbleckens festhalten. Erstmals redete nun Lerchenberg, Schauspieler und Intendant der Luisenburg-Festspiele in Wunsiedel, über die Nachwehen des Eklats und seine Sicht auf den Nockherberg.

Eklat nach Starkbieranstich

Eklat nach Starkbieranstich: Zum ersten Mal spricht Michael Lerchenberg über die Nachwehen und seine Sicht auf den Nockherberg.

(Foto: dpa)

SZ: Herr Lerchenberg, Sie haben die Rolle des Nockherberg-Redners einmal folgendermaßen beschrieben: "Es gibt kein Netz und keinen doppelten Boden. Es ist ungefähr so, wie wenn einer ein Seil spannt und über die Niagarafälle läuft. Wenn's den runterhaut, dann ist er erledigt." War Ihr Abtritt für Sie eine Bruchlandung?

Michael Lerchenberg: Der Nockherberg ist seit Bruno Jonas zur politischen Rede geworden, auch in ihrer Rezeption - ob das jetzt die Presse, die Politik oder die Bevölkerung ist. Ich würde sagen, sie ist nach der politischen Aschermittwochsrede der CSU und anderer Parteien eine der meist beachteten Reden in Bayern, wobei sie ja eigentlich politisch-satirisch ist. Wenn man diese Rede hält und keine Heimat, keine Rückendeckung in der Partei hat, dann ist man sehr allein dort oben. Besonders dann, wenn man, wie das Christian (Springer; Anm. d. Red.) und ich beim Schreiben der Rede gemacht haben, sehr darauf achtet, nach allen Seiten zu schießen. Wenn einer kräftig am Seil wackelt, und man ist gerade über den Niagarafällen, dann kann man schon ins Taumeln kommen und stürzen - oder man springt ab.

SZ: Wie geht es Ihnen nach vier Monaten Rekonvaleszenz?

Lerchenberg: Ich habe das im Großen und Ganzen verarbeitet, denke aber schon ab und an darüber nach. Das liegt auch daran, dass ich immer noch darauf angesprochen werde. Und zwar angefangen vom politischen Mandatsträger bis zum Hartz-IV-Empfänger, der sich bei mir per Handschlag bedankt. Es gab auch einige CSU-Politiker, die mir gegenüber ihre Wertschätzung ausgedrückt haben. Ich habe aber kein Trauma.

SZ: Letztlich führte genau ein Satz zum Eklat, indem Sie die FDP und allen voran Guido Westerwelle in die Nähe eines KZ-Wärters gerückt haben. Plagen Sie Selbstzweifel, dergestalt, dass Sie selbst nicht wissen, warum Sie sich den Fauxpas erlaubt haben?

Lerchenberg: Nicht wirklich. Ich finde es nach wie vor richtig, dass wir auch auf faschistische Tendenzen in der Politik der FDP hingewiesen haben, die Westerwelle begründet hat. Wobei das nicht nur die FDP betrifft, auch SPD-Mann Sarrazin hat sich exponiert. Sobald ich Menschen in wertvolle und nicht wertvolle unterteile, was sowohl Westerwelle als auch Sarrazin gemacht haben, ist dies ein Kennzeichen faschistoider Politik. Guido Westerwelle hat ganz bewusst versucht, mit populistischen Themen zu punkten, Haider zu kopieren. Das anzuprangern sehe ich heute noch als absolut richtig und notwendig an.

SZ: Der Vorwurf kam ja erst einmal gar nicht aus der Politik, sondern von der Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch. Sie sagte, Sie hätten mit dem Vergleich die Opfer der Nationalsozialisten verhöhnt.

Lerchenberg: Das hat uns alle kalt erwischt. Von dieser Seite hätte ich solche Anwürfe überhaupt nicht erwartet. Wenn man ein wenig recherchiert, weiß man, dass man nun ausgerechnet mir die Verhöhnung von Opfern wirklich nicht unterstellen kann. Ich habe als Theatermensch wie auch privat immer gegen Rechtsextremismus gekämpft - zum Beispiel bei "Wunsiedel ist bunt". Und ich habe selbst von Opfern beziehungsweise Nachkommen von Opfern Briefe bekommen, in denen sie sich von Frau Knobloch distanzierten.

SZ: Sie haben die Wandlung vom Bußprediger zum Büßer nicht mal in Ansätzen vollzogen?

Lerchenberg: Nein, ganz im Gegenteil. Ich habe mir in den letzten Jahren die politische Entwicklung in den Monaten nach den Nockherberg-Reden genau angesehen. Es ist sehr interessant, wie genau man da oft den politischen Nerv trifft oder getroffen hat. Der tiefe Fall der FDP, ja nachgerade ein Sturz von Westerwelle - das ist ja unglaublich. Im Februar und März konnte der gute Mann vor lauter Kraft nicht laufen, und jetzt wird er im Rollwagerl durch die politische Landschaft geschoben. Insofern hadere ich nicht mit mir nach dem Motto: Hätte ich bloß das nicht gesagt.

SZ: Sie meinen: Satire darf das?

Lerchenberg: Es kam leider gar nicht zu einer feuilletonistischen Debatte: Was kann, darf, soll Satire. Das hat mich erstaunt und auch enttäuscht. Als der bayerische Innenminister das Bayerische Fernsehen anwies, eine Sequenz aus der Nockherberg-Aufzeichnung herauszuschneiden, nahmen das viele als Normalität hin. Das ist geradezu absurd. Wenn man bestimmte Vokabeln nicht in den Mund nehmen darf, dürfte man auch Charlie Chaplins "Der große Diktator" oder den großartigen Film "Der Zug des Lebens" nicht mehr zeigen. Interessanterweise will ein Benediktiner-Gymnasium in der Schweiz die Nockherberg-Rede als Musterbeispiel für eine Satire im Deutschunterricht behandeln.

SZ: Seit 1984 sind Sie 23 Jahre als Singspiel-Double Edmund Stoibers am Nockherberg aufgetreten, die letzten drei Jahre dann in der Rolle des Bruder Barnabas. Wird Ihnen etwas fehlen?

Lerchenberg: Sicher. Ich habe 25 Jahre um den Termin im Frühjahr herumgeplant, habe bestimmte Verpflichtungen deshalb angenommen oder abgesagt. Klar, jetzt habe ich plötzlich mehr Zeit. Was den Bruder Barnabas betrifft, musste ich irrsinnig viel Zeitung lesen, um die politische Szene im Blick zu behalten. Jetzt muss ich kein schlechtes Gewissen haben, wenn ich mal einen Tag nur eine Zeitung oder gar keine lese.

SZ: Sie waren so lange Stoibers Alter Ego, hielten ihm die Treue. Nun hat Sie mit etwas Zeitverschiebung das gleiche Schicksal wie den früheren bayerischen Ministerpräsidenten.

Lerchenberg: Nein. Wenn das Derblecken in Kreuth stattfinden würde, dann hätte sich mir das bestimmt aufgedrängt. Der Sturz oder erzwungene Rückzug von Stoiber hatte ja andere Ursachen...

SZ: ...wobei Sie ja auch wegen des enormen politischen Drucks Ihren Rücktritt als Fastenprediger erklärt haben.

Lerchenberg: So gesehen ist das schon vergleichbar. Nur habe ich viel schneller reagiert!

SZ: Weil Sie merkten, dass der Druck übermächtig wurde?

Lerchenberg: Ich habe sehr schnell gespürt, dass hinter dem Schutzschild Frau Knoblochs und hinter ihrem breiten Rücken viele aus der Deckung kamen, die glaubten, mit mir eine Rechnung offen zu haben. Die Medien nahmen das dankbar auf. Ich wollte mich aber nicht wie eine Wildsau tagelang durchs Dorf treiben lassen. Als jeder meinte, auch noch seinen Senf dazu abgeben zu müssen, habe ich ganz schnell den Stecker rausgezogen.

SZ: Sie sind sich selbst treu geblieben und weniger der Figur des Barnabas?

Lerchenberg: Die Figur des Bußpredigers ist eine schwierige Position auf Grund seiner Exponiertheit. Wem macht man es da schon recht? Seit ein paar Jahren hat die Politik den Konsens aufkündigt, der am Nockherberg herrschte, nämlich: Einmal im Jahr sitzen wir da unten, kriegen eins übergebraten und machen gute Miene zum bösen Spiel - und das war's dann. Man kann die Veranstaltung mit einem Dampfkochtopf vergleichen. Der Druck steigt so stark, bis er oben durchs Ventil abgelassen wird, und dann ist es für den Rest des Jahres okay. Die Reden, wie Christian Springer und ich sie gestaltet haben, sind plötzlich en detail diskutiert worden. Der eine beschwerte sich, der andere wusste auch was zu mäkeln. Wenn die Politik so weitermacht, dann macht der Nockherberg keinen Sinn mehr.

SZ: Erstaunlich war die Verlogenheit einiger Nockherberg-Gäste. Arbeitsministerin Christine Haderthauer bekundete im BR-Interview direkt nach der Rede ihr Wohlgefallen, schwenkte dann aber Tage danach in der allgemeinen Aufregung um zur Fundamentalkritik.

Lerchenberg: Das ging durch alle Parteien. Auch Ude redete erst so und trat dann zwei Tage später kräftig nach. Das war für mich genau der Punkt. Dieses Spiel wollte ich nicht mitspielen, das wollte ich nicht mit mir machen lassen.

SZ: Wie viel Michael Lerchenberg steckte in Bruder Barnabas?

Lerchenberg: Es gibt im Theater die sogenannte Fifty-fifty-Quote. Im Grunde steckt in jeder Rolle, die wir spielen, unsere eigene Persönlichkeit - mal ein wenig mehr, mal weniger. Diese Figur wäre von einem anderen nicht nachspielbar gewesen. Das war mein Bruder Barnabas. Es war mir deshalb wichtig, von Anfang an einen Koautor an meiner Seite zu haben, damit ich nicht als einsamer Rufer in der Wüste dastehe. Die Gefahr, dass man über das Ganze ureigene politische Ansichten stülpt, ist sonst groß.

SZ: Eine Figur wie Stoiber zu doubeln war sicherlich leichter, als eine Figur wie den Fastenprediger neu auszufüllen. Haben Sie die Rolle des Bruder Barnabas zu ernst genommen?

Lerchenberg: Wie kann man sich einen unernsten Fastenprediger vorstellen? Dann ist man sehr schnell in einer Faschingsveranstaltung. Wenn dort oben ein juxender Mönch steht, bierselig - dann ist das ein rotnasiger Büttenredner! Der Prediger dagegen darf eigentlich alles: Er darf satirisch sein, ironisch, kann und muss auch lustig sein. Ein paar ethische Grundprinzipien müssen erfüllt sein: Ich kann über Kinderarmut keine Witze machen, das verbietet sich. Die Figur des Fastenpredigers ist dafür ideal, weil wir eine gute Portion Säure ausgießen können. Man soll und darf auch derb werden. Wir haben uns mit den historischen Vorbildern wie dem barocken Prediger Abraham a Santa Clara lange beschäftigt und sind der Auffassung, dass dies eine spannende rhetorische Form ist.

SZ: Die Erwartungshaltung im Saal am Nockherberg ist aber eine andere: Stiche mit dem Florett steckt man weg, Säbelhiebe dagegen nur schwer.

Lerchenberg: Man muss auch sehen: Die politischen Grundsituationen haben sich geändert. In der langen Periode, in der Hannes Burger die Predigten schrieb, saß die CSU fest im Sattel, fuhr ihre absoluten Mehrheiten ein und konnte sich auf dem Nockherberg locker die Dinge anhören. Anschließend schüttelte man sich und hakte das Thema ab. Als ich die erste Nockherberg-Rede hielt, saß mit Huber und Beckstein damals schon ein sehr angeschlagenes Paar unten im Saal. Die CSU war verunsichert. Kurz danach verlor sie ja die Kommunalwahl mit Pauken und Trompeten. Daraus rührte auch die Dünnhäutigkeit.

SZ: Nach Ihrer ersten Predigt im Jahr 2008 warf Ihnen der CSU-Bundestagsabgeordnete Ernst Hinsken eine "menschenfressende" Rede vor und wollte die CSU zum Nockherberg-Boykott aufrufen.

Lerchenberg: Man hat das dieses Jahr auch bei Westerwelle gemerkt, wie extrem empfindlich er reagiert hat. Er muss eigentlich gewusst haben, dass er weit übers Ziel hinausschießt.

SZ: Sie haben Hunderte E-Mails bekommen, viele Briefe, die allermeisten davon aufmunternd und unterstützend. Ist das für Sie Bestätigung genug, richtig gehandelt zu haben als die Stimme des Volkes, die Bruder Barnabas sein wollte?

Lerchenberg: Sicher tat das gut. Einige Zeitungen machten damals Online-Umfragen. Wir hatten ja Zustimmungsquoten von über 80 Prozent. Jeder Politiker würde sich die Finger abschlecken, wenn er so etwas erreichen würde. Insofern haben wir das Ziel, das wir uns gesetzt haben, erfüllt.

SZ: Wie erging es Ihnen mit den Schulterklopfern der vergangenen Jahre? Standen die noch hinter Ihnen?

Lerchenberg: Es haben sich einige Politiker gemeldet, andere, die sich vorher gemeldet haben, nicht mehr. Es ist schon interessant: Solange man oben ist, wird einem der Beifall zugeschmissen, Blumensträuße im übertragenen Sinn. Wenn man dann die Position nicht mehr erfüllt, wird man ziemlich schnell von den Einladungslisten gestrichen. Aber das ergeht vielen Fußballtrainern ja auch nicht anders.

SZ: Schmerzt es Sie, dass Ihre Popularität, die sich zu einem guten Teil aus dem Nockherberg entwickelt hat, nun einen Bruch erfahren hat?

Lerchenberg: Ich habe zum Glück nie nur vom Nockherberg allein gelebt. In den letzten zehn Jahren hat er einen Hype erlebt. Zweit- und Drittverwertungen, man kann sich das alles auf Youtube anschauen und herunterladen. Für mich war es trotzdem nur ein Job von vielen im Jahr. Es hat dem Ego gutgetan, aber ich bin jetzt nicht unglücklich.

SZ: Ist für Sie politisches Kabarett nunmehr perdu?

Lerchenberg: Ich weiß es nicht. Ich bin in den letzten Jahren als Kabarettist gehandelt worden, aber ja nur einmal im Jahr als solcher aufgetreten - und das in einer sehr klar umrissenen Bühnenfigur. Vielleicht ziehe ich ja eines Tages als Wanderprediger durch die Lande (lacht lauthals).

SZ: Ein Ausspruch von Ihnen aus der Vergangenheit: "Die Nockherberg-Rede hat in der bayerischen Medienlandschaft eine herausgehobene Position. Das ist eine verantwortungsvolle Aufgabe, mit der ich nicht leichtfertig umgehen kann. Es ist eine Ehre, das machen zu dürfen." Würden Sie das aus heutiger Sicht noch mal so äußern?

Lerchenberg: Ja, das mit der Ehre würde ich auch heute noch unterschreiben. Das war kein alltäglicher Job. Ich habe ihn gerne gemacht.

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