Überfälle auf Homosexuelle:"Du schwule Sau - das hört man oft"

Gewalt gegen Homosexuelle nimmt zu - sogar im sonst so weltoffenen Münchner Glockenbachviertel. Christopher Knoll, Initiator eines Solidaritätsbündnisses, über die Ursachen.

Lisa Sonnabend

Gewalt gegen Schwule nimmt zu - sogar im Glockenbachviertel, Münchens Szene- und Künstlerviertel. Doch kaum jemand spricht darüber. Christopher Knoll, 46, hat deswegen das Münchner Aktionsbündnis für Solidarität initiiert. Knoll arbeitet als Diplompsychologe und Berater im Anti-Gewalt-Projekt des Schwulen Kommunikations- und Kulturzentrum (Sub) in München.

Christopher Knoll

"Mir reicht es wirklich!" Christopher Knoll will auf die steigende Zahl der Übergriffe auf Schwule aufmerksam machen.

(Foto: Susie Knoll / oh)

sueddeutsche.de: Herr Knoll, Sie haben ein Aktionsbündnis für Solidarität gegründet. Warum ist dies im großstädtischen München überhaupt noch nötig?

Christopher Knoll: In letzter Zeit nimmt Gewalt gegenüber Schwulen leider zu - sogar im Glockenbachviertel. Es wurden dort vereinzelt Leute beschimpft, niedergeschlagen und Schwulenlokale überfallen. Neulich erst ging ein Schwuler nachts die Klenzestraße entlang und es kamen ihm ein Mann und eine Frau entgegen. Die Frau ruft "Du schwule Sau!", der Schwule beschwert sich und sie schlägt ihm ins Gesicht. Und dann prügelt der Begleiter der Frau den Schwulen richtig nieder.

sueddeutsche.de: Woran liegt das? Man denkt doch eigentlich, die Münchner werden immer offener gegenüber anderen Lebensformen ...

Knoll: Es gibt zwei Strömungen in Deutschland: Der eine Gesellschaftsbereich wird toleranter, der andere weniger. Wir haben also zum einen die "Wowereitisierung" der Republik, bei der man schwul sein kann und das auch gut so ist. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die der Meinung sind, Schwule sind Säue und müssten "geklatscht" werden.

sueddeutsche.de: Wer denkt so etwas?

Knoll: Die Tätergruppe sind vor allem junge Männer zwischen 16 und 22 Jahren, die in sozial prekären Situationen leben. Und davon gibt es immer mehr. Im Glockenbachviertel hat sich die Viertelstruktur sehr verändert. Es ist zu einer Partymeile geworden, weswegen auch immer mehr von diesen jungen Männer ins Viertel kommen.

sueddeutsche.de: Sie sind also nicht begeistert über die Veränderungen im Glockenbachviertel?

Knoll: Wir wollen natürlich nicht, dass das Viertel unter Denkmalschutz gestellt wird und alle Heteros verschwinden müssen. Aber die Stadtgesellschaft müsste sich breiter aufstellen und gemeinsam eine Lösung finden. Das können nicht nur wir Schwule machen.

sueddeutsche.de: Was machen die Münchner falsch?

Knoll: Oft wird immer noch so getan, als wäre der homosexuelle Lebensstil ein Affront gegen die Gesellschaft. Was er natürlich nicht ist. Aber die Gesellschaft möchte dies auch so sehen, um nach Übergriffen auf Schwule sagen zu können: "Ihr seid ja selber schuld."

sueddeutsche.de: Was müsste sich noch ändern?

Knoll: Die Gesellschaft macht es sich auch deswegen so leicht, weil Schwule, Lesben und Transgender sich verstecken. Deswegen wollen wir ihnen mit unserer Initiative Mut machen: Auch wenn ihr euch schämt, erstattet Anzeige! Viele Schwule wollen die Tatsache, dass Homosexuelle immer noch eine diskriminierte Randgruppe sind, ausblenden. Auch die Schwulen müssten sich also ein wenig ändern und mutiger werden.

sueddeutsche.de: Dem wollen Sie mit Ihrem Aktionsbündnis für Solidarität entgegentreten?

Knoll: Mit der Initiative wollen wir Aufmerksamkeit für das Thema schaffen - und klarmachen: Wir brauchen die Solidarität der Stadtgesellschaft! Deswegen wollen wir Kooperationspartnerschaften gründen - mit den Bayern, mit dem hiesigen Elektronikmischkonzern und dem örtlichen Autobauer. Es sind aber auch Aktionen geplant. Wir müssen es so weit schaffen, dass nicht nur Schwule, Lesben und Transgender wollen, dass ihnen keine Gewalt widerfährt, sondern die Gesamtgesellschaft. Wir fordern mehr Sichtbarkeit, Unterstützung und Solidarität von München!

sueddeutsche.de: Vor kurzem war das Thema Gewalt gegen Schwule in den Schlagzeilen, nachdem Reggaemusiker in München aufgetreten waren, deren Songs schwulenfeindliche Texte haben.

Knoll: Es gab anschließend sogar eine Stadtratsdebatte zum Thema Hassmusik. Das hat uns Mut gemacht. Plötzlich war spürbar, dass eine Solidarität in der Stadt herrscht, dass die Leute entsetzt waren und sagten, wir wollen keine Gewalt gegen Schwule, Lesben und Transgender. Aber Gewalt ist nicht nur schockierend, wenn darüber gesungen wird, sondern natürlich auch, wenn sie wirklich passiert.

sueddeutsche.de: Vermeiden es viele Homosexuelle inzwischen, Hand in Hand mit ihrem Partner durch die Straßen zu gehen?

Knoll: Davor haben Schwule doch schon immer Angst. Welcher Schwule geht denn schon gerne Hand in Hand durchs Hasenbergl? Aber dass es jetzt auch im Glockenbachviertel schwierig ist, ist neu.

sueddeutsche.de: Ist Ihnen schon einmal etwas passiert?

Knoll: Wenn ich sonntags Arm in Arm mit meinem Freund an der Isar spazieren gehe, schreit schon mal jemand über die Wiese: "Ey, ihr schwulen Säue!" Das ist leider banaler Alltag in der Stadt. Mir reicht es wirklich!

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