Am Rande des Sarrazin-Auftritts:"Natio" und echte Nationalisten

Rüge für eine Satire-Aktion des BR: Vor dem Auftritt von Thilo Sarrazin in München warben Reporter für eine fiktive rechtsextreme Partei. Nun fordert Bayerns Innenminister Herrmann Konsequenzen. Derweil hat auch ein echter Rechtsextremist Ärger.

Kathrin Haimerl

Mittwochabend, kurz vor Beginn des Auftritts von Thilo Sarrazin in München. Die Leute stehen Schlange vor der Reithalle, darunter sind viele Damen mit feinen Tüchern in Begleitung von älteren Herren. Etwas abseits der Schlange haben sich zwei junge, korrekt gescheitelte Burschen postiert. Einer spricht in die Kamera eines BR-Teams, der andere spricht die Wartenden an.

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Total, jung und national: Ein BR-Reporter getarnt als Reinhold Eiche auf Stimmenfang vor der Reithalle in München.

(Foto: on3 südwild)

Der blonde Herr mit der schwarzen Hornbrille stellt sich als Reinhold Eiche vor. 30 Jahre alt sei er. Er hält ein Plakat in die Kamera: "Aufwachen, Deutschland" steht darauf. Und: "Man merkt die Unterschicht."

Außerdem ziert das Bild einer blonden, jungen Frau das Plakat. Daneben sind die Farben der Reichsflagge zu sehen, allerdings in falscher Anordnung: Schwarz-Rot-Weiß. Darüber ist in Frakturschrift zu lesen: "Total. Jung. National."

"Basierend auf den Thesen von Thilo Sarrazin wollen wir eine Partei gründen", sagt Herr Eiche. Und zwar namens "Natio". Wie viele Mitglieder sie schon angeworben hätten? "Hinter uns stehen 26 Prozent der Deutschen", sagt der Bursche ohne jegliche Regung im Gesicht. Dann geht er weiter auf Stimmenfang bei den Wartenden - mit einer Unterschriftenliste.

Herr Eiche hat eigentlich einen anderen Namen und arbeitet als Reporter für das Jugendformat on3 Südwild des Bayerischen Rundfunks. Gemeinsam mit seinem Kollegen warb er für die fiktive rechtsextreme Partei und das machte kurzzeitig die Polizei stutzig, die die Veranstaltung absicherte. "Sie hatten sich direkt vor der Reithalle positioniert, der Staatschutz musste daher von einer nicht angezeigten Versammlung ausgehen", sagt Polizeisprecher Peter Reichl.

Auch die Polizisten fielen zunächst auf die getarnten Extremisten herein: "Die Beamten waren schon erstaunt, dass es sich um Reporter handelte." Allerdings habe sich das Missverständnis schnell aufklären lassen. Die Polizei habe die Angelegenheit ans Kreisverwaltungsreferat weitergeleitet. Dieses prüft nun, ob die beiden Reporter mit ihrer Aktion gegen das bayerische Versammlungsgesetz verstoßen haben.

Rüge von Innenminister Herrmann

Inzwischen hat sich Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) geäußert und die BR-Reporter scharf kritisiert: Der Satirecharakter der Aktion sei nicht ohne Weiteres erkennbar gewesen.Einer Mitteilung zufolge sagte Herrmann: "Bei allem Verständnis für Satire: Die Werbung für Rechtsradikale und ihr Gedankengut hat mit der Aufgabenstellung einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt nichts zu tun."

Das Verhalten der beiden Reporter sei für ihn völlig indiskutabel gewesen. Sie hätten journalistische Grundsätze überschritten. "Die Sache muss jetzt schleunigst in den Rundfunkrat", sagte Herrmann einer Mitteilung zufolge.

Anders sieht dies die on3-Südwild-Redaktion: "Ein Jugendformat muss Grenzen ausloten dürfen", sagt on3-Programmchefin Ulrike Ebenbeck und schildert die Erfahrungen ihrer beiden Mitarbeiter vor der Reithalle. "Die beiden Reporter waren schockiert, wie gut ihre Aktion funktioniert hat", sagt sie. Zudem würde die Aktion inzwischen auch auf rechtsextremen Internetforen thematisiert. Erschreckend aber sei nicht so sehr "der braune Sumpf, sondern vielmehr, wie sich das gutbürgerliche, wirtschaftlich gefestigte Milieu zu Sarrazins Thesen äußert", sagt Ebenbeck.

Tatsächlichen Ärger wegen einer nicht angemeldeten Versammlung aber hat nun ein anderer: Unweit der beiden BR-Reporter südlich der Reithalle hatte sich Roland W. zusammen mit einem Mitstreiter postiert. W. gehört zu einer tatsächlich existierenden rechtsextremen Partei. Und zwar zur NPD, die seit mehreren Wochen mit Sarrazins Konterfei in Kombination mit der Aufschrift "Alle wissen: Sarrazin hat recht" wirbt. So auch Roland W. an diesem Abend. Und: "Das war ganz sicher eine Versammlung", sagt Münchens Polizeichef Reichl. Das NPD-Mitglied darf also in den nächsten Tagen mit Post vom KVR rechnen.

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