Pianist Igor Levit:Offenbarung

Als hörte man "Für Elise" zum allerersten Mal: Der 23 Jahre alte Pianist Igor Levit begeistert als Einspringer.

Klaus Kalchschmid

Vollkommen still war es eine Stunde lang im Prinzregententheater, als Igor Levit - eingesprungen für Mihaela Ursuleasa - Beethovens Diabelli-Variationen nicht einfach spielte, sondern zu einer Offenbarung werden ließ. Wann je traf ein Pianist jede einzelne dieser 33 Variationen über ein schlichtes Walzer-Thema in ihrem Charakter so präzise auf den Punkt? Phänomenal ausgereizt die vielfältigen Kontraste zwischen lustvoller Zertrümmerung des Themas auf der einen und mysteriösem Schweben im Adagio auf der anderen Seite.

Talentschmiede fuer Ausnahmemusiker

Mehrfach preisgekrönt: der russische Pianist Igor Levit.

(Foto: ddp)

Der junge, mehrfach preisgekrönte russische Pianist, der seit seinem achten Lebensjahr in Deutschland wohnt und in Hannover studierte, wählte dieses Werk auch für sein Konzertdiplom im Frühjahr dieses Jahres. Es klingt, als hätte er sich ein ganzes langes Leben mit jedem Takt, jeder Phrase, jedem Ton beschäftigt und nun die letztgültige Fassung gefunden. Neben vielen nahtlosen Übergängen stehen Zäsuren von genau der richtigen Länge und betonen die zyklische Struktur des dreiteiligen Ganzen.

Igor Levit ist gerade 23 Jahre alt. Doch er bringt den Flügel mit einer Differenziertheit des Anschlags, einer Selbstständigkeit der beiden Hände und Phantasie der Gestaltung zum Singen, dass die Zuhörer im voll besetzten Haus das Husten, ja das Atmen vergaßen. Alle hörten gebannt zu, wie Levit diese Sonatensätze in nuce durchleuchtete, zum Glühen brachte oder selbstvergessen sich ausbreiten ließ. Hunderte von Zwischenstufen von extrovertierten, rhythmisch pointierten Exzessen bis zu zart gehauchten Mirakeln fand Levit und überraschte noch einmal mit der allerletzten Variation: Nach grandios aufgetürmter Fuge folgt ein "Tempo di Menuetto moderato". Levit spielte es wie die Erinnerung an ein reiches, geheimnisumwittertes Leben. Hoffentlich findet die fertige Studioaufnahme dieser Diabelli-Variationen bald eine Plattenfirma.

Schuberts sechs "Moments musicaux" waren ebenfalls Teil der Diplomprüfung. Auch hier wusste der junge Russe immer, was er tat, wie er Akkorde formen und abtönen oder Melodielinien präzise nachzeichnen musste. Dennoch blieb er vergleichsweise konventionell. Das quittierte das Publikum prompt mit derben, unverdienten Zwischenhustern. Doch dann Sergej Prokofjews berühmt-berüchtigte siebte Sonate. Und wieder geschah das Unerhörte: die Vergegenwärtigung großer Kunst auf die selbstverständlichste Art und Weise. Virtuoser, wilder, elektrisierender kann man die Ecksätze nicht spielen. Und doch war das musikalische Geschehen so klar und räumlich aufgefächert, dass man alle Konturen unterscheiden konnte. Selbst das "Andante caloroso" stand, wie die Satzbezeichnung "erhitzt" suggeriert, trotz aller lyrischen Emphase unter Hochspannung.

Nach fein modellierter Mozart-Zugabe noch ein Wunder: Ein scheinbar für immer verdorbenes Klavierschülerexerzitium wie Beethovens "Für Elise" klingt, als würde man es zum ersten Mal hören. Und plötzlich erhebt sich, frenetisch applaudierend, das ganze Auditorium von den Sitzen!

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