Patente: Streit um Pflanzen:"Die Schrumpeltomate ist nur der Anfang"

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Dürfen Tomaten und Brokkoli patentiert werden? Das Europäische Patentamt muss entscheiden. Die Biologin Ruth Tippe erklärt, warum sie gegen den Patentantrag kämpft.

F. Kock

Am Dienstag entscheidet das Europäische Patentamt in München über die Patentierung von Tomate und Brokkoli. Was sich nach einem Scherz anhört, ist bitterer Ernst. Die studierte Biologin Ruth Tippe, 65, ist Vorsitzende des Münchner Büros der Initiative "Kein Patent auf Leben!". Sie recherchiert regelmäßig am Europäischen Patentamt nach neuen Anträgen für Biopatente und reicht ihre Informationen an Organisationen wie Greenpeace weiter. Im Interview erklärt sie, was es mit dem Patentantrag zu Tomate und Brokkoli auf sich hat.

Dürfen Pflanzen - etwa Tomaten - patentiert werden? Das Europäische Patentamt steht vor einer Grundsatzentscheidung. (Foto: ddp)

sueddeutsche.de: Frau Tippe, viele Bauernverbände und Umweltorganisationen machen gegen die Patentierung von Tomate und Brokkoli mobil. Worum geht es bei der Entscheidung eigentlich?

Ruth Tippe: Bisher galt die Regel, dass nur patentiert werden darf, wenn an der jeweiligen Pflanze oder dem Tier ein technischer Eingriff geschehen ist ...

sueddeutsche.de: ... wenn die Pflanze beispielsweise gentechnisch verändert wurde.

Tippe: Genau. Nun wird zum ersten Mal über einen Antrag entschieden, der die Patentierung aus konventioneller Züchtung hervorgegangener Pflanzen vorsieht. Sämtliche Pflanzen würden dann in den Bereich des Patentrechts fallen, nicht mehr wie gehabt unter den Sortenschutz. Tomate und Brokkoli sind also nur der Anfang.

sueddeutsche.de: Warum stört Sie das so?

Tippe: Die Patenthalter haben im Gegensatz zu den Züchtern im Sortenschutz extrem weitreichende Ansprüche. Sie besitzen nicht nur Verfügungsrechte, die die Nutzung des Saatguts und die weitere Forschung und Entwicklung betreffen, sondern können auch bestimmen, was mit der Pflanze selbst weiter passiert.

sueddeutsche.de: Zum Beispiel?

Tippe: Bei der Schrumpeltomate, um deren Patentierung es gerade geht, könnten die Patenthalter bestimmen, in welcher Form die Ernte weiterverarbeitet oder an welche Ketchuphersteller sie verkauft wird. Beim Brokkoli würden die Ansprüche der Patenthalter bis in die Gemüseabteilung des Supermarkts reichen.

sueddeutsche.de: Wie muss man sich die Patentierung eines Brokkolis oder einer Schrumpeltomate vorstellen? Was genau wird patentiert - Gene, einzelne Pflanzenteile oder Sorten?

Tippe: Das ist unterschiedlich. Meistens werden mehrere Bereiche kombiniert. Dann beansprucht eine Firma beispielsweise ein Patent auf ein Gen, sowie auf die Pflanze, die das Gen enthält. Im Fall des Brokkoli zum Beispiel wird Anspruch angemeldet an der Pflanze, an deren Saatgut und an dem essbaren Gemüse. Ein Patent umfasst zudem meist nicht eine einzelne, sondern eine Vielzahl an Sorten.

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sueddeutsche.de: Sie prüfen einmal pro Woche die Anträge auf Biopatente am Europäischen Patentamt. Gibt es schon viele Anträge zur Patentierung konventionell gezüchteter Pflanzen?

Tippe: Ja, und die Antragsteller kann man konkret benennen. Es sind große Konzerne wie Monsanto, DuPont Pioneer oder Syngenta. Die zehn größten Saatgutfirmen kontrollieren mehr als 50 Prozent des weltweiten Saatgutmarktes. Durch den Aufkauf kleinerer Firmen und die Anmeldung unzähliger Patente haben die Konzerne ein Monopol aufgebaut. Sie können das Angebot bestimmen und die Preise diktieren. Das ist schlimm für Bauern und Verbraucher.

sueddeutsche.de: Welche Probleme ergeben sich für die Bauern?

Tippe: Wenn die Patentierung konventionell gezüchteter Pflanzen in Europa erlaubt wird, kann das dazu führen, dass den Bauern nur noch eine geringe Auswahl an Saatgut zur Verfügung steht. Für die Konzerne, die die Patente halten, ist es am lukrativsten, wenn sie eine Sorte Saatgut verkaufen, die in möglichst allen Regionen der Erde genutzt werden kann. Außerdem dürfen die Bauern nicht mehr selbst experimentieren und züchten, da das Saatgut durch das Patent geschützt ist. Insgesamt wird den Bauern wenig Freiraum gelassen.

sueddeutsche.de: Den Verbrauchern kann das doch eigentlich egal sein.

Tippe: Nein. Wenn die Bauern nur noch eine geringe Auswahl an Saatgut haben, wird natürlich auch das Angebot für die Verbraucher schmäler. Zudem ist abzusehen, dass die Lebensmittelpreise steigen werden. Mit ihrer Monopolstellung können die Saatgutkonzerne die Preise in die Höhe treiben.

sueddeutsche.de: Viele Gegner der Patentierung von Pflanzen und Tieren argumentieren auch mit ethischen Aspekten. Warum?

Tippe: Es ist für mich schwer vorstellbar, dass jemand Patentrechte an lebenden Organismen und deren Genen hat. Pflanzen und Tiere sind schließlich keine Erfindungen des Menschen. Zudem ist bedenklich, dass es sich bei den patentierten Produkten größtenteils um lebensnotwendige Nahrungs- und Futtermittel handelt. Hier jemandem Patente einzuräumen und dann auch noch eine starke Monopolbildung zuzulassen, ist ethisch nicht vertretbar.

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