Paradiso Tanzbar:Alles außer Mainstream

"Ich will extrem schöne und extrem hässliche Gäste": Wie Jürgen Mair die Paradiso Tanzbar populär macht.

Philipp Crone

"Tschick" - wer das hört, kann gleich wieder gehen. Wie zum Beispiel die fünfköpfige Gruppe, die an einem Samstagabend vor der Paradiso Tanzbar in der Rumfordstraße 2 steht. Drei Männer, zwei Frauen, alle Ende 30, elegant angezogen, gut aussehend, das Geschlechterverhältnis stimmt, aber Jürgen Mair ruft: "Tschick!"

Paradiso Tanzbar: Die Bienenkönigin der Nacht: Jürgen Mair gehört die Paradiso Tanzbar, einer der angesagtesten Clubs der Stadt.

Die Bienenkönigin der Nacht: Jürgen Mair gehört die Paradiso Tanzbar, einer der angesagtesten Clubs der Stadt.

(Foto: sonstige)

Der 39-Jährige mit den blonden mittelkurzen Haaren, dem von ersten kleinen Linien durchzogenen braun gebrannten Gesicht und einem schwarzen Mantel steht ein paar Meter neben dem Eingang und beobachtet. Sein Türsteher reagiert nicht, Mair sagt noch einmal, etwas lauter: "Tschick!"

In diesem Wort steckt die Erfahrung aus 20 Jahren Nachtleben - und ein bisschen auch der Stolz eines Mannes, der aus Oberzeitlbach bei Dachau stammt, Zentralheizungstechniker gelernt hat, vor zwei Jahren alles auf eine Karte setzte, seine Wohnung verkaufte und jetzt einen der erfolgreichsten Clubs der Stadt führt. "Tschick!"

Der Türsteher dreht den Kopf in Richtung des schlanken Mannes in Schwarz, der an seiner Zigarette zieht, verschränkt dann hinter den Absperrgittern vor der Tür die Arme und sagt zu der Gruppe mit leichtem Schulterzucken: "Entschuldigung, heute leider nur mit Reservierung." Noch so ein Code, eine charmante Abfuhr.

"Tschick" bedeutet Nein in der Sprache von Mair. "Solche Leute sind mir zu mainstreamig", sagt er ein paar Tage später vormittags in seinem Club, der sauber, still und leer im Putzlicht liegt. "Ich will spannende Gäste, extrem schön und extrem hässlich, Banker oder Hartzer, egal; aber nicht so Münchner Einerlei."

Mairs Sprache kennt neben Codewörtern auschließlich eindeutige Sätze. Etwa: "Die Arbeit im Nachtleben passiert am Tag." Er könnte es wissen, er arbeitet seit 22 Jahren in der Gastronomie. Dazu kommt auch der Genuss, endlich, seit er vor zwei Jahren das Paradiso aufgemacht hat, derjenige zu sein, der anschafft. Das war bis dahin immer anders.

Vom Gläserträger zum Clubbesitzer

Mit 17 fängt Mair im "Charly M" als Gläser-Commis an, "der härteste Job im Nachtleben". Mit einem leeren Kasten durch die Menge laufen und Gläser einsammeln, stundenlang. Die Ausbildung tagsüber macht er seinem Vater zu Liebe. Er arbeitet lieber nachts, hinter der Bar, sieben Jahre lang auch als Türsteher etwa in Kitzbühel, er verkauft Energy Drinks oder Sonnenbrillen, die er als Model für Ray Ban trägt; oder er isst Pommes im Werbespot für McCain.

"Das Problem war, dass ich oft gute Gagen bekommen habe, die waren aber auch gleich wieder weg." Und er bleibt Bittsteller. "Da gehst du immer als Lakai mit deiner Fotomappe zu den Agenturen."

Vor neun Jahren hat er dann zum ersten Mal den Club an der Rumfordstraße 2 entdeckt. "Lage, Einrichtung, Größe, perfekt." Aber die Ablösesumme, "mehrere hunderttausend Euro", das ging nicht, trotz Brillen und Pommes. Er sparte und sah sich weiter um, auch in Berlin, das er genauso wenig leiden kann wie Los Angeles. "Zu groß, zu anonym." Da sind sie wieder, die eindeutigen Sätze.

An dem Samstagabend steht Mair gegen 23 Uhr vor der Tür. Er ist nicht ganz zufrieden mit seinem Türsteher. "Ich habe alles selbst gemacht, da kann mir keiner was erzählen", sagt er. Der Türsteher müsse immer höflich sein, nie arrogant. Eine Gruppe von acht jungen Frauen steigt aus zwei Taxen, Mair deutet auf die Tür. Natürlich dürfen sie rein. "Wir haben immer mehr Frauen als Männer bei uns", sagt er. Ob er selbst reinkommen würde in seinen Laden? "Ja, alle extrem Hässlichen und extrem Schönen kommen rein."

Wozu er gehört? Klar.

Drei Männer um die 40 kommen an das Gitter, alle drei in weiße Hemden gekleidet mit blinkenden Aufnähern. Der Türsteher will ihnen gerade sagen, dass heute der Eintritt nur mit Reservierung möglich ist, da klingt ein "Ja" von hinten. Sie dürfen rein. Im hinteren Teil der etwa 100 Quadratmeter großen Diskothek setzen sie sich in die Plüschecke und öffnen eine Flasche Wodka.

Bekannt zwischen Stuttgart und Wien

Es ist 23.10 Uhr, noch kann man den blinkenden Boden sehen, die Lüster neben der Diskokugel, die goldenen Engel über der Bar, die Glasperlenfäden vor den Regalen, noch faucht keine Nebelmaschine, hat der DJ auf der Kanzel kein jubelndes Publikum, das kommt erst um 23.30 Uhr.

Um diese Uhrzeit ist vor der Tür eine Schlange. 21 Personen, davon 19 Frauen, drinnen ist es heiß und voll, Around the world von Daftpunk klingt, die Leute unterhalten sich, ohne zu schreien. Die drei Männer in Weiß bestellen ihre zweite Flasche Wodka. Wer konsumiert, kommt rein. Wer den Türsteher kennt, auch, und wer nicht reinkommt, "der soll einfach ein paar Mal am Donnerstag kommen, wenn nicht ganz so viel los ist", sagt Mair.

Gästelisten gibt es nicht. "Ich bezahl' doch niemanden, damit der Namen aufschreibt von Leuten, die sich dann wichtig vorkommen", sagt Mair am Vormittag im Putzlicht. Er hat auch jetzt geöffnet, zumindest die Tür. "Ich bin tagsüber auch fast immer hier", sagt er. Seit 2008, da änderte sich vieles .

Mair übernimmt das ehemalige "Old Mrs Henderson", ein Club für Homosexuelle, in dem Freddie Mercury mal feierte. Mair ändert wenig, "der Raum hat ja eine wunderbare Geschichte". Es soll nicht zu einfach und nicht zu edel sein, mit Ambiente. Mair spielt Musik, die seine Gäste oft schon nach den ersten Takten jubeln lässt.

Aha, Dean Martin, AC/DC, MGMT, niemandem gefällt alles, aber allen gefällt das meiste. Über den Pissoirs hängen drei Bildschirme, auf denen Pornos laufen, vor den Toiletten lehnt Iwan an der Tapetenwand, ein alter Russe, der im Feinripp-Unterhemd Lutscher verkauft. Mair versucht, anders zu sein, und ist es.

Ende 2008 ist das Paradiso bekannt zwischen Stuttgart und Wien. "Aber heute ist das anders als früher, als es nur zwei Läden gab", sagt Mair, "heute ist die Konkurrenz so groß, da kann alles ganz schnell gehen". Mit dem Erfolg. Der ist aber immer noch da, schnell ging es vor allem mit Dana. Die 29-Jährige lernt er kurz nach der Eröffnung - im Paradiso - kennen, nun ist sie schwanger und die beiden heirateten vergangene Woche.

Die Bienenkönigin der Nacht

Im Paradiso ist alles, was Mair braucht. WLAN, Handy-Empfang und seine Frau. Die arbeitet im Büro, Mairs Mutter abends in der Garderobe, und der Vater ist oft zu Gast.Tagsüber heißt der Türsteher Kito, ein schwarzhaariger Foxterrier. Der bellt den Postmann an, der ein Paket bringt. Mair gibt dem Mann 300 Euro und lächelt ihn an. Gastronomie im Kleinen: Mair ist sehr freundlich und höflich, doch als der Postbote gehen will, sagt er scharf. "Wo ist die Quittung?"

Mair sagt: "Die Leute wollen gesehen werden." Deshalb will er Bar und Sitzecke umbauen, die sei zu versteckt. Und er überlegt, eine Tagesbar aufzumachen, denn eine 70-Stunden-Woche wird er nicht ewig schaffen.

Mair sagt, er werde immer für Mitte 20 gehalten, dabei wird er bald 40. Seine zierliche Erscheinung und sein bestimmtes Auftreten unterscheiden sich stark. Alle hören auf sein Kommando, auch die riesigen tätowierten Barkeeper. "Es funktioniert nur wie im Bienenstock. Da gibt es eine Königin und viele Arbeiter." Das Paradiso summt jedes Wochenende - Mair scheint die Bienenkönigin der Nacht zu sein.

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