Migranten in München (7):Freundschaften für immer

München ist ein Patchwork verschiedener Kulturen. Warum sich Wahl-Münchner aus Italien hier wohler fühlen als daheim - und nur die Sache mit den Butterbrezln nicht verstehen können.

Sara Zinnecker

München ist multikulti - hier reihen sich Feinkostitaliener neben ein kanadisches Pommes-Bistro und iranische Diskonächte finden genauso Anklang wie osteuropäisches Bukovina. sueddeutsche.de hat Wahl-Münchner getroffen, die die Stadt mitgestalten. Hier stellen sich vier Italiener vor.

RadioLora

Aus dem Studio von RadioLora senden Dario Dorigo und Laura Martegani an jedem ersten Dienstag im Monat eine Stunde lang auf Italienisch.

(Foto: Sara Zinnecker)

Ob gelato, piadina, cappuccino, Feinkost oder Wein: Kulinarisch prägen sie die Stadt. Doch bei Weitem nicht alle der 20.769 Italiener in der Landeshauptstadt widmen sich den Gaumenfreuden. Manche von ihnen engagieren sich mit typisch italienischer Beherztheit dafür, den Münchnern ihre Kultur in all ihren Facetten nahezubringen - und fühlen sich in der Stadt längst zu Hause.

Gianni Minelli zum Beispiel. Die Liebe hat den Arzt vor 25 Jahren in die Landeshauptstadt geführt. Bereut hat er diese Entscheidung nie. "In München fühlt man sich wunderbar", sagt er. Italien dagegen habe sich gewandelt: "Die Menschen sind unfreundlich geworden", so sein Eindruck. Der Schulterschluss der beiden Kulturen ist Minelli trotzdem wichtig.

Dass die Zeitschrift, deren Redaktionschef er nebenberuflich ist, InterVenti heißt, passt in dieses Bild. Interventi, das sind Beiträge in einer Diskussion, das Wort bedeutet aber auch "Veränderung". InterVenti möchte die deutsch-italienische Szene in Bayern abbilden, über Künstler berichten, deren Wahlheimat München geworden ist. Immer wieder stößt Minelli dabei auf neue Gesichter. "In München gibt es verrückte Charaktere", sagt er und meint es positiv. "Die Menschen haben den Mut, etwas auszuprobieren."

Einer dieser verrückten Charaktere könnte die Stadtführerin Fiorella Palini sein. Seit über 25 Jahren lebt die Italienerin in Deutschland. Wenn sie nicht gerade Gruppen von Landsleuten über den Marienplatz lotst, macht sie sich Gedanken über alternative Routen, die die Stadt aus einer besonderen Perspektive zeigen. In Kooperation mit der Volkshochschule hat die Kunsthistorikerin zum Beispiel fünf Kursnachmittage lang der italienischen Malerei in München gewidmet, am Ende hieß es: ab nach Nymphenburg - Bilder schauen.

Fiorella Palini erzählt bei einer solchen Gelegenheit auch gern von Henriette von Savoyen. Die aus Italien stammende Gemahlin des bayerischen Thronfolgerns Ferdinand Maria bestand auf das spätere Schloss Nymphenburg als Wohnsitz - und holte sich dafür italienische Baumeister nach München. "Von den Deutschen soll sie gesagt haben: Die können keine Fabriken bauen, von Schlössern verstehen sie erst recht nichts", erläutert Palini.

Butterbrezl? Unmöglich!

Welche sind aber die Klischees von heute? Klarheit bringt ein Besuch bei Laura Martegani. Die 25-jährige Theaterwissenschaftlerin lebt seit drei Jahren in München, nach ihrem Studium in Bologna arbeitete sie beim Spielart- und Dance-Festival - und blieb. Heute moderiert sie hobbymäßig die "Italienische Stunde", die jeden ersten Dienstag im Monat auf 92.4 RadioLora läuft.

Giulio

Giulio Bailetti fühlt sich wohl in München. In Italien dagegen sei "die Sprache das Beste, was das Land zu bieten hat".

(Foto: oh)

Für die Dezembersendung hat sie jemanden eingeladen, der sich mit Klischees auskennt. Der Kolumnist Alessandro Melazzini hat beobachtet, dass Bayerisch viel sonorer klingt als das doch ansonsten so "harte Deutsch". Und, dass die Münchner lieber in den Kneipen genießen als auf der piazza. "Ich mag die bayerische Gemütlichkeit", sagt er.

Auch Laura Martegani hat sich an manche Münchner Eigenheiten längst gewöhnt. "Wenn jemand an mir vorbei Richtung Tramhaltestelle hetzt und sich dabei schnell ein Stück Butterbrezl in den Mund steckt, wundert mich das inzwischen nicht mehr", lacht sie. "In Italien ist es eigentlich unvorstellbar, nicht in Ruhe am Tisch zu essen." An München schätzt Laura vor allem die beruflichen Perspektiven, die sich ihr bieten. "Die Kultur-Szene ist meine kleine Familie geworden", sagt sie.

Auch Giulio Bailetti liebt die Kunst, vor allem aber die Literatur. Und tatsächlich, sein Erscheinungsbild - die etwas längeren, schlohweißen Haare, die weite, elegante Kleidung - erinnert ein wenig an die Dichter und Denker früherer Zeiten. Die Juristerei, seine eigentliche Profession, sagt er, sei ihm bald zu trocken gewesen.

Lieber kam der gebürtige Römer nach München, um Italienisch zu unterrichten. Und lieber trifft er sich hier einmal im Monat in kleinem Kreis mit Gleichgesinnten im Italienischen Kulturinstitut. "Jeder liest ein Stück selbstgeschriebener Prosa vor", erklärt er. "Auf Italienisch". Ihm geht es um den Klang der Worte, schließlich sei "die Sprache das Beste, was Italien zu bieten hat". Seit Bailetti im letzten Jahr einen Sponsor überzeugen konnte, werden die besten Lesestücke regelmäßig prämiert. "Eine kleine finanzielle Anerkennung", erklärt er.

Bailetti liebt München auch deshalb, weil er hier Ruhe findet, anders als in Rom. Weit weg von Verkehr und Abgasen radelt er am liebsten kilometerweit an der Isar entlang, "seinem Fluss", und wenn es warm genug ist, springt er auch gern einmal hinein. "Eine Freundschaft für immer", sagt er.

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